Vollgesopftes Bücherregal vor dem eine Frau steht, die Bücher einsortiert

Um von der Literatur zu leben gehört neben der Neugier auf Bücher auch eine gehörige Portion Wagemut Foto: Sophie Kirchner

Leipziger Buchmesse:Alles fürs Buch

Endlich wieder Buchmesse in Leipzig! Aber wer sind die Menschen im Hintergrund, die mit viel Leidenschaft und oft niedrigen Löhnen Bücher machen? Wir haben einige von ihnen getroffen.

25.4.2023, 12:57  Uhr

Ohne Herzblut geht es nicht im Literaturbetrieb. Doch es gibt auch keine Garantie, dass noch so viel davon tatsächlich zum Erfolg führt. Jenseits der naiven Erzählungen von kreativen Traumjobs mit Selbstverwirklichungsticket, aber auch jenseits aller Untergangsgesänge von der angeblich verschwindenden Buchbranche macht der Literaturbetrieb etwas, was die moderne, zivilisierte Gesellschaft eigentlich minimieren wollte: Er spielt Schicksal. Er verteilt Chancen ungerecht und willkürlich. Und wer klug und reflektiert ist im Betrieb, der weiß das auch.

Krise ist immer. Und der Markt ist eng. Verpasste Gelegenheiten und große Lose liegen da nah beieinander, und neben der belohnten Hartnäckigkeit findet sich die schöne Idee, die aus zufälligen Gründen keine Beachtung fand. Es stimmt eben nicht, dass sich kulturelles Kapital automatisch in reales Einkommen übersetzen würde.

Und im Gegensatz zum akademischen Bereich, in dem der Mittelbau sich über allzu enge Karrierefristen bei der Politik beschweren kann, gibt es im Literaturbetrieb noch nicht einmal einen geeigneten Adressaten für Protest und Empörung. (Was einen allerdings keineswegs daran hindern sollte, darauf hinzuweisen, dass Texte aller Art, seien es Literaturbesprechungen, Übersetzungen oder auch Verlagsgutachten, skandalös schlecht bezahlt werden, auch in der taz.)

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Was sind das also für Menschen, die unter diesen Bedingungen all ihre Kräfte und ihre Kreativität einsetzen, um ihren Lebensunterhalt mit und für Bücher zu verdienen? Dass es bessere, klügere, zivilisiertere oder auch nur coolere Menschen wären als sonst wo, wie die großen Erzählungen von Kunst und Bildung immer mal wieder suggeriert haben, würde niemand von ihnen behaupten.

Aber es sind doch viele eigenwillige Menschen: Verlagsleute und Übersetzer*innen, Journalistinnen und Agen­tin­nen, Festivalchefs und Pressereferenten. Viele Überzeugungstäter finden sich darunter, manchmal an der Grenze zwischen Engagement und Selbstausbeutung balancierend. Die gewaltigen Traditionen von Buchdruck und Aufklärung hinter sich und manchmal auch auf den Schultern.

Ohne Festanstellung manchmal knietief im Dispo und kopfschüttelnd auf die geringen Verkaufszahlen starrend. Dann aber auch wieder die Visionen und Geschlechter- sowie Herkunftsgerechtigkeit, sprachliche Durchdringung und historisches Bewusstsein motivierend vor sich.

Wenn jetzt nach drei coronabedingt ausgefallenen Messen die Buchbranche endlich einmal wieder in Leipzig zusammenfindet, neue Bücher durchbringen, Themen besetzen und sich auch ein Stück weit selbst feiern will, dann ist offiziell viel von Au­to­r*in­nen und Le­se­r*in­nen die Rede. Aber – und das sollte man einmal betonen – es kommen dort auch sonst bemerkenswerte Menschen zusammen. Einige von ihnen porträtieren wir auf diesen Seiten (wir haben uns dabei auf die Verlage konzentriert).

