Hirnforschung ohne Hirn: Wettrüsten um Forschungsgelder
Viele ihrer Erkenntnisse sind gar nicht so bahnbrechend. Trotzdem erfreut sich die Neurowissenschaft ungebrochener Beliebtheit. Warum eigentlich?
BERLIN taz | Neurowissenschaftler sollten George Bush Senior danken. Die Dekade des Gehirns beginne am 1. Januar 1990, verkündete der ehemalige US-Präsident. Seitdem erlebt die Hirnforschung einen rasanten Aufstieg. Moral, Ästhetik, Liebe – es gibt kaum etwas, das uns Hirnforscher nicht erklären wollen.
Der Pharmakologe Felix Hasler von der Berlin School of Mind and Brain hat da so seine Zweifel. „In der Hirnforschung kann man viel ungestraft behaupten”, sagt er auf dem taz.lab. Die empirischen Daten belegten hingegen nur selten, was als bahnbrechende Erkenntnis verkauft wird.
Gegenwind ist die Neurowissenschaft von Seiten der Sozialwissenschaften gewohnt. Nach jahrelanger Euphorie zweifeln jetzt allerdings auch die Kollegen der Naturwissenschaft. Eine Studie, die kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Nature Reviews Neuroscience veröffentlicht wurde, zeigt: Nur jedes fünfte Ergebnis lässt sich tatsächlich belegen – ein miserables Ergebnis.
Echte Erfolge erzielt die Hirnforschung hingegen in der öffentlichen Wahrnehmung. Der „Neuro”-Buchmarkt brummt. Wie trainiere ich das Gehirn meines Babys? Was sagt uns Buddhas Gehirnstruktur? Die Neurowissenschaft weiß es – oder behauptet es zumindest.
Und auch in Nachrichtenmedien wird die Hirnforschung immer häufiger aufgegriffen. Ein besonders absurdes Beispiel dafür hat Pharmakologe Hasler in der Schweizer Boulevard-Zeitung 20 Minuten gefunden. Unter dem Titel „Hirnscanner entlarvt Rassisten” stellte die Zeitung die neuesten Ergebnisse einer Hirnforschungsstudie vor. Darunter ein Bild protestierender Neonazis. Hier müsse man nicht nur die Studie infrage stellen, sagt Hasler. Die Frage sei: „Brauchen wir wirklich einen Hirnscanner, um Rassisten zu erkennen?”
Bunte Bilder ohne Tiefe
Ein Grund für die überhöhte Bedeutung liege in den Verfahren wie der Magnetresonanztomographie (MRT), sagt Hasler. „Sehen heißt glauben. Deswegen wäre wäre die Hirnforschung ohne bildgebende Verfahren nie so ein Hype geworden.” Nur: Bunte Bilder von Gehirnaktivitäten suggerierten eine Exaktheit, von der die Verfahren weit entfernt seien. Statt das Geschehen exakt abzubilden wie ein Foto, arbeitet zum Beispiel die MRT mit statistischen Berechnungen. Diese hängen von den Annahmen ab, die die Forscher im Vorhinein treffen – doch selbst bislang unumstößliche Annahmen wackeln, sagt Hasler.
Den Siegeszug der Neurowissenschaft wird seine Kritik allerdings nicht aufhalten, glaubt er. Gerade erst hätten die EU und die USA ein „Wettrüsten” um Forschungsgelder für die Hirnforschung gestartet. Es gehe um Beträge in Milliardenhöhe. Welche Forschungsfragen sinnvoll sind und welche nicht, rücke dabei in den Hintergrund.
Haslers Vortrag spielt auf die neurowissenschaftliche Forschungswut schon im Titel seines Vortrags an: „Was würde die Fledermaus denken?” Wer herausfinden wolle, wie eine Fledermaus fühlt, könne gerne das komplette Fledermaus-Gehirn untersuchen, sagt der Pharmakologe. Wie sich die Fledermaus fühlt, wisse er trotzdem nicht.
Felix Haslers Buch “Neuromythologie” ist im Transcript Verlag erschienen.
Leser*innenkommentare
friedbert
Gast
Was spricht dagegen, Menschen ein Leben
in der Forschung zu ermöglichen und mehr
echtes fundiertes Wissen, anstatt Marketing-Wissenschaftsquacksalberei zu unterstützen?
Solange keine Experimente
mit der Menschheit und Umwelt dabei angestellt
werden, sehe ich kein Problem.
