"Neue Entwicklungen" im Fall Pechstein: Ende der Wende

Wie die ARD im Fall der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein eine Falschmeldung unter das Volk bringt und es daraufhin Dementis hagelt.

In der Eis-Arena ist Claudia Pechstein wieder auf Erfolgskurs. Bild: dpa

BERLIN taz | Judith Rakers, die Blondine von der "Tagesschau", sprach zur besten Sendezeit von einer "überraschenden Wende" im Fall Claudia Pechstein. Nach den Dopingvorwürfen gegen die Eisschnellläuferin, so die Nachrichtensprecherin, sehe die Nationale Antidoping-Agentur (Nada) den Verdacht auf Doping als widerlegt an. Pechsteins "auffällige Blutwerte" seien "genetisch bedingt". Es entstand der Eindruck, Pechstein, die eine zweijährige Sperre wegen Blutdopings absitzen musste, sei rehabilitiert. Davon kann aber keine Rede sein, denn die "Tagesschau"-Meldung ist nicht ganz richtig.

Das war auch den Dopingexperten der ARD schnell klar, die an diesem Beitrag nicht mitwirkten. Verantwortlich für den Bericht war Tom Scheunemann, ein Ex-Eisschnellläufer, der seit diesem Jahr für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) tätig ist.

Die ARD-Dopingredaktion arbeitet zumeist unter dem Dach des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Sie konnte wenigstens Einfluss auf die Anmoderation des Beitrags in den "Tagesthemen" am späten Donnerstagabend nehmen sowie einen einordnenden Beitrag auf die Internetseite des MDR stellen. In den "Tagesthemen" sagte Tom Buhrow dann weit vorsichtiger, es gebe "neue Entwicklungen" in dem Fall.

Die Nada sah sich genötigt, am Freitagmorgen eine Pressemitteilung herumzuschicken, in der sie klarstellte, dass es mitnichten eine Wende im Fall Pechstein gebe. Man reagiere "mit Unverständnis" auf den MDR-Beitrag, in dem zwei Sachverhalte miteinander vermischt würden: der alte Dopingfall, für den sie sühnen musste - und ein neuer Fall, der auf eine Selbstanzeige der 39-Jährigen wegen wiederum erhöhter Blutwerte zurückgeht.

Pechstein will so beweisen, dass sie nicht gedopt hat, sondern an einer erblichen Blutkrankheit leidet, hereditäre Sphärozytose genannt, die auch Pechsteins Vater habe.

"Unsere Entscheidung, aktuell kein Verfahren gegen Frau Pechstein einzuleiten, hat nichts mit dem längst abgeschlossenen Dopingfall zu tun", stellt die Nada klar. "Bei Frau Pechsteins sogenannter Selbstanzeige geht es für uns darum zu beurteilen, ob in dem Zeitraum seit ihrem Comeback Unregelmäßigkeiten vorliegen, die dem Regelwerk widersprechen", erklärte Nada-Vorstand Lars Mortsiefer, "rückwirkend von einer Rehabilitation zu sprechen, ist deshalb falsch." Von einer generellen Entlastung könne auch keine Rede sein.

Das sieht Pechsteins Manager Ralf Grengel freilich anders. Die Nada-Entscheidung sei ein "Meilenstein" auf dem Weg zur Reinwaschung seiner Klientin. Seit dem ersten Verdacht gegen die Olympiasiegerin arbeitet das Pechstein-Lager mit Hochdruck und manchmal nicht ganz sauberen Methoden an einer Exkulpierung Pechsteins.

Erfolg auf der Eisbahn

Deren Anwälte marschierten unermüdlich durch die Instanzen der Sport- und Zivilgerichte, sie ließen Gutachten von Hämatologen anfertigen und erstellten selbst ein Blutprofil, das im Internet zu besichtigen ist. Im Detail geht es um den Anteil von Retikulozyten (junge rote Blutkörperchen) im Blut.

Bei Pechstein war dieser Wert mehrfach unnormal erhöht, weswegen sie für 24 Monate Startverbot bekommen hat. Nach Ablauf der Sperre im Februar dieses Jahres läuft Pechstein wieder - sogar recht erfolgreich. Die Berlinerin traf gestern in Heerenveen über 5.000 Meter als Zweitplatzierte im Gesamtweltcup im direkten Duell auf die Führende, Martina Sablikova aus Tschechien.

Natürlich wird Pechstein seit ihrem Comeback gestestet, und zwar so intensiv, dass Grengel sie für die "am häufigsten getestete Athletin der Welt" hält. Auch der Weltverband ISU nimmt regelmäßig Proben. Während der WM in Inzell im März dieses Jahres ergaben Pechsteins private Messungen einen spektakulär hohen Retikulozyten-Wert (3,8).

Grengel drängte die ISU damals angeblich, nachzumessen. Der Verband soll daraufhin einen ähnlich hohen Wert gemessen haben, nachzulesen im Blutprotokoll der Claudia Pechstein ist er aber nicht. Ausgerechnet dieser Wert fehlt in der Auflistung, wie übrigens auch alle Werte nach dem Juni 2011 und jene, auf die sich die Nada in ihrem aktuellen Urteil bezieht.

"Toter Mann"

Das sei aber nur eine "Frage der Aktualisierung", sagt Grengel. Er behauptet, Pechstein hätte die Nada-Werte von diesem Jahr noch nicht. Bliebe also nur dieser eine erhöhte ISU-Wert vom März, auf dem Pechstein ihr Argumentationsgerüst aufbaut: Wenn sie für einen vergleichbaren Wert, ermittelt bei der Mehrkampf-WM 2009 im norwegischen Hamar, verurteilt wird, jetzt aber nicht, dann müsse der alte Fall neu aufgerollt werden.

Genau das versuchen jetzt Claudia Pechstein und Öffentlichkeitsarbeiter Grengel. Sie wollen erneut vor den Sportgerichtshof Cas in Lausanne ziehen. Der Cas solle endlich die Untätigkeit der ISU ahnden, fordert Grengel: "Der Weltverband markiert toter Mann. Das ist inakzeptabel." Pechstein will zudem auf Schadensersatz klagen.

In Reaktion auf den Fall Pechstein hat die Welt-Antidoping-Agentur mittlerweile ihre Statuten geändert. Ein einziger auffälliger Blutwert reicht nun nicht mehr, um den indirekten Dopingnachweis zu führen. Jetzt müssen schon ein paar mehr Werte verrückt spielen, damit ein Sportler gesperrt wird.

Gestestet wird beispielsweise der Hämatokritwert (Verhältnis fester und flüssiger Bestandteile im Blut) oder der Hämoglobin-Wert (Anteil der roten Blutkörperchen) - und beide Werte sind bei Pechstein nicht im kritischen Bereich, zumindest in jenen Laborberichten, die öffentlich sind.

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