Dominanz der Gelben

Team Jumbo Visma schickt sich an, alle drei Podiumsplätze bei der Vuelta a España zu belegen. Selbst Ex-Weltmeister Remco Evenepoel ist chancenlos

Distanzierter Pedaleur in Partylaune: Remco Evenepoel gewinnt eine Etappe Foto: ap

Von Tom Mustroph

Das hat Unterhaltungswert: Remco Evenepoel kommt bei der Spanienrundfahrt nach einem Einbruch bärenstark zurück. Und Edelhelfer Sepp Kuss, der früher an Nervenflattern bei Erfolgsdruck litt, wirkt von Tag zu Tag souveräner im roten Trikot des Führenden. Er hat nicht einmal Angst davor, das zu vollenden, was im Radsport noch nie geschah: dass ein Team alle drei Grand Tours einer Saison gewinnt – und das mit drei unterschiedlichen Fahrern.

Der Belgier Evenepoel und das Jumbo-Trio Sepp Kuss (USA), Jonas Vingegaard (Dänemark) und Primoz Roglic (Slowenien) liefern sich ein jetzt schon historisches Rennen. Die gelbschwarze Jumbo–Visma-Combo besetzt derzeit die drei ersten Plätze des Klassements. Überraschend ist dabei die Führungsposition von Kuss. Der US-Amerikaner etablierte sich in den letzten Jahren zwar als formidabler Berghelfer. War er selbst der Leader, vor allem bei einwöchigen Rundfahrten, spielten ihm die Nerven aber stets einen Streich. „Ich komme mit dem Druck, allein für den Sieg für das Team verantwortlich zu sein, nicht so gut klar. Das habe ich in der Vergangenheit gemerkt“, sagte Kuss noch während der Tour de France zur taz.

Bei der Vuelta ist er jetzt auch deshalb vorn, weil er nicht allein ist. Er hat den zweifachen Tour-de-France-Sieger Vingegaard an seiner Seite – und den dreifachen Vuelta-Gewinner Roglic. Die beiden holen sich auch eigene Etappensiege. Solange Kuss aber mit ihnen mitkommt, bleibt er vorn. „Ich habe keinen Druck, und das Team hegt mir gegenüber auch keine unrealistischen Erwartungen“, sagt er.

Der Rest des Pelotons wirkt unfähig, an dieser Konstellation etwas zu ändern. Und so werden schon jetzt die Annalen gewälzt: Gab es so etwas schon einmal? Nein, nicht einmal während der Sky-Dominanz war Ähnliches zu bemerken. Dem Über-Rennstall der letzten Dekade war es immerhin vergönnt, mehrmals doppelte Podiumsbesetzungen zu erreichen mit Bradley Wiggins, Chris Froome, Geraint Thomas und Egan Bernal bei Tour und Vuelta. Nur einmal, 1966, kamen gleich sechs Fahrer des Limonadenrennstalls Kas-Kaskol auf den ersten sieben Plätzen an. Drei von ihnen – Francisco Gabica, Eusebio Velez und Carlos Echevarria – fanden sich auch einträchtig auf dem Podium der Vuelta wieder.

Dass es trotz der Jumbo-Show nicht ganz langweilig wird in Spanien, liegt an Remco Evenepoel. Der Belgier wirkte lange als der Mann, der im Alleingang die Jumbo-Jungs bändigen könnte. Er holte sich schnell das rote Trikot, setzte sich vor Roglic und Vingegaard und hatte auch keine Sorge, als Kuss aus einer Fluchtgruppe heraus ganz nach vorn kam. Dann aber kam die Tourmalet-Etappe. Bereits am drittletzten Berg, dem Col d’Aubisque, konnte er am Freitag nicht mehr mithalten. „Der Tank war einfach leer“, sagte er.

„Keine unrealistischen Erwartungen mir gegenüber“

Sepp Kuss, Leader der Vuelta

Fast eine halbe Stunde verlor er auf die Konkurrenz. „Ich habe viele Tränen vergossen und auch in der Nacht nicht gut geschlafen und viele negative Gedanken gehabt.“ Tags darauf versuchte er das Unmögliche: Er initiierte erst eine Fluchtgruppe, setzte sich dann knapp 90 Kilometer vorm Ziel ab. Nur der Franzose Romain Bardet vermochte ihm zu folgen. „Wir haben sehr gut zusammengearbeitet und uns darauf geeinigt, dass ich das Tempo an den Bergen bestimme, wenn er mit mir im Flachen mitfährt“, sagte Evenepoel. Auch Bardet lobte die Zusammenarbeit: „Remco ist unglaublich. 80 Prozent der Arbeit hat er verrichtet. Es war schrecklich an seinem Hinterrad. Ich habe gelitten. Aber ich war mit einer Legende unterwegs, und die war einfach viel besser als ich.“

Trotz des Husarenritts liegt Evenepoel fast 20 Minuten hinter Kuss & Co zurück. Als neue Ziele gibt er das Bergtrikot aus, das er jetzt schon trägt, sowie weitere Etappensiege.