Es geht darum, sich selbst zu vertrauen

Beim Festival „Female To Empower“ im Silent Green spielen und berichten Pionierinnen des britischen Punk

Am Ende gemeinsam auf der Bühne: Leslie Woods an der Gitarre und Farida Amadou am Bass werden von Gina Birch in Ocker und ihren Kolleginnen unterstützt Foto: Udo Siegfriedt

Von Jens Uthoff

Als hätte der britische Punk der späten siebziger Jahre eine Zeitreise unternommen und sei im Wedding des Jahres 2023 zu Gast: Gina Birch, Gitarristin und Sängerin der 1977 gegründeten Londoner Gruppe The Raincoats, heute 68 Jahre alt, steht mit Boots und Wuschelfrisur im ockerfarbenen Dress auf der Bühne des Silent Green und spielt Stücke ihres vor Kurzem erschienenen Debüt-Soloalbums „I Play My Bass Loud“. Sie rockt Tracks wie „I Wish I Was You“ oder die Raincoats-Version von „Lola“ runter. Zuvor hat sie in einem Talk erzählt, wie befreiend Punk für sie war: „Als ich die Band The Slits zum ersten Mal gesehen habe, öffnete sich eine neue Welt für mich. Als wäre ich blind gewesen – und plötzlich konnte ich sehen.“

Das Festival „Female To Empower“, das der Berliner Kurator Andreas Döhler ins Leben gerufen hat, widmete sich zwei Tage lang der Repräsentation von Frauen im Punk, im Rock und in der improvisierten Musik. Am Samstag waren neben Gina Birch auch Lesley Woods, ehemalige Gitarristin und Sängerin der Birminghamer Postpunk-Band Au-Pairs, sowie die Brüsseler Bass-Improvisationsmeisterin Farida Amadou zu Gast.

Was im Lauf des Programms sehr deutlich wird: Die Punk-Revolution der Endsiebziger lag vor allem darin, dass sich jeder – und eben auch jede – ausprobieren konnte. Do It Yourself war das Gebot der Stunde, man brauchte nur ein Instrument. Ob man es spielen konnte, war zweitrangig – Hauptsache, man konnte sich damit ausdrücken. Auch viele Frauen gründeten Bands. Einige wenige, wie The Raincoats, The Slits und X-Ray Spex, sind bis heute noch bekannt. Wie viele weitere es noch gab, zeigt während des Festivals der Film „Stories of the She Punks“ (2018), den Gina Birch und Helen McCookerybook (Helen Reddington) von der Brightoner Band The Chefs (1979 bis 1982) gedreht haben.

Darin erzählen Frauen aus der damaligen Szene von ihren Erfahrungen. Mitglieder von vergessenen Bands mit klingenden Namen wie The Nipple Erectors/The Nips (London), The Catholic Girls (Southhampton), The Gymslips (London) und The Gay Animals (Manchester) kommen zu Wort. Die „Punkprofessorin“ Vivien Goldman berichtet von der Ladbroke-Grove-Szene in der britischen Hauptstadt. Goldman selbst verband damals mit ihrer Band, The Flying Lizards, Dub und Punk. Im Film sagt sie, für die jungen Frauen seien Spontaneität und Experimentieren noch wichtiger gewesen als für die Männer. „Wir waren mehr D.I.Y. als die Jungs. Wir hatten einen viel weniger ausgeprägten musikalischen Background.“ Entsprechend sei es viel wichtiger gewesen, einfach drauflos zu spielen.

So wurde damals auf Koffern getrommelt, mit Spielzeuginstrumenten hantiert, und wenn das Schlagzeug während des Gigs mal wegrutschte wie bei X-Ray Spex, war das auch egal. Manche glaubten gar, das jedem Song vorangehende „1 2 3 4“ hätte gar keine weitergehende Bedeutung und man müsste danach nur loslärmen (was ja auch irgendwie stimmt). Der Film erzählt aber auch von herausfordernden Situationen: Vor allem die Konflikte mit Skinheads werden geschildert, sie warfen bei Auftritten damals häufiger Flaschen nach Bands.

Vielleicht führt vom Punk und Postpunk von einst eine gerade Linie zum Auftritt von Farida Amadou. Amadou, Jahrgang 1989, ist eine belgisch-nigrische Bassistin, ihr Improvisationsset am frühen Abend hinterlässt bleibenden Eindruck. Ihre Bassgitarre hat Amadou auf die Knie gelegt, sieben Effektgeräte liegen ihr zu Füßen; sie tippt auf ihnen herum, während sie die Basssaiten mit unterschiedlichen Materialien bearbeitet. Staccato-Riffs wechseln sich ab mit verzerrtem Dröhnen, das Distortion-Klangpedal leistet gute Dienste. Manchmal klingt das auch rhythmisch und funky. Die Auftritte seien „eine Art Trance“ für sie, erzählt sie danach im Talk: „Es geht darum, sich selbst zu vertrauen.“ Für sie sei die afroamerikanische Künstlerin Moor Mother ein wichtiges Role Model gewesen – inzwischen hat sie auch schon mit ihr zusammengearbeitet.

Für die jungen Frauen war Spontaneität noch wichtiger als für die Männer

Am Abend folgt wie bereits erwähnt der Auftritt von Gina Birch, flankiert von einer Keyboarderin und Gitarristin/Bassistin. Im Hintergrund laufen Videos, die sie selbst aufgenommen hat. Während des „Feminist Songs“ gehen im Video eine Reihe BHs auf einer Wäscheleine in Flammen auf. Den Song „Pussy Riot“ widmet sie, nun ja, Pussy Riot; im Refrain zitiert sie die russische Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa: „We have to remember that freedom is not a given / It’s something we have to fight for everyday“. Es ist ein kurzer, energetischer, humorvoller Auftritt.

Den Abschluss macht am Samstag Lesley Woods mit einem Solo-Set. Vom Drumcomputer unterstützt, spielt sie einige Songs auf der Gitarre, darunter Coversongs von David Bowie und Lou Reed. So beeindruckend Woods als Persönlichkeit auch ist, ihre Songs geraten etwas fad und altrockig. Das ändert nichts daran, dass man während dieses Festivaltages ein beeindruckendes Stück Musikgeschichte erzählt bekommen hat, das bis heute nachhallt.