Jedenfalls, vor ein paar Jahren gab es mal die Parole, dass im Literaturbetrieb die Originale aussterben und die Managertypen den Laden übernehmen würden. Das ist so nicht eingetreten. Es gibt natürlich die Managementtypen. Doch dass mit Sparplänen und Zielgruppenanalysen allein neue Programme irgendwie fade werden, hat sich, scheint es, inzwischen herumgesprochen. Die Literatur ist kein auf Effizienz zu trimmender Produktionsprozess.

Krise ist immer? Mag sein. Doch man muss auch weitermachen. Eine gehörige Portion Wage­mut gehört – neben der Neugier auf Bücher – dazu. Dirk Knipphals

Büchermann und Bücherfrau – Das Verlegerduo

Anders sein als die anderen – das ist im Grunde etwas, das auf die bewegte und bewegende Geschichte des März-Verlags genauso zutrifft wie auf die beiden Menschen, die in einer Arbeitswohnung in Berlin-Schöneberg gegenüber einer gelben Bücherwand sitzen und diesen Verlag heute betreiben.

Richard Stoiber und Barbara Kalender sind seit Juni 2021 das neue Verleger:innen-Duo, die beiden empfangen zu Kaffee und Gebäck, sichtlich begeistert ziehen sie frisch gedruckte März-Bändchen von Olga Ravn, Hendrik Otremba und Eva Tepest aus dem Regal. „Wir leben für Bücher. Wir sind wohl die Besessenen, die Berufenen oder die Verrückten“, sagt Barbara Kalender, „also verrückt nicht im Sinne von geisteskrank, sondern im Sinne von anders als die anderen.“

Der Verlag hat vor zwei Jahren einen Relaunch mit verjüngtem und gewagtem Programm hingelegt. Nachdem Jörg Schröder, der langjährige März-Verleger und Partner von Barbara Kalender, im Juni 2020 starb, traf Kalender im Jahr darauf auf den ehemaligen Matthes-&-Seitz-Lektor Stoiber, knapp 30 Jahre jünger als sie. Bei den beiden matcht es.

Barbara Kalender sitzt am Tisch und raucht, ihr Kollege Richard Stoiber steht hinter ihr vor einem Bücherregal

Haben einen Neustart gewagt: Barbara Kalender und Richard Stoiber vom März-Verlag in Berlin Foto: Sophie Kirchner

Kalender, 64, und Stoiber, 35, teilen eine ähnliche Vorstellung von Literatur. „Der Altersunterschied interessiert uns überhaupt nicht. Uns interessiert die Ware, der Inhalt, der Roman. Solange Richard die richtigen Bücher liest, ist doch alles gut“, sagt Kalender. Stoiber widmet sich als Geschäftsführer und Programmleiter quasi 24/7 dem Verlag: „Man muss sich schon klarmachen: Der Verlag, das ist jetzt mein Leben. Wenn man lamentiert, wie viel man arbeiten muss, dann wird das nichts. Dann bekommt man Magengeschwüre.“

In der Verlagswohnung in einer Bauhaus-Wohnsiedlung in Schöneberg stehen viele März-Klassiker im Regal. Für (Post-) 68er:innen gehörten Bücher wie Günter Amendts „Sexfront“ oder Valerie Solanas’ „Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“ zum diskursiven Grundbesteck, auch die Autoren der Beat Generation (die meisten waren in der Tat Männer) erschienen in dem 1969 gegründeten Verlag.

Einige dieser Bücher legen die beiden nun neu auf. Mit dem Neustart tritt aber auch eine neue Au­to­r:in­nen­ge­ne­ra­ti­on auf den Plan, Schrift­stel­le­r:in­nen wie Jenny Hval oder eben Tepest und Otremba. Dieses Frühjahr erscheinen neun Titel, die meisten Ersterscheinungen. Die Themenmischung ist vielsagend: Black Metal, dunkles Begehren, queerer Sex, Lust (und Unlust) im Allgemeinen und die kommentierten falschen Hitler-Tagebücher finden sich in ein und demselben Programm.

