#Bombergate und die Folgen: Piraten wählen Krawall

Der Berliner Landesverband wählt Christopher Lauer zum Vorsitzenden und provoziert in der innerparteilichen Auseinandersetzung.

Christopher Lauer am Wochenende auf dem Landesparteitag Bild: dpa

Die Berliner Piraten setzen weiter auf Provokation: Trotz der heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen rund um Flaggengate und Bombergate haben sie am Wochenende auf ihrem Parteitag wieder Flagge gezeigt: Im Tagungsraum im ersten Stock des Gebäudes des Neuen Deutschlands am Ostbahnhof in Berlin befestigten sie an einem Fenster eine Fahne auf mit der Aufschrift "No Masters - No Slaves - No Gods", einem fünfzackigen schwarzen Stern und dem Frauensymbol. Die Flagge wird etwa über einen anarchistischen Versandhandel verkauft. Bei einer Abstimmung waren rund 80 Prozent der etwa 200 Anwesenden dafür, die Flagge aufzuhängen. Jemand aus dem Parteitag/2014.1/AwarenessTeam:Awarenessteam nahm sie später allerdings ab, nachdem es Hinweise gab, die Flagge sei rassismusverharmlosend.

Die innerparteiliche Auseinandersetzung stand in Berlin nicht auf der Tagesordnung: Es wurde kein Antrag mit einer Positionierung dazu behandelt, es gab auch keine Aussprache zu dem Thema. Bei vielen verschiedenen Gelegenheiten betonten Redner allerdings, wie froh sie sind, gerade dem Berliner Landesverband anzugehören. Der scheidende Landesvorsitzende Gerhard Anger sagte bei seiner Begrüßungsrede etwa: "Ich möchte in einer Partei sein, die sich Faschisten energisch entgegenstellt, wo immer es möglich ist. (...) Und ich bin in dieser Partei, denn ich bin Mitglied im Landesverband Berlin der Piratenpartei Deutschland."

Das ganze Wochenende über wurde deutlich: Der Berliner Landesverband ist selbstbewusst wie eh und jeh und glaubt nicht, eigene Fehler in der Debatte gemacht zu haben. Für die anstehende Richtungsdiskussion in der Partei gab der neue Landesvorsitzende Christopher Lauer als Ziel vor, dass Berlin dabei den Ton angeben müsse. Lauer sagte, der Verband solle "eine Grundsatzdiskussion zumindest für Berlin mal im nächsten Jahr klarkriegen. Die schöne Stärke des Berliner Landesverbandes war ja in der Vergangenheit, dass wenn wir hier auf Landesebene was klargekriegt haben, dass das dann auf wundersame Weise später auch im Bundesprogramm der Partei stand. Und da sollten wir glaube ich wieder hin."

Nicht nur die negativen Folgen des innerparteilichen Streits blendete der Parteitag aus, sondern auch die schlechten Umfragen, bei denen der Landesverband die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr knackt. Es waren stattdessen zwei Tage mit einer produktiven und gut gelaunten Versammlung, ohne unproduktiven Streit und sogar ohne die sonst üblichen Schlachten um die Geschäftsordnung. Der neue Landesvorsitzende will die Partei nun auch in der öffentlichen Wahrnehmung wieder nach oben bringen.

Inhalte: flexibel

Mit Blick auf die nächsten Landeswahlen sagte Lauer: „Das Ziel muss sein, mindestens die 15 Prozent, die wir mal in den Umfragen hatten, 2016 zu realisieren und kackendreist zu sagen: Ja klar wollen wir in die Regierung.“ Der Grund dafür: „Ich kann aus zweieinhalb Jahren persönlicher Erfahrung sagen: Opposition ist Mist. Es ist deutlich schwerer, seine Sachen umzusetzen, als wenn man in der Regierung ist.“

Lauer präsentierte sich bei der Kandidatur als jemand, der vom Ton her laut auftritt und bei den Inhalten flexibel ist. „Die Entscheidung, die ihr jetzt als Landesmitgliederversammlung treffen müsst: Wie krawallig wollt ihr es denn haben mit dem Vorsitzenden?“ Dabei war klar, dass er für den Krawall steht und nicht sein Gegenkandidat, der Student Thomas Wied. Zu der Frage, mit welchen Inhalten die Partei wieder Wähler gewinnen könnte, sagte Lauer: „Mir ist es egal, ob die Katze weiß oder schwarz ist, Hauptsache sie fängt Mäuse.“

Mehr Publicity

Lauer gehört zu den bundesweit bekanntesten Piraten und war bis Mai 2013 auch Vorsitzender der Piratenfraktion, als er nach einem heftigen Zerwürfnis mit anderen Abgeordneten nicht mehr kandidierte. Seitdem war er in der Öffentlichkeit nicht mehr so präsent; andere Piraten wie der Vorsitzende des BER-Untersuchungsausschusses, Martin Delius, kamen häufiger in die Medien.