Schließlich beruht unser gesamtes positives
Menschheitserbe, außer unseren Erbgut, darauf,
dass einige sich entfalten konnten und etwas
hinterließen, das Gültigkeit hat und von denen
später alle profitieren können.
Nur gebe ich insofern Recht, dass die wissenschaftlichen Gehälter im Rahmen nicht
jenseits der 40-50000 EURO für Normalwissenschaftler
sein dürfen und nicht hier eine Minderheit
extremen Geldanteilsparasitismus betreibt.
Der Geldwert der Forschung muss normal bemessen bleiben,
damit keine kriminellen Anreize bestehen
und die Wissenschaft nicht zum Souffleur
der Machteliten wird. Zu hohe Gehälter provozieren
Machenschaften und ziehen das leistungsfähige,
aber sozial üble Menschentum an.
Wir brauchen dort ethisch anständig und leistungsfähige Leute.
Die Wissenschaft darf die Menschheit/Umwelt/Volkswirtschaft nicht als Geisel ihrer
"Grandiosität" nehmen und einen Wettlauf
um Unterdrückungs-und Vernichtungsstrategien,
dem Mißbrauch des Geistes aus emotionaler
Perversion, einläuten. Da sie sich nicht selber
zu regulieren vermag und alle Nichtwissenschaftler
als Entscheidungsträger letzlich nicht wirklich akzeptiert, muss über den Geldhahn von außen hin,
aber auch im Würdigungsverhalten der Arbeiten
entsprechend demokratisch eingegriffen werden.
guntherkummerlande
Gast
Zwischen Sein, der Emulation von Sein, Sein,
als ob, Sein wie,dem Nachbilden von Sein,
dem Protokollieren von Sein, dem Kategorisieren,
Quantifizieren und Qualifizieren von Sein,
Taxieren von Sein, Abstrahieren von Sein,
dem Hinwegsetzen über eigenes und nichteigenes
Sein, dem Ausgrenzen und Umschließen von Sein,
dem nachempfinden eines anderen Sein
und eben dem Sein besteht ein Unterschied, der so
groß ist, wie der zwischen Mensch und Maschine
oder Göttlichkeit und Mensch.
HurricanHunter
Gast
Warum fließen Milliarden an Steuergeldern in die Hirnforschung, wo sie doch in der Astronomie viel besser angelegt wären, da wir doch demnächst einen Ersatzplaneten brauchen werden? Hirnforscher verstehen es eben ausgezeichnet, die geheimsten Wünsche der Herrschenden nach totaler Kontrolle auszunutzen. Dabei stellen die bildgebenden Verfahren eine Methodik in Aussicht, die den arg begrenzten Verstand der "Eliten" nicht überfordert: Der gelbe Fleck hier bedeutet "innere Arbeitsverweigerung", der rote Fleck dort bedeutet "subversive Neigungen", und die beiden violetten Felder bedeuten "Reklame- und Propagandaresistenz". Dadurch hat man aber auch einen realen Indikator für die wirklichen Fortschritte auf diesem Gebiet: Solange in der Arbeits"medizin" keine Hirnscanner verwendet werden, tritt diese Forschungsdisziplin auf der Stelle.
Natürlich brauchen wir keinen Hirnscanner, um Rassisten zu erkennen - WIR brauchen solche Scanner überhaupt nicht - aber die Rassisten-Story zeigt, wo die Reise hingehen soll. Andererseits habe ich die Hoffnung, daß die Subventionsmilliarden ohne bahnbrechende Ergebnisse bleiben werden. Wenn es um so viel Geld und Stellen geht, werden Resultate vorgetäuscht, geschönt, gefälscht oder frei erfunden, um sich auch bei ausbleibenden Fortschritten den eigenen Versorgungsposten zu sichern. Man muß sich ja schließlich nur auf dem Markt der Worte und Bilder bewähren, um an frisches Geld zu kommen. Wie beim Sportdoping wird wohl kein Insider durch umfassende Überprüfungen oder Geständnisse den Spielverderber spielen wollen.
Weil jede Technologie, die gegen die Bürger einsetzbar ist, auch gegen die Bürger eingesetzt wird (bspw. Mautbrücken, Gentests, Handy als Peilgerät, computergestützte Psychotests usw.), ist mir Geldverschwendung jedoch lieber als ein wirklicher Durchbruch in der Hirnforschung. Sollen sich die Forscher doch ein angenehmes Leben machen, anstatt ein zusätzliches Herrschaftsinstrument zu entwickeln.