Metzger G. Schweisfurth im Interview: „Sich seinem Ekel aussetzen”

Er fand sie „einfach cool”. Ein Metzger über die Freude an schlachtwarmen Herzen, Stücken von Lunge und Innereien.

Ein üppiges Fleischangebot, für Georg Schweisfurth eins der schönsten Dinge. Bild: dpa

zeozwei: Herr Schweisfurth, reden wir über Fleisch und Blut.

Georg Schweisfurth: Gut möglich, dass es ein bisschen archaisch wird. Das gefällt mir.

Wie archaisch soll es denn werden?

Ich denke an eine der letzten Küchenpartys in Herrmannsdorf. Wir hatten zweihundert Gäste. Und da bin ich mit einem Herzen und einem Stück Lunge durch die Reihen gegangen, blutverschmierte Innereien, noch schlachtwarm, und hab gesagt: Fasst mal an. Vielleicht gab es da bei manchen einen ersten Ekel. Aber alle haben davon gegessen. Wir haben Herztartar gemacht, nach allen Regeln der Kunst. Rohes Herz, das hätten die meisten sich vorher nicht vorstellen wollen. Sie haben dann verstanden: Es ist genauso Muskelfleisch wie ein Stück aus der Schulter.

Und ein bisschen Ekel ist gut?

Sich seinem Ekel auszusetzen, muss nicht schlecht sein, um ein neues Verhältnis zum Fleisch zu entwickeln.

55, ist Diplomvolkswirt und hat wie Urgroßvater, Großvater und Vater das Metzgerhandwerk erlernt. Mit seinem Vater Karl-Ludwig hat er 1986 die Herrmannsdorfer Landwerkstätten bei München gegründet, die nun sein Bruder Karl leitet, und 1998 mit Freunden die Biosupermarktkette basic.

Er führt das Biotagungshotel Gut Sonnenhausen und ist Autor. Mit Simon Tress hat er das Buch „Fleisch. Küchenpraxis – Warenkunde – 220 Rezepte” (Christian Verlag, 400 S., 49,99 Euro) geschrieben.

Wie meinen Sie das?

Ich meine den Ekel, der Menschen erfasst, wenn sie etwas anderes als das abgepackte Fleisch aus der Kühltheke sehen. Von dem Ekel profitieren eigentlich nur Massentierhalter und die Industrie.

Bleiben wir bei dem, was für viele das Ekligste ist: Blut. Was bedeutet das für den Metzger? Sie haben den Beruf ja gelernt.

Ein ganz wertvoller Rohstoff. Es ist das Erste, worum man sich nach dem Schlachten kümmert. Blut besteht aus extrem viel Eiweiß und muss sofort unter ständigem Rühren heruntergekühlt werden, damit es nicht gerinnt. Dann macht man Blutwurst, ob bayerischen Presssack, die französische Boudin oder in Norddeutschland die Rotwurst. Sehr oft werden dafür Blut und Speck verwendet: viel Eiweiß, viel Fett. Es gibt kaum etwas Nahrhafteres als Blutwurst. Wussten Sie eigentlich, dass früher das fette Fleisch viel höher bezahlt wurde als das magere?

Nein.

Ja, noch bis in die 50er-Jahre hinein war das so. Das hat sich dann umgekehrt, weil die Leute es aus mir unerfindlichen Gründen satt hatten, Fett zu essen. Seitdem wünschen sich die Leute ein „schön mageres Stück Fleisch”. Ich höre das bis heute. Schön mager – das ist doch ein Widerspruch in sich.

Sie haben zusammen mit dem Koch Simon Tress ein Buch geschrieben. Es heißt „Fleisch”. Auch, um mit solchen Widersprüchen aufzuräumen?

Aber sicher. Blut sieht man auf den Fotos in Ihrem Buch nicht. Aber dafür viel rohes Fleisch. Das ist bei vielen Kochbuchverlagen nicht selbstverständlich. Da hatte ich schon Streit wegen. Dem Christian Verlag bin ich dankbar, dass er mitgemacht hat, Fleisch durch und durch zu zeigen, auch die Innereien. Die Ausgangsprodukte zu zeigen und zu erzählen, wo sie herkommen, finde ich, muss zu einem Kochbuch dazugehören. Aber gerade beim Fleisch wird das ganz oft vermieden. Da sehen Sie, wie der stereotype Ekel wirkt.

Sie schreiben, dass bei einem guten Produkt Fett wie Fleisch schmecken kann. Aber wie erkennt man gutes Fleisch?

Das kann ich so nicht beantworten. Sie stellen die falsche Frage.

Warum?

Weil Sie aufs Optische zielen. Das reicht nicht. Wir haben die ganze Qualitätsfrage heutzutage aufs Visuelle und aufs Hygienische verengt. Ein grüner Apfel, eine gerade Karotte, ein helles Fleisch. Dass es gut aussieht, sagt überhaupt nichts über den Geschmack. Überhaupt: Was heißt Qualität? Lebensmittel können viel mehr Qualitäten haben, eine ökologische Qualität, eine soziale Qualität. Wir brauchen einen erweiterten Qualitätsbegriff. Wir können uns entscheiden. Das Auge allein ist dabei keine Hilfe.

