Wie man Stuttgart nicht kennt

Mit 3:1 fertigt der VfB den VfL Wolfsburg ab. Von sieben Spielen hat Stuttgart sechs gewonnen. Der Klub, der in der vergangenen Saison die Relegation überstehen musste, freut sich über die Tore eines Spielers: Serhou Guirassy

Durchgesetzt: Stuttgarts Serhou Guirassy (r.) gewinnt sein Duell gegen Cedric Zesiger (VfL Wolfsburg) Foto: imago/Sportfoto Rudel

Aus Stuttgart Christoph Ruf

Am frühen Samstagabend herrschte im Stuttgarter Nordosten eine ausgelassene Stimmung, die sich aus zwei Quellen speiste: dem Cannstatter Wasen und dem Fußballspiel nebenan. Deutlich betrunkener waren die bedirndelten und lederbehosten Volksfestgäste, einen Tick glücklicher die 52.000, die den Stuttgarter 3:1-Sieg gegen Wolfsburg gesehen hatten.

VfB-Fans kennen ja eigentlich nur das Gefühl, das Stadion nach dem ersten Fünftel einer Spielzeit mit schlotternden Knien zu verlassen, weil der Lieblingsverein mal wieder auf einem Abstiegsplatz steht. Momentan hat er 18 Punkte nach sieben Spielen und belegt einen Champions-League-Platz. So ist das, wenn man von sieben Spielen sechs gewonnen hat. Und wenn man einen Spieler wie Serhou Guirassy, der 13 Saisontore geschossen hat, in seinen Reihen hat. Drei davon schoss er am Samstag gegen Wolfsburg, den mit Abstand stärksten der bisherigen vier Stuttgarter Heimspiel-Gegner. Die drei davor, Bochum, Freiburg und Darmstadt, hatte der VfB mit insgesamt 13:1 Toren besiegt.

Die Gefahr, dass da jemand künftig nicht nur sportlich in andere Sphären entschwebt, bestehe aber nicht, betonte sein Trainer. „Ich freue mich für Serhou, weil er so ein hochanständiger, normaler Kerl ist, der die Dinge richtig einordnet und bei dem nicht die Gefahr besteht, dass er abhebt“, sagte Sebastian Hoeneß, der jetzt „18 Punkte für eine sorgenfreie Saison“ gesammelt haben will. Mehr nicht. Auch Hoeneß gab aber zu, dass er bei der Jubelarie nach dem Spiel mal kurz diesen Zeitpunkt des Staunens gab, den wahrscheinlich auch den Großteil der Fans irgendwann am späten Nachmittag ereilt hat: „Da war schon so ein Moment, an dem ich mich gefragt habe, was hier eigentlich gerade abgeht.“

Auch Stuttgarts Sportdirektor Fabian Wohlgemuth war eifrig bemüht, ein Spiel am siebten Spieltag als solches einzuordnen. Was allerdings nicht bedeutete, dass er die sechs Siege für Zufallsprodukte hält: „Die Ergebnisse und die Spielweise sprechen schon für sich. Wir haben viele Spieler, die in den letzten Wochen besondere Leistungen gezeigt haben.“ Guirassy natürlich. Oder Chris Führich, den Julian Nagelsmann ja für die anstehende USA-Reise der Nationalmannschaft nominiert hat und der den zweiten Treffer ebenso elegant wie präzise auflegte. Es war seine fünfte Torvorbereitung in dieser noch so jungen Saison. Oder, definitiv nicht zu vergessen, Torwart Alexander Nübel, der im ersten Durchgang bis auf den Treffer von Yannick Gerhardt (34.) alles abfing, ablief und parierte, was an Wolfsburger Angriffsbemühungen zu sehen war.

„Ich freue mich für Serhou, weil er so ein hochanständiger, normaler Kerl ist“

Sebastian Hoeneß, Trainer des VfB Stuttgart, über Serhou Guirassy

Überhaupt hat Nübel großen Anteil daran, dass die in der vergangenen Saison noch so anfällige Stuttgarter Defensive mittlerweile eine Bank ist. Der 27-Jährige ist auf der Linie stark, er überzeugt in der Strafraumbeherrschung und in der Spieleröffnung. All das hat dafür gesorgt, dass sich die Viererkette, die sich häufig von den Unsicherheiten auf der hintersten Linie anstecken ließ, stabilisiert hat. Das wird bei all dem Hype um Guirassy gerne vergessen.

Am Samstag waren die Gäste im ersten Durchgang das deutlich bessere Team in einer ziemlich zähen Partie zwischen zwei Mannschaften, die erkennbar recht gut Fußball spielen können, es aber selten zeigen durften. Fünf Minuten Nachspielzeit gab es in der ersten Hälfte – das Vierfache wäre nötig gewesen, um die ganze Zeit aufzuwiegen, in der entweder ein Wolfsburger oder ein Stuttgarter Spieler auf dem Boden lag und Behandlung oder Zuspruch brauchte. Wenn der Ball mal rollte, spielte Wolfsburg cleverer, direkter und weniger umständlich. Nach dem ersten Guirassy-Treffer, einem Foulelfmeter, verkehrte sich das dann komplett, wie man die darauffolgende halbe Stunde sowieso nicht besser zusammenfassen kann als Wolfsburgs Trainer Niko Kovac: „In der ersten Halbzeit haben wir es gut gemacht. In der zweiten Halbzeit hat es der VfB noch besser gemacht als wir in der ersten. Deshalb haben sie verdient gewonnen.“ Anders gesagt: Der Stuttgarter Sieg war insgesamt nicht ganz so souverän, wie man angesichts des Ergebnisses glauben könnte. Aber zu erwarten, dass ein Team, das in der vergangenen Saison fast abgestiegen wäre, nun plötzlich jedes Spiel über 90 Minuten dominiert, wäre dann doch ein bisschen viel verlangt.