Das höchste Holzhaus der Welt: Das Öko-Kartenhaus

In Österreich steht das höchste Holzhaus der Welt. Mit ihm kehrt der uralte Baustoff zurück in die Städte.

Holzhaus. Bild: dpa

ÖSTERREICH zeo2 | Schon von weitem ist der blitzende Büroneubau gut zu erkennen. Seine Konturen sind scharf, die Flächen glänzen, die Symmetrien sind stimmig. Luftschiffen gleich schweben beim Aufbau die einzelnen Bauteile heran und werden nach Lego-Baukasten-Manier vom Kranführer aufgesetzt. „Wie ein Kartenhaus“ werde der Bau zusammengesteckt, sagt der leitende Architekt und Münchner Holzbau- Professor, Hermann Kaufmann, „kein Presslufthammer, keine Kettensäge, keine Flex“.

Was hier als Achtgeschosser im österreichischen Dornbirn im Vorarlberg in erstaunlichem Tempo emporgewachsen ist, trägt den Titel „höchstes ungekapseltes Holz-Hybrid-Haus der Welt“ – ein innovativer Entwurf für nachhaltiges Bauen. Die wahren Werte ruhen bekanntlich im Inneren.

Das ist beim Life Cycle Tower nicht anders. Es ist das sichtbare, massive Holz in tragenden Bauteilen, das den Unterschied macht. Holz statt Stahl, Beton und Eisen. Holz prägt und durchdringt das Fast-Hochhaus vom Foyer bis in den achten Stock. Manchmal erinnert es an das gute alte Fachwerkhaus. Doch die moderne Handschrift ist an vielen Details erkennbar. Ganz ohne Stahl und Beton kommt das Haus allerdings dann doch nicht aus, vor allem wegen der – manchmal überzogenen – Brandschutz-Bestimmungen. Hier mangelt es noch an Erfahrungen der Bauzulassungsbehörden.

Weltweit leben inzwischen mehr Menschen in Städten als auf dem Land. In Deutschland wohnen sogar drei Viertel der Einwohner in Ballungsräumen. Darum wird über die Zukunft des Planeten vor allem in den Städten entschieden; neue Lösungen sind gefragt, mit möglichst kleinem ökologischem Fußabdruck.

Holzbrett. Bild: dpa

Doch der konventionelle, von Stahl und Beton dominierte Hochbau verbraucht immer noch gewaltige Mengen Rohstoffe und Energie. Auch die Ressourcen Zeit und Geld werden durch lange Planungs- und Bauphasen strapaziert. So sucht der intelligente Städtebau heute nach Konzepten, bei denen Kosten-, Energie- und Ressourceneffizienz gleichrangig nebeneinander stehen.

Der Life Cycle Tower zeigt, wohin die städtebauliche Reise in eine nachhaltigere Zukunft gehen könnte. Die Baugruppe Rhomberg hat vor drei Jahren ein Expertenteam zusammengestellt, um im Holzbauland Österreich Neues zu wagen. Ergebnis: ein holzbasiertes, modulares Baukastensystem mit bis zu 20 Stockwerken. Der Prototyp dieses Holz-Beton-Hybriden, bei dem nur der Erschließungskern mit Treppenhaus und Fahrstuhl komplett aus Beton und Stahl gefertigt ist, wurde nun in Dornbirn fertiggestellt.

Wichtigstes Material ist nachwachsendes, auf allen Kontinenten verfügbares Holz, das beim Life Cycle Tower sichtoffen bleibt – ohne Ummantelung oder Verkapselung, ein Novum im Hochbau. Die Vorteile: Holz hat gute Dämmeigenschaften, kann Wärme speichern und bei Bedarf wieder abgeben. Es ist leicht, verfügt über gute konstruktive Eigenschaften und eine hohe Festigkeit. Holz ist von Natur aus „diffusionsoffen“, es hält in Massivholzbauten durch seine feuchtigkeitsregulierende Wirkung die Raumluft im Bereich der Behaglichkeit.

