Vielfältige Blicke nach Kuba

Die Ausstellung „Havanna Berlin Stories“ im Schloss Biesdorf knüpft transatlantische Verbindungen, ohne zu romantisieren

Von Tom Mustroph

Havanna und Berlin waren sich einst ziemlich nahe. Revolutionäres Pathos gab es in beiden Städten. Die Improvisationskunst, wie sie für den sterbenden Sozialismus typisch war, hat sich in Kuba länger erhalten, wie die alten Cadillacs beweisen, die noch immer recht munter durch die tropische Hauptstadt fahren – und die getunten Trabis an der Spree ganz locker in den Schatten stellen.

Noch so eine Gemeinsamkeit stellt die Dada-Bewegung dar. Die war in den 1920er Jahren in Berlin schwer angesagt. Der Berliner Künstler Hans Hs Winkler erinnert derzeit im Schloss Biesdorf an deren kubanische Schwesterbewegung: Die Grupo Minorista etablierte sich im März 1923 in einem Café in Havanna. Und die Collagen aus rasanten Technikelementen wie Autos und Flugzeugen und menschlichen Skelettteilen, die die Minoristas herstellten und die in Plakatform im runden Treppenhaus des Schlosses Biesdorf zu sehen sind, lassen sich gut ins europäische Dada einsortieren. Die Forderungen, die im Manifest der Gruppe auftauchen, sowieso. Von Freiheit für Kunst und Lehre ist die Rede, gegen Diktaturen wird mobilgemacht und bessere Lebensbedingungen für Arbeiter und Bauern gefordert. Winkler präsentierte seine Hommage an die Grupo Minorista zuvor bereits im Museo Nacional de Bellas Artes in Havanna. Dass dort die Freiheitsparolen auch in Anwesenheit des Kulturministers ausgerufen wurden, ist ein schöner Coup des Aktionskünstlers. Winklers wohl spektakulärste Aktion war 1996 die Rotfärbung der Freiheitsstatue in New York (als p.t.t.red gemeinsam mit Stefan Micheel).

Brecht in Havanna

Jetzt ließ er in einer Zusammenarbeit mit dem kubanischen Künstler Felipe Dulzaides ein Alter Ego von Bertolt Brecht durch Havannas Straßen ziehen. Der kam, wie in der Videoarbeit „Brecht ist in Havanna“ zu sehen, an malerisch verfallenen Fassaden vorbei, mischte sich unter Handy-bewehrte Touristen und tauchte in einem Boxclub auf. Fürs Boxen ist Kuba berühmt. Brecht war ein großer Verehrer des Faustkampfs. „Brechts Stücke werden in Kuba häufig aufgeführt. Er gilt als Beispiel dafür, wie man Kritik äußern und erfolgreich sein kann“, erklärte Dulzaides der taz die Beliebtheit des deutschen Dramatikers auf der Tropeninsel.

Für ein ganz besonderes deutsch-kubanisches Kapitel sorgt der Berliner Künstler Thomas Bratzke mit seiner Rauminstallation „Mit uns zieht die fremde Zeit“. In einer Couchecke sind kubanische Zeitungen ausgebreitet, ganz oben das Staatsorgan Granma. In einem Videointerview erzählt Omelio Espinoza Ramirez, wie er zu DDR-Zeiten als Student nach Berlin kam, dort eine deutsche Freundin fand, sie heiratete und auch einen Sohn bekam – eben Thomas Bratzke – und dann aber wieder nach Havanna zog. Bratzke kommentiert diese sehr brüchige Geschichte über zwei Kontinente und einen Systemwechsel mit einigen Familienfotos und einer inszenierten Wohnungseinrichtung. Sie ist sogar ultralokal, denn Espinoza Ramirez wohnte einst im Studentenwohnheim „Victor Jara“ keine drei Kilometer vom Schloss Biesdorf entfernt.

Die kubanische Künstlerin Eileen F. Almarales Noy macht in einer Fotoserie, die sie am Strand zeigt, auf den Unterschied zwischen dem touristischen Kuba und dem Alltag der Einheimischen aufmerksam. Denn erst als zeitweilige Rückkehrerin aus Europa konnte sie sich an dem Strand aalen, der sonst nur den Devisenbringern vorbehalten ist.

„Havanna Berlin Stories“ sorgt für sehr vielfältige Blicke auf Havanna. Die einzelnen Arbeiten romantisieren nicht, werten weder auf noch ab, sondern eröffnen einen Assoziationsraum zu einem Land, das in mancher Hinsicht weniger fern ist als gedacht.

„Havanna Berlin Stories“: Schloss Biesdorf. Bis 11. 2. 24