Von der Wahl zum Landesvorsitzenden erhofft Lauer sich wieder mehr Publicity. Die Aufgabe eines Vorsitzenden sei es, „mit der Presse zu kommunizieren, die Arbeit des Landesverbandes nach außen zu transportieren, was meiner Meinung nach dann auch Motivation schafft, Motivation durch Sichtbarkeit.“ Das kenne er als Abgeordneter selber, sagte Lauer. „Wenn die politischen Initiativen, die man anstößt im Parlament, auf Öffentlichkeit und öffentlichen Widerhall stoßen, dann motiviert das natürlich mehr, als wenn man für den Papierkorb arbeitet.“

Kein guter Teamplayer

Für seine Vorstandskollegen dürfte es nicht leicht mit Lauer werden. „Es wäre jetzt Quatsch, wenn ich erzähle, ich bin ein super Teamplayer“, sagte Lauer. „Mir ist bewusst, dass ich Menschen oft verwirre und dass ich auf Menschen oft auch ein bisschen unberechenbar wirke; daran arbeite ich. Das liegt dann daran, dass ich mir meine Gedanken im Stillen mache, relativ schnell zu einem Ergebnis komme und dann fest davon überzeugt bin, dass dieses Ergebnis so und nicht anders umgesetzt werden sollte.“ Bertapetra:Eine Kandidatin für den stellvertretenden Vorsitz konnte sich die Zusammenarbeit mit Lauer offenbar nicht vorstellen. Sie unterstützte seinen Gegenkandidaten und zog ihre Bewerbung zurück, als Lauer gewählt wurde.

Zum ehemaligen Flughafen Tempelhof beschlossen die Piraten, dass im Falle eine Scheiterns des Volksentscheides für ein 100 Prozent freies Feld die dort entstehenden Wohnungen zu zwei Dritteln von landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gebaut werden sollen. Von diesen Wohnungen werden ein Drittel für Obdachlose und Flüchtlinge zur Verfügung gestellt.

Ein Quadratmeter Feld für jeden

Für die Freifläche auf dem Gelände haben die Piraten eine Parteitag/2014.1/Antragskommission/Antragsportal/Sonstiger_Antrag_-_011:innovative Idee: Das Feld wird unter den Berlinern verteilt. Wenn nach der Bebauung noch 230 Hektar übrig bleiben, heißt das, dass jeder Wahlberechtigte einen knappen Quadratmeter erhält. Über ein Online-Tool kann dann jeder Berliner entscheiden, was mit dem eigenen Quadratmeter passiert: Auf der Plattform im Netz sollen sich einzelne Gruppen mit ihren Gemeinschaftsprojekten vorstellen. Einzige Bedingung: Man muss es hinterher wieder abbauen können, denn die Nutzung ist zeitlich begrenzt. Es kann sich auch eine Gruppe bilden, die eine Teilfläche im Sinne des Naturschutzes unberührt lassen will.

Außerdem fordern die Piraten, dass der Zaun rund um das Tempelhofer Feld verschwindet. Derzeit wird der Park bei Sonnenuntergang geschlossen.

Online abstimmen

Schließlich machten die Piraten ein altes Versprechen wahr: Auch innerhalb der Partei soll es bald möglich sein, verbindliche inhaltliche Beschlüsse über das Internet zu fassen. Das //wiki.piratenpartei.de/BE:Parteitag/2014.1/Antragskommission/Antragsportal/Satzungs%C3%A4nderungsantrag_-_004:Modell sieht vor, dass jedes Mitglied sich dort mit seinem echten Namen anmelden muss. Geheime Abstimmungen gibt es nicht: Bei einer Abstimmung kann jedes Mitglied sehen, wie die anderen Mitglieder abgestimmt haben. Der Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner kritisierte, so entstehe eine „Gesinnungsdatenbank“. Doch der Mehrheit war diese Funktion wichtig, damit jede Abstimmung durch jedes Mitglied überprüfbar ist und niemand darauf angewiesen ist, den eigenen Systemadministratoren zu vertrauen. Erst nach ein paar Monaten wird das Abstimmungsverhalten anonymisiert, danach ist nur noch das Abstimmungsergebnis sichtbar.

Die Stimme kann auf andere Mitglieder übertragen werden, diese Delegation verfällt aber, wenn sie nicht regelmäßig neu bestätigt wird. Eine Minderheit kann verlangen, dass die Abstimmung auf den nächsten Parteitag verschoben wird - dort sind auch geheime Abstimmungen möglich.

Misstrauen gegen IT-Mitarbeiter

Die Folgen des Orgastreik waren am Sonntag kurz Thema: Die Berliner nahmen die Aktion zum Anlass, den IT-Verantworlichen der Bundespartei ihr Misstrauen auszusprechen. Bei einem Meinungsbild, welcher Organisation die Anwesenden zutrauen, die Mailinglisten zuverlässig zu betreiben, kamen die IT-Mitarbeiter des Bundesverbandes nur auf 56 Prozent, Google auf 63 Prozent und mittelständische deutsche Server-Anbieter auf 84 Prozent.

In einem weiteren Meinungsbild war die große Mehrheit der Anwesenden auch dafür, dass der Landesverband seine Mailinglisten in Zukunft selbst betreibt, anstatt dass die IT-Mitarbeiter des Bundesverbandes machen zu lassen. Kurz darauf scheiterte das Vorhaben allerdings vorerst: Es stellte sich heraus, dass sich unter den Anwesenden nicht genug fanden, die fähig und willens wären, sich selbst um die Technik zu kümmern.

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