Dann erklären Sie mir, warum ich meinen Blick an der Fleischtheke infrage stellen muss.

Gut ist, wenn Sie kritisch mit hellem Fleisch sind, zum Beispiel beim Schwein. Viele nehmen helles Fleisch als mager wahr, doch da wirkt noch immer die Gewöhnung an das Stressfleisch der 80er-Jahre weiter, das sogenannte PSE-Fleisch. PSE steht für pale, soft and exudative, also blass, weich und wässrig. Das ist zwar schon besser geworden, aber richtig gut ist unser Schweinefleisch häufig immer noch nicht. Gutes Schweinefleisch ist farbig, je dunkler, umso besser waren Haltung und Fütterung. Es kann fast so dunkel werden wie bei einem jungen Rind.

Aber der Blick ist nicht alles.

Es hilft nichts, man muss sich erkundigen, den richtigen Fleischer kennen, die richtigen Fragen stellen können. Auch ich lerne dazu. Ich habe mit Simon Tress festgestellt: Gutes Schweinefleisch ist haltbarer. Es kann bei guter Kühlung auch vier Wochen reifen, während konventionelles schon nach einer Woche schmierig wird. Warum? Wenn ein Schwein mangels Platz dauernd von den eigenen Exkrementen umgeben ist, ständig mit Keimen in Berührung ist, dann wird auch das Fleisch „unsauberer”.

Sie unterscheiden zwischen sauberem und unsauberem Fleisch?

Aber anders als der Veterinär, nämlich mit dem Blick des Metzgers und was den Geschmack angeht. Und die WWW-Schweine aus Herrmannsdorf sind mir mit die saubersten.

WWW-Schweine?

Für Weide, Wühlen, Würmer. Alles das, was Schweine brauchen. Sie sind neugierig, reinlich und sehr gesellig. Deswegen müssen sie auf die Weide. Und sie brauchen anders als Kühe Eiweiß, um zu wachsen. Sie sind Allesfresser. Ein Schwein, das wühlen darf, frisst dabei so viel gutes Zeug, was kein Kraftfutter ersetzen kann, auch Käfer und Würmer.

Warum spreche ich mit einem Metzger und komme dann unweigerlich zum Thema Haltung und Aufzucht?

Weil das zusammengehört. Man kann als Metzger gut sein, aber am Ende ist man nur so gut wie das Ausgangsprodukt, das man bekommt. Und ich gebe zu, ich bin ein Qualitätsfanatiker, in meiner Familie liegt das, um zu Ihrem Thema zurückzukommen, im Blut.

Es ist Metzgersblut. Ihr Vater Karl-Ludwig hat aus einem kleinen Familienbetrieb das größte fleischverarbeitende Unternehmen Europas gemacht: Herta. Das hat er dann 1984 verkauft, um einen ökologischen Betrieb aufzumachen. Es heißt, Sie und Ihr Bruder Karl waren an der Entscheidung nicht ganz unschuldig.

Es waren die Anfänge der alternativen Bewegung. Wir waren gegen alles, was groß und aus unserer Sicht Kapitalismus war. Da ließen wir auch den Vater und die Firma, die inzwischen schon drei Generationen überdauert hatte, nicht aus den Klauen. Wir wollten den Betrieb nicht übernehmen.

Ging es bei der Entscheidung auch um Qualität?

Unser Vater hat sich damals viel Mühe gegeben, die handwerklichen Tugenden oben zu halten, obwohl die Fleischverarbeitung immer industrieller wurde. Unser Vater hatte bei Herta eine kleine Werkstatt für die Lehrlinge eingerichtet, in der sie noch Gewürze mahlen und mischen konnten, für die verschiedenen Brüh- und Kochwürste. Gegenüber in der Fabrik wurde derweil mit Fertigmischungen gearbeitet, die gleich mit Zusatzstoffen angereichert waren. Eigentlich völlig grotesk. Ich denke, er hat auch hier gesehen, dass es langsam lächerlich wurde, Tugenden und Werten anzuhängen, die es in der Realität schon längst nicht mehr gab. Wir haben damals auf einem kleinen Hof gelebt, mit Bullen und Pferden. Irgendwann kam dann einmal die Frage: Wie haben eigentlich die 40.000 Schweine gelebt, die in der Woche bei Herta geschlachtet wurden? Das gab den Ausschlag.

Sie hätten auch ganz vom Fleisch lassen können.