Darüber hinaus bindet es das Klimagas Kohlendioxid und ist zu 100 Prozent recyclingfähig. Ein nachhaltig bewirtschafteter Forst soll durch seine vermehrte Nutzung der Holzprodukte als Kohlenstoffsenke sogar mehr CO2 speichern als ungenutzte Ur- oder Nationalparkwälder.

Holzstapel. Bild: dpa

Kaufmann fasste es auf der Bregenzer Architektur-Tagung dieses Jahr so zusammen: „Holz kann alles: dämmen, tragen und schön sein.“ Es sei nun an der Zeit, findet der Münchner Architekt, den Holzbau aus dem Gefängnis der Zwei- bis Drei-Geschosser zu befreien und in den urbanen Raum zurückzuführen. Schließlich wurden schon im Mittelalter sechsgeschossige Holzbauten errichtet.

In Dornbirn sind es acht Stockwerke, die im Rekordtempo aufgebaut wurden. Durch die vorgefertigten Bauelemente wird Zeit und Geld gespart und auch die Belastung durch Verkehr, Staub und Lärm reduziert. Der Tower wuchs täglich um ein bis zwei Stockwerke, so dass der wetterfeste Rohbau innerhalb von zehn Tagen fertiggestellt war. Ein vergleichbares Gebäude aus Stahl und Beton hätte sehr viel mehr Zeit erfordert.

Noch wichtiger: Die CO2-Bilanz hat sich in Dornbirn im Vergleich zu konventionellen Hochbauten um rund 90 Prozent verbessert. In dieser Rechnung sind alle Emissionen durch Herstellung, Transport, Einbau und Unterhalt der Baumaterialien enthalten bei einer auf 50 Jahre angesetzten Nutzungsdauer inklusive Demontage und Entsorgung der Rohbaukonstruktion. Das Bilanzplus verdankt sich vor allem der verbauten Holzmenge von 280 Kubikmetern.

Beim Material- und Wasserverbrauch benötigt der Life Cycle Tower laut Analyse des Wuppertal-Instituts 39 Prozent weniger Energie und Ressourcen als ein vergleichbares Stahlbeton-Haus. Mit dieser Ökobilanz setzt das Projekt neue Standards. Das konstruktive Prinzip basiert auf einfachen, rein mechanischen Steckverbindungen. Die Verbundelemente werden im Werk millimetergenau gefräst. In die Deckenelemente wird die Haus- und Systemtechnik mit Heiz- und Kühlmodulen integriert sowie Beleuchtungs-, Lüftungsund Sprinklersysteme.

Holzherkunft. Bild: dpa

Das Thema Brandschutz ist im Hochhausbau elementar. Vorurteile, wonach Holz wie Zunder brennt, sind schwer auszurotten. Ein massiver Balken fängt aber so leicht kein Feuer. Beim Bürotower in Dornbirn verstärkt das überall sichtbare Holz die Ängste. Laut Vorschrift liegt hier eine „immobile Brandlast“ vor, die ein erhöhtes Risiko darstellt. Diesem Risiko begegnete die Rhomberg-Tochter „Cree“ mit dem Einbau einer automatischen Löschanlage: einem Sprinklersystem.

In Ländern mit weniger strengen Vorschriften kann der Holzanteil noch deutlich gesteigert werden. In Sachen Energiestandard dürfen die Kunden je nach Klimazone und Budget zwischen Passivhaus-, Plus- oder Niedrigenergiestandard wählen. Der Prototyp hat Passivhaus-Standard. Dem nachwachsenden Rohstoff Holz stellt man die komplette Sparte Erneuerbarer Energien an die Seite: Eine Beheizung mit Erdwärme ist ebenso realisierbar wie Luftwärme- oder Sole-Wasser- Wärmepumpen. Die Kraft der Sonne kann durch Solarthermie zur Warmwasserbereitung und durch fassadenintegrierte Photovoltaik zur gebäudeeigenen Stromversorgung genutzt werden.

