Kolumne Männer: Daddy Cool

Immer mehr Männer wollen im Job und im Privatleben jeweils 100 Prozent geben. Na, viel Spaß!

Luxus ist Ansichtssache. Über Jahrhunderte galten in China verstümmelte, bandagierte Frauenfüße als Zeichen hohen sozialen Status. Passanten raunten einander zu: "Guck mal, die Frau mit den schmerzenden Fußstümpfen, auf denen sie kaum laufen kann: Die hat's gut." Das ist vorbei. Heute sorgen High Heels für schmerzende Füße.

Und Männer haben sich einen eigenen Inbegriff des stressigen Luxus ausgedacht: die Vereinbarkeit von Karriere und Kindern. Vergangene Woche erklärte Eric Strutz, ein Vorstandsmitglied der Commerzbank: "Ich hatte nie die Zeit, mich so um meine Familie zu kümmern, wie ich es gerne getan hätte." Das wolle er nun ändern. Erst mit Abstand werde der 46-Jährige darüber nachdenken, wie sein nächster beruflicher Schritt aussehen könnte. Als ich das las, erinnerte ich mich der weisen Worte des Polizeichefs Clancy Wiggum von den "Simpsons", als sich seine Krawatte in der heißen, rotierenden Wurstwendemaschine verfing: "Jetzt wird es erst schlechter, bevor es besser wird." Nun könnte mancher zu dem Schluss kommen: "Oho, wenn sich gar ein Topmanager, der viel zum Wiederaufstieg von Deutschlands zweitgrößter Bank beigetragen hat, ganz der Familie widmen kann, dann ist die Inanspruchnahme von Elternzeit durch Männer gesellschaftlich akzeptiert."

Aber wer so denkt, hält vermutlich auch Kerzenlicht per se für romantisch und verschickt Ansichtskarten mit dem Berliner Holocaustmahnmal vorne drauf. Denn Strutz Beispiel senkt nicht die Hürden für Männer, die Job und Privatleben unter einen Hut bringen wollen. Es legt sie höher. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gilt als erstrebenswert, aber schwer erreichbar. Wie innere Ruhe. Oder Sex über 50. Strutz ist damit ein Vorbild für "moderne Männer". Das ist das Nachfolgemodell der "neuen Männer". Die Bezeichnung kam 1982 in Mode durch Ina Deters Lied "Neue Männer braucht das Land", das bis heute nichts von seiner Humorlosigkeit eingebüßt hat. "Moderne Männer" sind aus Forschersicht Herren, die für Frauenemanzipation sind, gleichberechtigte Kindererziehung wichtig finden und nichts dagegen haben, nicht der Alleinverdiener im Haushalt zu sein. Der Haken ist: Diese Männer halten es nicht mit Ina Deters Albumtitel "Die Hälfte der Welt". Sie wollen alles: Superkarriere und Supervaterschaft.

"Der Mann erfährt in der Arbeit seinen Sinn." Dieser traditionellen Ansicht stimmten 1998 in einer großen Befragung nur 21 Prozent der "modernen Männer" zu. Zehn Jahre später waren es laut Nachfolgestudie "Männer in Bewegung" 45 Prozent - mehr als doppelt so viele. Das heißt: Moderne Männer wollen wie früher im Job alles geben. Zu Hause mittlerweile aber auch. Strutz Beispiel legt den Gedanken nahe, dass Männer dieses Doppelziel erreichen können - oder müssen. Für ersetzbare Normalos gilt eine Jobauszeit aber noch allzu oft als Karrierekiller.

Und ich? Wird der Trend zur permanenten Selbstüberforderung abgeebbt sein, bevor ich ein Balg in die Welt setze? Angela Merkel macht mir da wenig Hoffnung: "Die Probleme werden erst noch größer, bevor es wieder besser werden kann."

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Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

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