Glauben Sie, das geht mit einem Vater, der damals immer sagte: „Von Salat bekomm ich Kopfschmerzen”? Nein, wir waren richtige Fleischfresser. Wenn wir in den Urlaub fuhren, war die erste Frage, wo sind die besten Metzger, wo die besten Steaks, wenn wir in Amerika waren. Erst später, lange nachdem wir die Herrmannsdorfer Landwerkstätten aufgebaut hatten, wurde uns klar, mit unseren kleinen Ideen und der Ökobewegung ist der Wahnsinn der Massentierhaltung allein nicht zu stoppen. Komischerweise müssen wir als Metzger seit inzwischen fast fünfzehn Jahren sagen: Weniger ist mehr.

Haben Sie persönlich nie daran gedacht, auf Fleisch zu verzichten?

Doch immer wieder. Ich habe im vorigen Jahr zwei Monate kein Fleisch gegessen. Um mir zu zeigen, es geht. Aber man sollte das nicht verwechseln: Man kann als Individuum auf Fleisch verzichten, die Menschheit aber nicht.

Jetzt sind wir endgültig beim Thema Veganismus.

Ein guter Trend. Er hilft, mal zu reflektieren, was wir die letzten dreißig Jahre so gemacht haben und das infrage zu stellen. Führt er dazu, dass in der ganzen Welt insgesamt weniger Fleisch gegessen wird, dann gibt es auch die Hoffnung, dass wir irgendwann auf die Massentierhaltung verzichten können. Das wäre schon ganz viel.

Sie sehen Veganer nicht als Feinde an?

Ich habe mich zwar schon oft als potenzieller Kindsmörder beschimpfen lassen müssen, aber nein. Ich habe nichts gegen die individuelle Entscheidung, kein Fleisch mehr zu essen. Jeder soll machen, was er will. Aber das Leben draußen geht weiter. Wenn wir etwas in der Massentierhaltung bewegen wollen, dann brauchen wir auch die Fleischesser und müssen die Frage stellen, was ist gutes Fleisch? Dann wird die Diskussion erst interessant. Veganer machen es sich da zu einfach. Das ist meine einzige Kritik.

Also, warum braucht die Menschheit Tiere?

Nehmen wir zum Beispiel Rinder. Es sind Wiederkäuer, biotechnologisch also eine geniale Kompostierungsanlagen, die aus wenig viel machen. Rinder upcyceln Gras, das für uns unverwertbar ist, zu hochwertigem Fleisch und Eiweiß. Man könnte sagen, es sind lebende Solaranlagen. Wir brauchen diese Tiere, um die sogenannten volkswirtschaftlichen Grenzböden zu bewirtschaften, also Böden, die sich zum Ackerbau nicht eignen. Und wir haben inzwischen Flächen, in Ostdeutschland, auch in Osteuropa, da braucht man den Wiederkäuer und seinen Dung nicht nur zum Bodenerhalt, sondern sogar zum Humusaufbau, wenn man auf fossilen Dünger verzichten will. Kuhdung ist Homöopathie für den Boden, wenn man es richtig macht.

Schon wieder sind wir bei der Landwirtschaft. Noch eine Frage an den Metzger. Warum haben Sie den Beruf gelernt?

Das lag auch an dem handwerklichen Faible meines Vaters. Er hat gepredigt, dass wir Kinder vor dem Studium eine Ausbildung machen. Ich fand das richtig. Meine Schwester hat Bäckerin gelernt, mein Bruder Landwirtschaft. Ich fand Metzger einfach cool. Die Entscheidung fiel aber eigentlich aus einer Protesthaltung, nicht um meinem Vater zu gefallen. Alle haben eher gesagt: Metzger, wie eklig? Ich habe erst hinterher kapiert, was für ein vielseitiger, schöner Beruf das ist.

Nachdem Sie den Ekel überwunden hatten?

Nein, ich bin quasi über einer Metzgerei geboren und in ihr aufgewachsen. Ich liebe den Geruch von Tier, von gekochtem Fleisch, wie er in einer Fleischerei hängt. Das ist ganz frühe Prägung. Ich gehe in Herrmannsdorf manchmal in die Metzgerei, nur um den Geruch in mich einzusaugen. Das ist Kindheit, Heimat, etwas ganz Mütterliches.

Trotzdem: Metzger gelten als brutale Kerle ohne Gefühl.

Ach, dieses Machoimage, das sich überhaupt mit dem Fleisch verbindet. Aber das geht doch nicht anders. Wir stehen im Schlachthaus. Sich da ein dickes Fell anzulegen, das ist für jeden überlebenswichtig. Aber zum Beruf gehört noch viel mehr. Es ist Biotechnologie. Und wie man Fleisch zerteilt, um es gut zu präsentieren, das hat sich eigentlich seit hundert Jahren nicht verändert. Das hat mit Eleganz zu tun, mit Kunstfertigkeit.

Würde ein Kunde an der Theke ein Stück Fleisch nicht mehr als „schön mager” bezeichnen, sondern „elegant” …

… ich wäre glücklich.

Das Interview führte JÖRN KABISCH. Der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeozwei 3/2015. Gerne können Sie den Artikel auf unserer Facebook-Seite diskutieren.