Die Niedrigenergie-Flächenheizsysteme erzeugen langwellig-gesunde Strahlungswärme. Zudem ermöglicht die modular aufgebaute Energieversorgung, sich bei lokalen Versorgern zu bedienen. So wurde der Prototyp am Standort Dornbirn an das Nahwärmenetz angedockt, das von einem Blockheizkraftwerk gespeist wird. In den Raumabmessungen bleibt der Holzbau flexibel. Seine stützenund wandfreien Innenräume sind durch Trennwände individuell einteilbar. Er kann wahlweise als Büro-, Wohn-, Gewerbe- oder Mischobjekt genutzt werden. In den Prototyp sind im vorigen September die ersten Mieter eingezogen.

Herbert Koschier vom Logistik-Unternehmen Infeo residiert im fünften Stock. Sein Unternehmen ist aus der Innenstadt umgezogen, um Lärm und Enge gegen Ruhe und räumliche Weite zu tauschen. Koschier verbindet Klimaengagement mit einer Prise Patriotismus: „Vorarlberg ist Holzland. Diese besondere Atmosphäre wollten wir auch in unseren Büros erleben. Zudem sind uns Nachhaltigkeit und Klimaschutz wichtig. Wir fühlen uns pudelwohl und haben auch nach einem langen Tag im Büro nie das Gefühl von schlechter Luft.“

„Holz ist heimelig“

Christian Häusle ist Geschäftsführer einer Energiecontracting-Firma, die ebenfalls in den Holztower eingezogen ist. „Holz ist heimelig“, sagt er, „zugleich hat uns der Coolness-Faktor des Life Cycle Tower angesprochen, das Neue, Zukunftsweisende. “ Und: „Wir können das Holz im Raum fühlen, riechen und sehen.“ Die Bauherren fühlen sich neu motiviert: Aus dem Vorarlberger Pilotprojekt soll ein globales Serienprodukt entstehen. Nach Auskunft von Marketing-Chef Michael Zangerl rechnet die Rhomberg-Tochter „Cree“ in den nächsten zwei bis drei Jahren mit bis zu sieben weiteren großen Holzbauten.

Bestenfalls wird der Dornbirn-Tower zur ökologischen Blaupause im weltweiten Städtebau. Als erstes Folgeprojekt errichten „Cree“ und Architekt Kaufmann jetzt ein großes Bürohaus für die Vorarlberger Ill- Wasserwerke in Vandans. Bei Projekten im Ausland sollen die Bauelemente nicht in Österreich produziert werden. Die Konzeption sieht vor, ein Planungsteam in die jeweiligen Länder zu entsenden und vor Ort heimische Partner einzubinden, die unter Lizenz aus lokalen Ressourcen fertigen. Ziel: dezentrale Kreisläufe mit Wohlfahrtseffekten für die Region. Die Praxistauglichkeit des mit viel Marketingaufwand beworbenen Systems muss sich aber erst noch beweisen.

Kritisch sind auch die Kosten des Life Cycle Tower zu sehen. Sie belaufen sich auf 3,3 Millionen Euro netto. Bei der Vergleichsrechnung betrug die Kostendifferenz zu einem gleichgroßen Stahlbeton- Bau 3,5 Prozent. Holz ist per se teurer als Stahlbeton. Die Vorteile der kürzeren Bauzeit und der erheblich besseren CO2-Bilanz fehlen in dieser Bilanz – sie lassen sich schwer in präzise Geldwerte umrechnen. Bei einer Bruttogeschossfläche von 2319 Quadratmetern beträgt die Mietfläche 1765 Quadratmeter. Das Haus beherbergt indes nicht nur Büroräume. Im Erdgeschoss hat sich, passend zum Projekt, das „Zukunftsmuseum Architektur“ niedergelassen.

Marc Wilhelm Lennartz, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 2/2013. Den Artikel konnen Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.