Sexuelle Gewalt gegen Kinder: Das Web als Antörner

Das Netz ist der Ort, wo Pädophile und Pädokriminelle geschützten Zugang zu Teenies bekommen. Es ist die Börse fürs Kennenlernen und für Kinderpornografie.

Vertrauen oder Missbrauch? Bild: Tommy Windecker / photocase.com

Jeder weiß, dass es da ist. Aber nur Wenige verstehen die Bedeutung des Netzes für sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Das war der Grund für die Geschäftsführerin von Innocence in Danger, Julia von Weiler, Eltern und pädagogische Fachkräfte „für die Gefahren im Netz zu sensibilisieren, ihnen aber gleichzeitig auch handfeste Informationen und Ratschläge zu vermitteln“. Das Gute an Weilers Buch ist, dass sie ein Vademecum auch für stinknormale Ahnungslose geschrieben hat, ohne aber simple „Schaltet das ab“-Fantasien zu bedienen.

Für die Psychologin ist das Netz ein wichtiger Ort für Pubertät und sexuelle Sozialisation geworden. 2008 sagten 16 Prozent der Kinder (zwischen 6 und 13 Jahren), dass sie sich in sozialen Communitys bewegen; 2010 waren es bereits 43 Prozent. Dass zu den Themen, die dort am meisten interessieren, Sexualität zählt, ist keine Erfindung des bösen weltweiten Netzes. Und es besteht womöglich auch keine Dominanz des Sexuellen, aber seine Bedeutung ist dennoch enorm. In den sozialen Netzwerken wie Facebook oder SchülerVZ geben die Jugendlichen oft an, ob sie Freund oder Freundin haben: „Single online“ sei gleichbedeutend mit „Hier bin ich, nimm mich!“, berichteten Mädchen der Autorin. „Und selbst wenn man bei ’Beziehungsstatus‘ keine Angabe macht, verstehen viele das als Aufforderung.“

Das Netz ist aber zugleich der Ort, wo Pädophile und Pädokriminelle geschützten Zugang zu Teenies bekommen. Es ist die Börse fürs Kennenlernen und für Kinderpornografie. Innocence in Danger hat mit der TV-Serie „Tatort Internet“ für jeden sichtbar gemacht, wie schnell und zielgerichtet Päderasten beim Cyber-Grooming und -Dating vorgehen. Das hat die Republik in die falsche Richtung aufbrechen lassen: Sofort fragten die Feuilletons nach dem Schutz der Täter – und nicht nach dem der Opfer.

Julia von Weiler bietet in ihrem Buch konkrete Hilfe an, die weiter reicht, als alle einschlägigen Listen und Adressen zu nennen. Es geht ihr darum, Kinder so stark zu machen, dass sie mit negativen Erfahrungen im Netz umgehen können. „Letztlich ergibt sich das aus einem liebevollen, klaren und respektvollen Umgang mit Kindern und Jugendlichen.“ Die Autorin hat ihren Aufklärungsverein entsprechend aufgestellt: Sie informiert und alarmiert die Gesellschaft über Cyber-Grooming und -Pornografie, aber sie macht auch konkrete Hilfsangebote für traumatisierte Kinder und vernetzt jene Jugendhilfeorganisationen, die direkt mit den verletzbaren oder zerstörten Jugendlichen arbeiten. Die Ursachen verortet sie nicht bei den Heranwachsenden oder im Netz, sondern bei den TäterInnen, die strategisch klug für ihren Missbrauch vorgehen.

Erst waren es lange Zeit alte, längst vergangene Missbrauchsfälle in Klöstern und Internaten.

Jetzt schrecken die Gesellschaft beinahe täglich neue aktuelle Fälle auf – oder unbewältigte Taten: Emden, Hamburg, Trier, Berlin usw. Wer die einschlägigen Publikationen der letzten Monate liest, sieht: Gerade die am meisten betroffenen Bereiche der Gesellschaft wie die Reformpädagogik haben wenig verstanden. Und wichtige, aufklärerische Bücher wie Julia von Weilers „Im Netz“ oder Ursula Enders’ „Grenzen achten“ finden zu wenig Aufmerksamkeit.

Bei Enders werden en détail die Strategien der TäterInnen beschrieben, wie sie Kinder manipulieren und Institutionen als Schutzhülle für ihre Verbrechen nutzen. Lesen!

Aber: Die Selbstdarbietung der Pubertierenden in Internetforen ist für Weiler auch die Fortsetzung der selbst manipulierten Alterslosigkeit ihrer Eltern: „Unbewegliche, dafür aber faltenfreie Botoxgesichter sind die Vorbilder, mit denen Kinder und Jugendliche aufwachsen.“

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