Unerfreuliche Begegnungen: Über das Zurückweichen

Was tun, wenn dich jemand vor den Augen deiner Kinder aggressiv angeht? Die Antwort weiß vielleicht der Ethikrat.

Robert Habeck auf dem Fahrrad mit Bodyguard

Nicht jede Fahrradfahrerin hat einen Bodyguard bei sich, obwohl es mitunter besser wäre Foto: Kay Nietfeld/dpa

Kürzlich pampte ich die Kinder an. Vielleicht ist anpampen ein zu milder Begriff für meinen Zorn, als sie meine Aufforderung, die Spülmaschine auszuräumen, mit der Frage quittierten, wie viel ich selbst im Haushalt täte. „Das muss ganz sicher nicht eure Sorge sein“, schrie ich, als ich ein schabendes Geräusch am Fenster hörte.

Als ich hinausschaute, sah ich den Ethikrat, der sich auf den Stufen unserer Katzentreppe niedergelassen hatte. Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Hinweise in Fragen praktischer Ethik geben. „Guten Abend“, sagte ich noch immer aufgebracht, „Sie können auch einfach an der Tür klingeln.“

„Danke, Frau Gräff“, sagte der Ratsvorsitzende und hielt sich an der Hauswand fest, denn die Katzentreppe war eher instabil. „Tatsächlich sind wir in der Rolle unbeteiligter Beobachter.“ – „Tatsächlich?“, fragte ich. „Waren Sie nicht kürzlich noch in der Rolle beteiligter Friseure?“, denn der Ethikrat hatte in einem Moment des Ungenügens einen Friseursalon übernommen. – „Wir hatten Sehnsucht nach philosophischer Arbeit“, sagte eines der beiden anderen Ratsmitglieder, die in der Regel schwiegen.

Der Rat überwand ein wenig mühsam das Fensterbrett, und ich bat ihn ins Wohnzimmer. Die Kinder betrachteten ihn überrascht. „Das ist der Ethikrat“, stellte ich vor. „Das sind meine Kinder.“ – „Angenehm“, sagte der Rat. – „Wir müssen jetzt leider die Spülmaschine ausräumen“, sagten die Kinder. – „Wie bedauerlich“, sagte der Ratsvorsitzende. „Wir beginnen gerade unsere Studie zum Thema Zorn als Mittel der Selbsterkenntnis.“ – „Sehr bedauerlich“, sagte ich und schloss die Tür zur Küche.

„Kann ich Sie noch etwas zum Thema Zorn fragen?“, wandte ich mich an den Ethikrat, der sich auf dem Sofa niedergelassen hatte. Ich war kürzlich spätabends mit den Kindern von einem Fest nach Hause geradelt, das ältere Kind hatte vor Müdigkeit kaum geradeaus fahren können. Kurz vor unserem Haus waren wir auf zwei Frauen getroffen, die eine meckerte das auf sie zuschlingernde ältere Kind an: „Entscheid dich mal.“ – „Das Kind ist müde und tut, was es kann!“, rief ich. – „Mach dich vom Acker!“, rief die Frau. Sie war vielleicht Anfang 60, ein bisschen untersetzt, blonder Knoten.

Es riecht nach Schlägerei

Ich blieb stehen. „Die Stadt gehört allen“, sagte ich und fand selbst, dass das milde pathetisch klang. – „Mach dich vom Acker!“, wiederholte die Frau und näherte sich mir. Es roch nach Schlägerei. Das große Kind radelte panisch davon, das kleinere wand sich auf meinem Rücksitz. – „Lass doch“, sagte die zweite Frau zur Acker-Frau. – Ich fuhr davon. Das große Kind stand weinend vor der Tür und sagte, es habe die Polizei rufen wollen, aber das Telefon zu Hause gehabt.

„Ich frage mich“, sagte ich zum Ethikrat, „ob es fahrlässig war, nicht direkt nach Hause zu radeln. Aber mir war nicht klar, dass die Kinder so viel Angst hatten. Und dass die Frau sich würde schlagen wollen.“ – „Warum sind Sie stehen geblieben?“, fragte der Ratsvorsitzende und machte sich Notizen in einem karierten Schulheft. – „Ich wollte das Gepampe der Frau nicht unwidersprochen stehen lassen“, sagte ich. „Ist das nicht auch eine Art Vorbild für die Kinder, sich nicht einschüchtern zu lassen?“

„Suchen Sie nach einer Rechtfertigung dafür, dass Sie Ihr Bedürfnis nach Selbstbehauptung über die Bedürfnisse Ihrer Umgebung gestellt haben?“, fragte der Ratsvorsitzende und malte ein Herz in sein Karoheft. – „Nein“, sagte ich, und es war eine Lüge. „Ich hoffte, Ihrer Zornforschung Material an die Hand zu geben.“ Aber da klirrte es in der Küche, als sei es jemandem allzu gleichgültig, wovon wir künftig essen würden.

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