Erfolg für Fridays for future: Sieg bei Klimaklage in Estland

Der Oberste Gerichtshof widerruft eine Baugenehmigung für eine treibhausgasintensive Schieferölraffinerie. Doch noch ist das Projekt nicht gestoppt.

Eine Fabrik mit rauchenden Schornstein.

Hier in Kivioli, im Nordosten Estlands, sollte eine Schieferölraffinerie entstehen Foto: Sander Ilvest/Scanpix/imago

STOCKHOLM taz | Gleich bei der ersten Klimaklage, die es in Estland bislang gab, haben die KlimaaktivistInnen von Fridays for Future Estland einen Erfolg errungen. Der Oberste Gerichtshof des Landes gab in der vergangenen Woche ihrer Klage auf Annulierung der Baugenehmigung für eine neue, treibhausgasintensive Schieferölraffinerie recht. In der Anlage soll Ölschiefer zu Schieferöl verarbeitet werden. Dabei hob das Gericht zwei anderslautende Urteile von Vorinstanzen auf und ordnete einen Baustopp für die im Nordosten Estland bereits im Bau befindliche Anlage an.

Die RichterInnen bemängelten vor allem Fehler bei der Umweltverträglichkeitsprüfung der Fabrik des staatlichen Energiekonzerns Enefit. Bei der Prüfung seien die Auswirkungen auf ein Vogelschutzgebiet, das Teil des EU-weiten Natura-2000-Netzwerks ist, „völlig unterschätzt“ worden.

Auch seien Fehler bei der Bewertung der umweltschädlichen Auswirkungen der mit Phenol verschmutzten Abwässer der Anlage gemacht worden. Auch die Folgen des Betriebs der Fabrik für die Treibhausgasbilanz Estlands seien nicht ausreichend beachtet worden.

Allerdings hielt das Gericht die von der Genehmigungsbehörde angestellten Überlegungen zu den Klimafolgen – und das hatte die Fridays-Klage vor allem bestritten – unter Berücksichtigung der damit verbundenen Unwägbarkeiten für gerade noch „vertretbar“. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung sei das verbindliche Klimaziel der EU lediglich gewesen, die Treibhausgasemissionen der Staatengemeinschaft insgesamt bis 2030 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken.

Gericht: Klimaziele auch mit Raffinerie erreichbar

Estlands Parlament hatte seinerzeit als Zielmarke festgelegt, die Klimagasemissionen des Energiesektors bis 2030 um 70, bis 2040 um 72 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent, jeweils im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Es erscheine gegenwärtig nicht unmöglich, diese Ziele auch mit dem Betrieb der neuen Raffinerie zu erreichen, so das Gericht.

Das aktuelle Urteil dürfte den Bau vermutlich nicht stoppen, sondern nur verzögern. Der Gerichtshof räumte den zuständigen Behörden nämlich die Möglichkeit ein, unter Berücksichtigung der Einwände des Gerichts eine neue Baugenehmigung zu erteilen. Weshalb Enefit schon kurz nach dem Urteil am Mittwoch ankündigte, man werde natürlich nachbessern, um die Anlage fertigbauen zu können.

Bei „Fridays for Future Estland“ glaubt man aber noch einen Trumpf in der Hand zu haben. Nach ihrer Fertigstellung brauche die Anlage eine Betriebsgenehmigung. Für diese würden dann aber nicht mehr die Klimaziele von 2019, sondern die mittlerweile verschärften aktuellen Werte gelten.

Regierung soll Klimaziele erfüllen

Eine rechtliche Einschätzung, die Heiki Loot, Richter am Obersten Gerichtshof gegenüber Medien grundsätzlich bestätigte. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Anlage noch mit diesen Klimazielen im Einklang steht“, meint Kertu Birgit Anton von „Fridays“: Selbst wenn die Raffinerie eine neue Baugenehmigung erhalten sollte, wäre es eher unwahrscheinlich, dass auch der Betrieb genehmigt werde. Falls doch, wäre dies ein Grund für eine neue Klage.

Über den aktuellen Fall hinaus verpflichtet der Oberste Gerichtshof die Regierung in Tallinn in seinem Urteil auch ausdrücklich, die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen und „rechtzeitig einen realistischen und rechtsverbindlichen schrittweisen und sektorbezogenen Emissionsverteilungsplan zur Erreichung der Klimaneutralität“ zu erstellen. Estland ist bislang eines der wenigen EU-Länder, die noch kein Klimagesetz haben.

Ein Grund für dieses Zögern dürfte die Frage der Zukunft der Ölschieferbranche im Land sein. Die heimische Stromproduktion beruhte zuletzt rund zur Hälfte auf der Verbrennung von Ölschiefer, der umweltschädlichsten und ineffektivsten Methode, um mit der Verfeuerung fossiler Brennstoffe Elektrizität zu produzieren. Im vergangenen Jahr betrug dieser Anteil sogar 57 Prozent. Die Stromproduktion aus Ölschiefer stieg um 42 Prozent.

In der Handelsbilanz des Landes nehmen der Export von Elektrizität und Raffinerieprodukten, die aus Ölschiefer gewonnen werden, die vordersten Plätze ein. An dieser Branche hängen auch Zehntausende Arbeitsplätze im strukturschwachen Nordosten.

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