Nationalfeiertag in der Ukraine: Verschieden, aber vereint

Der Unabhängigkeitstag erinnert an den Freiheitsdrang des Landes. Die internationale Gemeinschaft muss nun Selenskis Friedensplan unterstützen.

Menschen räumen in einer zerstören Kirche auf.

Aufräumarbeiten in der Verklärungskathedrale in Odessa im Juli nach einem russischen Raketenangriff Foto: Jae C. Hong/ap

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist ein tragisches und langwieriges Kapitel der modernen Geschichte. Ich werde nie die Sonnenstrahlen vergessen, die einst den Altar der Kathedrale von Odessa erhellten – den vor Kurzem eine russische Rakete zerstört hat. Menschen verschiedener Glaubensrichtungen und Herkunft beseitigten die Trümmer gemeinsam, denn das ist das Ethos unseres Landes seit Anbeginn der Zeit: Wir sind verschieden, aber wir sind vereint.

Odessa, eine Stadt mit über 130 Nationalitäten, ist die Schwesterstadt von Dschidda, Genua, Liverpool, Marseille, Istanbul, Haifa, Danzig, Eriwan, Chisinau, Qingdao und Vancouver. Einer Schwester würde man nicht einmal die Vorstellung zumuten wollen, diesen Schrecken ausgesetzt zu sein. Aber wir leben in dieser Realität, und die Angriffe richten sich nicht nur gegen unsere Häfen, sondern gegen die ganze Welt.

Letztlich wurden eine Viertelmillion Tonnen Getreide, die für den Export bestimmt waren, vernichtet. Die Welt hat diesen Schlag bereits zu spüren bekommen, denn die Weizenpreise steigen weltweit.

Das Streben der Ukraine nach Frieden ist keine einsame Angelegenheit, es ist eine Symphonie aus Mut, Widerstandsfähigkeit und dem festen Glauben an Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität. Die Ukrainerinnen und Ukrainer stehen wie alle anderen Nationen zu diesen Werten, bei denen es keine Kompromisse gibt. Wir in der Ukraine kämpfen und sterben für diese gemeinsamen Werte. Im Kern sind wir alle durch unseren angeborenen Wunsch nach Freiheit verbunden.

Eine sichere Zukunft für die Ukraine und die Welt

Die internationale Gemeinschaft ist sich bewusst, dass der Krieg, der derzeit in der Ukraine tobt, nicht nur Auswirkungen auf die Ukraine, sondern auch auf die globale Sicherheit, den Wohlstand und die Umwelt hat. Länder auf der ganzen Welt müssen Russlands Handlungen als das begreifen, was sie sind – illegal und zerstörerisch – und sich darauf konzentrieren, einen nachhaltigen Frieden zu schaffen.

Russlands Drohungen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gegen einen Staat, der nicht im Besitz solcher Waffen ist, die Gefährdung von Atomkraftwerken, der Energiesicherheit, die enormen Umweltschäden, die Misshandlung und Folter von gefangenen Militärangehörigen und Zivilisten und die massenhaften Zwangsdeportationen sind Beweise für die abscheulichen Kriegsverbrechen, die uns angetan werden. Russland verursacht eine humanitäre Katastrophe, in deren Zentrum die Ukraine steht.

Wir sind entschlossen, den Aggressor zu besiegen und unser Land von den Invasoren zu befreien. Während unserer Gegenoffensive haben wir bereits mehr als 270 Quadratkilometer unseres Territoriums befreit. Aber wir sind auch entschlossen, eine sicherere Zukunft für die Ukraine und die Welt zu schaffen.

Entscheidend ist nicht das Schlachtfeld allein

Wir haben einen Plan, der auf alle Bedrohungen durch die russische Aggression reagiert, und wir haben gleichgesinnte Freunde. Präsident Wolodimir Selenski schlug seine sogenannte Friedensformel auf dem G7-Gipfel im November des vergangenen Jahres vor. Seitdem haben sich andere Länder, die die Unabhängigkeit, territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine respektieren, der Initiative angeschlossen, um sie umzusetzen.

Der zehnstufige Friedensplan steht für internationale Sicherheit, Schutz und Gerechtigkeit. Er basiert auf den Grundprinzipien des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen. Die Ukraine steht gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft für die Einhaltung dieser Grundregeln des globalen Zusammenlebens ein.

Wir kämpfen, aber wir wissen, dass Sieg und Frieden nicht allein auf dem Schlachtfeld errungen werden können. Zusammenarbeit und kollektive Anstrengungen sind die wichtigsten Zutaten für den Erfolg des Friedensplans. Deshalb haben wir ein Modell mit drei Phasen entwickelt, um sicherzustellen, dass der Plan auf internationaler Ebene funktioniert.

Jeder Staat kann eine tragende Rolle spielen

Ob es um nukleare Sicherheit, Ernährungssicherheit oder die Unterstützung der Ukraine bei der Rückholung Tausender von Russland entführter Kinder geht, jeder Staat kann entsprechend seiner Möglichkeiten und Interessen eine tragende Rolle spielen.

Die erste Phase umfasst Beratungen mit den Botschaftern der teilnehmenden Länder in der Ukraine. In der zweiten Phase finden Treffen mit den nationalen Sicherheitsberatern statt, um die optimalen Mechanismen für die Umsetzung festzulegen und Empfehlungen für die Regierungen der jeweiligen Staaten zu erarbeiten. Die dritte und letzte Phase ist die Ausführung des gemeinsamen Plans durch die Staats- und Regierungschefs.

Engagierte und mutige Staatsoberhäupter können Geschichte schreiben. Der Weltfriedensgipfel im Herbst soll das Fundament für gemeinsame internationale Anstrengungen zur Beendigung des Krieges unter gerechten Bedingungen werden. Das ist der einzig richtige Weg, der Arroganz und Erpressung des Aggressors zu begegnen.

Die Isolation Russlands nimmt zu

Am Treffen der Sicherheitsberater Anfang August im saudischen Dschidda nahmen Vertreter aus mehr als 40 Ländern teil, dreimal so viele wie bei der vorangegangenen Konferenz in Kopenhagen. Beim jüngsten Treffen in Kyjiw kamen 58 Botschafter zusammen, um die Ergebnisse von Dschidda und die weitere Umsetzung des Friedensplans zu erörtern. Die Unterstützung für das Vorhaben nimmt zu, ebenso wie die Isolation Russlands.

Wir sprechen dabei nicht nur über das Ende des Krieges. Wir reden auch über die Zukunft. Das ukrainische Volk wird niemals diejenigen vergessen, die die ganze Zeit an seiner Seite standen: diejenigen, die die Ukraine in ihrem gerechten Kampf um Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität unterstützt haben.

Die menschlichen Kosten dieses Konflikts können kaum überschätzt werden: Unzählige Menschen haben ihr Leben verloren, Abertausende wurden vertrieben, die Wirtschaft ist zerstört. Vor diesem düsteren Hintergrund erscheint unsere Friedensformel als einziger Leuchtturm der Hoffnung und Zuversicht.

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51, ist Jurist und leitet seit 2020 das Präsidialamt der Ukraine. Er ist unter anderem für die Umsetzung von Präsident Wolodimir Selenskis Friedensformel zuständig sowie Mitglied des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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