Damit wollen sie an die Verlagsgeschichte anknüpfen. „Als ich den März-Verlag vor vielen Jahren entdeckte, dachte ich: ‚Aha, so kann man also auch einen Verlag betreiben!‘“, sagt Stoi­ber, „mit einem Programm, das irgendwie alles abdeckt, von Politik über Porno bis zu experimenteller Literatur. Dazu mit einem erkennbaren ästhetischen und politischen Kompass und fernab des literarischen Massengeschmacks.“

Erfolgreich sei ein Verlag für ihn dann, wenn alle Beteiligten davon leben könnten und es gelänge, die Menschen für Literatur zu gewinnen: „Ich bin dann zufrieden, wenn wir vermeintlich schwierige, komplexe Bücher einem größtmöglichen Publikum zuführen“, so Stoiber. Das sei eine große Herausforderung, zumal in einer Zeit, in der einfache Weltbilder immer attraktiver würden.

Kalender und Stoiber wirken schon jetzt wie ein eingespieltes Duo, im intellektuellen Ping-Pong spielen sie sich die Bälle hin und her. Und sie streiten gerne. Als Stoiber sagt, das Modell der Selbstausbeutung und Überidentifizierung mit der Verlagsarbeit sei „im Grunde hyperkapitalistisch“, widerspricht Kalender. Das liegt wohl auch daran, dass für sie alles im Leben zusammengehört: „Ich trenne Arbeit, Privates und Politisches nicht. Und den Slogan ‚Das Private ist politisch‘ kennen wir doch wohl alle noch.“

Ein Schild "März" mit der bekannten roten Schrift auf gelbem Untergrundhängt an der Wand zwischen Bildern

Der März-Verlag im April Foto: Sophie Kirchner

Man kann ausufernde Diskussionen mit den beiden führen, sie decken – ein bisschen wie das Verlagsprogramm – irgendwie alles ab. Aber wie zur Hölle soll man aus einem fast zweistündigen Gespräch ein Kurzporträt stricken? Zum Glück hat Kalender eine Antwort: „Ist doch ganz einfach: Richard Stoiber, Büchermann. Barbara Kalender, Bücherfrau.“

So kann man es natürlich auch sagen. Jens Uthoff

Lyrisch und mit Haltung – Die E-Book-Verlegerin

Was ist ein Mikrotext? Nun, zuallererst wohl der Name eines Verlags. Einer, der das E-Book ernst und nicht als Ableitung vom gedruckten Vorbild hinnimmt. Nikola Richter, die Betreiberin und Geschäftsführerin von mikrotext, will aber nicht von einem „Kleinverlag“ sprechen. Denn trotz des Idealismus, den mitbringen muss, wer Bücher verlegt, spiele man so doch die unternehmerische Leistung herunter, die unabhängige Verlage in Konkurrenz zu großen Häusern erbringen.

„Reden wir von mikrotext lieber als kleinem Unternehmen“, sagt Richter, die den Verlag 2013 in Berlin gründete. E-only lautete damals das Konzept. Mittlerweile lässt Richter auch drucken, doch der Fokus auf E-Books besteht weiterhin. Die studierte Literaturwissenschaftlerin hat das utopische Element, das einmal im Internet steckte, nicht vergessen. Alles überall lesen zu können hält sie weiterhin für ein großartiges Modell, sagt sie. „Darin steckt ein großes Versprechen.“

Ein Mikrotext kann aber auch der Berührungspunkt zwischen Online- und Buchwelt sein, wenn man ihn selbstbewusst als Gattungsbeschreibung gleich auf die erste Buchseite druckt. Literatur habe sie schon immer im Internet gelesen, erzählt Richter.

mikrotext, ihren Verlag, gründete sie daher vor allem als Leserin, die auf dem Buchmarkt nicht das fand, was sie lesen wollte. Die Transferleistung – aus dem Netz gefischt, zwischen zwei (elektronische) Buchdeckel verpflanzt – merkt man den von ihr verlegten Texten dabei an: Kurze Essays finden sich im Katalog, Kindheitsreflexionen, aber auch Seltsames wie „Kryptomagie. Zwanzig kleine suesse Cryptopoems“ von Yevgeniy Breyger, das in einer gräulichen Windows99-Ästhetik daherkommt.

