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: „Es verschwindet nicht nur ein Gebäude“

Kein Einzelfall: Eine Installation erzählt die Geschichte des bald abgerissenen alten Hauses in der Brennerstraße 80/82 in Hamburg-St. Georg

Interview Robert Matthies

taz: Frau Henkel, Frau Beutler, was ist das Besondere an der Brennerstraße 80/82 in Hamburg-St. Georg?

Tina Henkel: Das Gebäude ist schon sehr alt, wir wissen es nicht ganz genau, wahrscheinlich von 1894. Es ist ein Stück altes St. Georg. Nach dem Bau hat sich der Stadtteil schnell verändert: 1906 wurde der Hauptbahnhof gebaut, dann war es immer das Bahnhofsviertel. Davor lag St. Georg vor den Stadtmauern und war damit ein Viertel, in das Arbeitsstrukturen gedrängt wurden, die innerhalb Hamburgs keinen Platz haben sollten, wie das Ausüben von Sexarbeit. Diese Thematiken prägen das Viertel noch heute. Jetzt verändert es sich gerade wieder total, die Mieten steigen rasant. Diesen zeitlichen Wandel, den das Viertel erlebt hat, erzählen auch das Wohnhaus und die Geschichten der Be­woh­ne­r*in­nen der letzten Jahrzehnte: Die Mietpreisexplosion wird dem Gebäude zum Verhängnis.

Und nun wird es abgerissen – trotz sozialer Erhaltungsverordnung?

Foto: privat

Liza Beutlerist sozial engagierte Designerin. Gemeinsam mit Nick Craven, Kayoung Kim und Tina Henkel bildet sie das Serviervorschlag-Kollektiv.

Henkel:Genau. Seit 2012 gibt es diese Erhaltungsverordnung, die ein Schutzmechanismus sein soll gegen Verdrängung und Abriss. Eigentlich soll sie dazu dienen, dass der Stadtteil gesellschaftlich durchmischt bleibt. Aber in diesem Fall greift sie nicht. Es gibt immer wieder Schlupflöcher in dieser sozialen Erhaltungsverordnung. Das gilt auch in der Brennerstraße: Die Be­woh­ne­r*in­nen haben sehr günstige Mieten gezahlt, weil es keine eingebauten Heizungen und keine Duschen gab, die kamen nachträglich. Der Eigentümer hat Jahrzehnte lang keine Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt. Und jetzt ist das Gebäude natürlich total runtergerockt …

… und der Eigentümer kann sagen: Wirtschaftlich lässt sich das nicht mehr sanieren.Ist Ihre Installation auch ein Zeichen gegen diese Verdrängung?

Liza Beutler: Wir wollen sichtbar machen, was alles mit dem Abriss eines Gebäudes zusammenhängt. Es verschwindet nicht nur ein Gebäude aus dem Stadtbild. Es werden Menschen aus dem Stadtteil verdrängt, die dort seit 40 Jahren wohnen und ein Viertel maßgeblich prägen. Und die haben sehr viel erlebt in dem Haus und in der Nachbar*innenschaft. Das versuchen wir, in dem Projekt sichtbar zu machen und mit der Masse kommt natürlich auch ein Zeichen von Protest.

Installation „Vergessene Städtebilder: Brennerstraße 80/82“: bis 30. 7., Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe

Wie sieht die Installation konkret aus?

Beutler: Im „Freiraum“ des Museums zeigen wir ein analoges Archiv zu Wohn- und Nutzungsgeschichten des Hauses. Langfristig entsteht ein digitales Archiv, an dem auch andere Orte und Geschichten, die abgerissen werden, Platz finden. Zur Situation in der Brennerstraße bieten wir außerdem einen Stadtspaziergang an. Ende August wird es dann noch einen Tag des offenen Treppenhauses mit den Be­woh­ne­r*in­nen in der Brennerstraße geben: Sie erzählen dort nochmal persönlich ihre Geschichten.

Welche haben Sie besonders beeindruckt?

Foto: privat

Tina Henkelist Künstlerin und urbane Praktikerin. Im Kollektiv bespielt sie Räume und Orte, die demnächst nicht mehr existieren.

Beutler: In erster Linie Geschichten von Alltagsroutinen. Allein die Heizsituation ist so besonders, dass sich im Winter vieles um das Schleppen von Kohlen dreht. Die Be­woh­ne­r*in­nen nennen dies ihr „Workout“. Aber auch jede schiefe Wand erzählt eine Geschichte über das Überstehen des Zweiten Weltkriegs, aber auch über die derzeitige Schieflage der Mietsituation.

Henkel: Wir haben auch Leute befragt, die früher mal im Haus gelebt haben, zum Beispiel den Travestiekünstler Ulla Trulla. Unter seiner Wohnung gab es 1994 eine Gasexplosion. Er war glücklicherweise gerade nicht in der Wohnung. Er erzählt, wie er dem Tod entkommen ist – auf eine sehr humorvolle Art und Weise. Er erzählt auch, wie ihn die nachbarschaftlichen Strukturen gerettet und die anderen Be­woh­ne­r*in­nen Geld für eine Übergangswohnung gesammelt haben. Es ist schön, zu erleben, was das für eine Nach­ba­r*in­nen­schaft ist, die füreinander da ist.