Baustopp für Küstenautobahn: Der Sieg der Fledermaus

Bundesverwaltungsgericht rügt Missachtung von Naturschutzrechten für Deutschlands größtes Fledermaus-Winterquartier.

So lang soll sie mal werden: Die Küstenautobahn A 20. Bild: Verkehrsministerium Schleswig-Holstein

HAMBURG taz | Der Bau der Küstenautobahn A 20 in Schleswig-Holstein ist vorläufig gestoppt. Das entschied am Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig auf Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) und des Naturschutzbundes (Nabu) sowie der Gemeinde Klein Gladebrügge. Die Planfeststellung habe den Schutz von mehr als 20.000 Fledermäusen von 15 verschiedenen Arten in den nahe gelegenen Segeberger Kalkberghöhlen, dem größten deutschen Fledermaus-Quartier, nicht ausreichend berücksichtigt, erklärten die Leipziger Bundesrichter. Zudem seien naturverträglichere Trassen als die Zerschneidung des Travetals, das nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) der EU geschützt ist, nicht geprüft worden.

Die Begründung für den Erfolg der Klagen ist eine unverblümte Rüge für planerischen Pfusch: Die angewandte „Methode der Bestandserfassung der im Vorhabenbereich vorkommenden Fledermäuse“ habe das Gericht nicht „davon überzeugen können, dass diese Methode den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht“. Zudem sei eine der üblichen Flugrouten der Fledermäuse zunächst übersehen worden. „Daher konnte das Gericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass das Vorhaben mit den Erhaltungszielen des FFH-Gebiets ’Segeberger Kalkberghöhle‘ verträglich ist“, heißt es in dem unanfechtbaren Beschluss.

Die Autobahntrasse soll die Kreisstadt Bad Segeberg südlich umgehen und im Abstand von nur etwa 1,5 Kilometern am Kalkberg vorbeiführen, der vor allem durch die Karl-May-Festspiele bekannt wurde. Tatsächlich handelt es sich bei dem 91 Meter hohen grauen Gipsberg um ein nach EU-Recht zu schützendes Habitat. Für Fledermäuse ist es eines der wichtigsten Überwinterungsquartiere in Deutschland. Bis zu 400.000 Ausflüge pro Nacht wurden dort von Biologen gezählt.

Die 1998 als "Ostseeautobahn" zwischen der polnischen Grenze und Lübeck geplante A 20 soll auf 542,4 Kilometer Gesamtlänge zur "Küstenautobahn" bis an die Nordsee ausgebaut werden.

In Betrieb sind bislang 345,2 km von der Uckermark bis Weede östlich von Bad Segeberg, davon 38,8 km in Schleswig-Holstein.

Im Bau befinden sich zwei zusammen 29,7 km lange Teilstücke: Weede-Wittenborn und weiter zur A 7 bei Bad Bramstedt.

In Planung sind nach Südwesten 40 km bis zur Elbe mit einem 6,5 km langen Tunnel bei Glückstadt und dann weitere 121 km durch Nordwestniedersachsen: über Bremerhaven und durch den Wesertunnel der B 437 bei Stadland bis Westerstede an der A 28 nördlich von Oldenburg.

Das Problem: Die meisten Fledermausarten fliegen und jagen knapp über dem Boden. Deshalb können sie leicht mit schnellen Autos oder Motorrädern zusammenstoßen, die ihre Flugschneisen queren. Das dürfte für die Flugsäuger oftmals tödlich enden, birgt aber auch ein Verletzungsrisiko für die menschlichen Verkehrsteilnehmer: Eine bei 100 Stundenkilometern auf der Windschutzscheibe oder am Motorradhelm zerschellende Fledermaus kann zu schweren Unfällen führen. Die bei Bad Segeberg geplanten Schutzmaßnahmen seien völlig unzulänglich, hatten die beiden Naturschutzverbände kritisiert – zu recht, wie jetzt das Bundesverwaltungsgericht befand.

Die A 20 begann 1998 als „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“. Als „Ostseeautobahn“ sollte sie von der polnischen Grenze durch Mecklenburg-Vorpommern nach Lübeck führen. Diese gut 300 Kilometer sind fertig gestellt. Zurzeit soll sie um mehr als 200 Kilometer bis an die Nordsee verlängert werden: Als „Küstenautobahn“ soll sie nordwestlich um Hamburg herum geführt werden und zwischen Glückstadt und Drochtersen die Elbe in einem Tunnel nach Niedersachsen unterqueren. Enden soll sie an der A 28 nördlich von Oldenburg.

Recht bekamen die Umweltverbände nun auch mit einem zweiten Kritikpunkt: Die Autobahn soll das Tal des zweitgrößten schleswig-holsteinischen Flusses Trave an einer Stelle queren, die ebenfalls als FFH-Gebiet geschützt ist. Hier gibt es seltene Kalktuff-Quellen mit versteinerten Ablagerungen. Auch der Planfeststellungsbeschluss räumte eine „erhebliche Beeinträchtigung prioritärer Lebensraumtypen“ ein. Allerdings wurden nach Ansicht der Leipziger Richter „nicht in ausreichendem Maße“ alternative Trassenführungen geprüft.

Stattdessen wollte das Land eine zwei Hektar große Fläche des nahe gelegenen Gestüts Lasbek als ökologische Ausgleichsmaßnahme erwerben. Diese aber ist bereits als besonderes Biotop geschützt. Eine ökologische Aufwertung sei nicht möglich, folglich komme das Areal als Ausgleich gar nicht in Frage.

BUND und Nabu reagierten am Mittwoch höchst erfreut: „Wir sind glücklich darüber, dass man unserem Kritikpunkt bezüglich der Flugrouten der Fledermäuse gefolgt ist“, sagte Ingo Ludwichowski vom Nabu. Theoretische Rechenmodelle, die auf Datenerhebungen vor Ort verzichten, seien auch für die Zukunft ausgeschlossen. „Nicht die Fledermäuse haben die Autobahn verhindert, sondern massive Planungsfehler“, sagte Ludwichowski. „Wir mussten der Natur zu ihrem Recht verhelfen“, kommentierte die BUND-Vorsitzende Claudia Bielfeldt.

Innerhalb der Kieler Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) ist die A 20 umstritten. So sprach Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) jetzt von einem Rückschlag: Die notwendigen Planänderungen würden mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen. Sein grüner Koalitionspartner hingegen freut sich leise. Wieder mal müsse „ein Gericht dafür sorgen, dass StraßenplanerInnen die Gesetze beachten“, kommentiert die Grünen-Umweltpolitikerin Marlies Fritzen. Und für ihren Parteifreund Andreas Tietze, zuständig für Verkehrsfragen, ist das Urteil ein Beleg dafür, dass Verkehrsprobleme nicht durch „rücksichtsloses Vorantreiben von Prestigeprojekten“ gelöst werden können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.