Quotendebatte nach "Wetten, dass..?"-Unfall: Auf Sand gebaut

Die Quote ist der einzig gültige Maßstab für den Erfolg. Doch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen muss sie nach dem Wettunfall bei "Wetten, dass..?" ernsthaft diskutiert werden.

Mitfühlender und selbstkritischer Showroutinier: Thomas Gottschalk. Bild: dpa

Lange nichts gehört von Wolfgang Lippert - bis zum Nikolaustag. Nachdem sich schon "Wetten, dass..?"-Erfinder Frank Elstner geäußert hatte, hielt es wohl auch "Lippi", der die Show Anfang der 90er neun Mal moderierte, für seine Pflicht und Schuldigkeit (wem gegenüber auch immer), den schweren Unfall des Wettkandidaten Samuel Koch öffentlich zu kommentieren.

In einem Interview mit dem Hörfunksender MDR Info sagte Lippert, es gehe bei "Wetten, dass..?" um Superlative, daher sei ein Unfallrisiko Bestandteil der Show. Er gehe aber davon aus, dass die Verantwortlichen jetzt vorsichtiger würden.

Wenn das Interview überhaupt jemandem geholfen hat, dann wohl Wolfgang Lippert, der sich endlich mal nicht mehr wie ein Frührentner des Showgeschäfts fühlen musste. Sondern gebraucht. Irgendwie.

Eine Spur uneigennütziger gab sich der Kinderstar Justin Bieber, der per Twitter zu Gebeten für Koch aufrief. Sein Auftritt war wie die gesamte Show nach dem Unfall abgesagt worden. "Wir alle glauben nicht, dass es richtig gewesen wäre, weiterzumachen", schrieb Bieber und versuchte, seine panischen Fans mit der Aussicht auf einen Nachholauftritt zu beruhigen.

Ein junger Mann liegt im künstlichen Koma und ein Land versucht zu verarbeiten, was es am Samstagabend kalt erwischt hat. Die Bild mit der schwer traumatisierten Schlagzeile "Not-OP! Koma! Lähmungen!", Wolfgang Lippert mit einem überflüssigen Radiointerview und Kurt Beck in der Welt mit der Forderung nach einer Quotendebatte.

"Natürlich müssen wir über die Themen sprechen: Wann werden die Grenzen des Verantwortbaren überschritten? Wie viel Risiko darf man eingehen? Und natürlich müssen wir auch über die Themen Nervenkitzel, Waghalsigkeit und Quote reden", sagte Beck, Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrats - der Ethikkommission wohl neuerdings auch.

Und Beck hat Recht: Eine Quotendiskussion beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist überfällig, weil dort wie in der Causa Brender zwar Chefredakteure in Frage gestellt werden, gelegentlich gar der Papst, aber die Quote - niemals! Sie ist der einzig gültige Maßstab für Erfolg, weil sie so hübsch messbar ist und damit über Geschmacksurteile erhaben. Und dieses andere Q-Wort? Qualität ist das, was Quote bringt.

So gesehen ist "Wetten, dass..?" immer noch das Premiumprodukt des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland - trotz seit Jahren bröckelnder Quote. Das Samstagabendlagerfeuer wird immer kleiner. Die Verpflichtung von Michelle Hunziker als Co-Moderatorin war eine Reaktion darauf - ganz im Gegensatz zu der Sprungwette, bei der sich Samuel Koch lebensgefährlich verletzte. Sie war spektakulär, gefährlich auch, doch im Rahmen dieses Formats nichts Ungewöhnliches, nie Dagewesenes.

Samuel Koch hatte - so zynisch das klingen mag - Pech. So sieht das offenbar auch die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft, die keine Anhaltspunkte für eine mögliche Straftat erkennen kann und daher nicht ermittelt.

Den Machern, die auf einen reichen Erfahrungsschatz im Umgang mit Gefahrensituationen zurückgreifen können, im Moment der größten Katastrophe in der Geschichte der Show eine Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht zu unterstellen, wie es Welt-Vize Ulf Poschardt in seinem Seite-1-Kommentar am Montag tut, ist nicht mehr als ein billiger Reflex. "Die Moral der Quote" instrumentalisiert den Unfall, um gegen die Öffentlich-Rechtlichen zu polemisieren. "Sie riskierten nicht nur das Leben eines jungen Menschen, sondern haben damit den oft gerühmten ethischen Sonderstatus des öffentlich-rechtlichen Prinzips relativiert", schreibt Poschardt. Und: "Der Verfassungsauftrag des gebührenfinanzierten Rundfunks wird durch den Quotendruck bis zur Unkenntlichkeit deformiert."

Ja, es gibt einen hausgemachten Quotendruck bei den Öffentlich-Rechtlichen. Wesentlich sachdienlicher als dessen unterstellte Folgen zu skandalisieren, wäre es allerdings, seine Ursachen zu erforschen, zu fragen, wie sich das System von der auf Sand gebauten Erfolgsdefinition Quote emanzipieren kann.

Es ist aber auch viel langweiliger. "Die Quote ist an allem schuld", schreiben deshalb die Stuttgarter Nachrichten und meinen das offenbar ernst - genau wie diesen logischen Anschlussfehler: "Ohne sie hätte Samuel Koch (23) nicht versucht ..." Ohne genau zu wissen, was Koch motiviert hat, seine Wette einzureichen: Die Quote wird es wohl kaum gewesen sein.

Es ist die Stunde der Automatismen. Die ersten Kommentatoren schreiben schon ein Ende von "Wetten, dass..?" herbei, wie sie nach Amokläufen das Verbot von "Ballerspielen" herbeischreiben, plädieren dafür, die Show "sterben zu lassen", andere versuchen, die Erregung und Empörung zu relativieren.

Klar ist, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher, ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut hat eine genaue Prüfung der Unglückswette und künftiger Einsendungen angekündigt, klar ist aber auch, wie Bellut ebenfalls ankündigte, dass es weitergehen wird.

"Wetten, dass..?" wird seinen 30. Geburtstag im kommenden Jahr erleben, wohl auch noch mit Thomas Gottschalk als Moderator, der sich am Samstag als ebenso selbstkritischer wie mitfühlender Showroutinier präsentiert hat. Es ist ein altes Motto, auch schon ein bisschen abgegriffen, aber selten passte es besser als hier: The Show Must Go On - was sonst?!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.