Auch Dinçer Güçyeters „Unser Deutschlandmärchen“, das in mehreren Generationen das Leben türkischer Gast­ar­bei­te­r:in­nen erzählt und für den diesjährigen Leipziger Buchpreis nominiert ist, reiht sich ein. Mit 216 Seiten hat es zwar Romanlänge, doch vorab veröffentlichte und später weiter verarbeitete Facebook-Posts des Autors seien wichtiger Bestandteil der Geschichte, erzählt Richter.

mikrotext will sich nicht nur über die Form definieren. „Sehr dezidiert mit Haltung“ sollen die von ihr verlegten Texte sein, sagt sie. „Ich will engagierte Literatur lesen, die auf das sich wandelnde Deutschland reagiert; sehr lyrisch, nicht manifestartig.“ Konservative, rückwärts gewandte Literatur interessiert sie nicht als Verlegerin. „Literatur soll Einfluss nehmen.“

Verlegen, so sagt Richter, die vor mikrotext ein Online-Literaturmagazin gründete und eine Berliner Lesebühne startete, habe oft etwas Rouletteartiges. Welche Texte sich verkauften – und wenn auch nur zum „Kaffeepreis“ von 2,99 Euro pro E-Book – lasse sich nur schwer einschätzen. „Ich arbeite viel mit Debüts“, sagt die Verlegerin. „Mit Stimmen, die auf dem Buchmarkt vorher eigentlich kaum bekannt sind. Einen Hallraum für diese Stimmen zu erarbeiten sehe ich als eine Aufgabe meiner Arbeit.“

Am Roulettespielen findet Richter Gefallen. Anders lässt sich kaum erklären, warum sie 2020 ein Jahr lang den Verlag in fremde Hände legte und sechs Gastverlegerinnen das mikrotext-Programm gestalten ließ.

Von den schließlich verlegten Texten kannte sie vorher gar nichts, sagt Richter. „Ich musste viel loslassen, viel von anderen lernen. Mittlerweile bildet der Verlag eine Persönlichkeit, die gar nicht mehr nur ich bin.“ Herausgekommen ist Literarisches, Reflexionen über Maskierungen – 2020 markierte immerhin das erste Pandemiejahr –, aber auch ein Kochbuch mit Rezepten „für ein gutes Klima“. 700 Euro hat sie an Fixkosten jeden Monat. Und wenn es gut läuft, bleiben ihr „ein paar Tausend Euro pro Monat an Gewinn, manchmal auch weniger, das muss man dann ausgleichen“.

Nikola Richter kennt auch die andere Seite des Verlegerschreibtisches. Theaterstücke, Artikel, Gedichte und Erzählungen hat die 46-Jährige über die Jahre verfasst. Zuletzt war sie auch außerhalb von mikrotext als Herausgeberin aktiv. Selbst schreiben, das stellt sie nach zehn Jahren mikrotext fest, tut sie heute vor allem Gebrauchstexte. „Und sehr viele E-Mails.“ Aber abends und am Wochenende, sagt sie, bleibt der Computer zugeklappt. Julia Hubernagel

Die Katze im Sack – Der Einmannverlag

Erzählt man vom Guggolz Verlag, muss man auch vom Quizchampion erzählen. „Die Geschichte wollen immer alle hören“, sagt Sebastian Guggolz, Namensgeber und Gründer des Einmannverlags in Berlin, und lacht. 2015, der Verlag bestand damals seit zwei Jahren, hatte Guggolz Schulden.

Lösungsorientiert meldete er sich bei verschiedenen Quizshows an, das ZDF lud ihn zu „Der Quizchampion“ ein, wo Guggolz gegen Prominente und Ex­per­t:in­nen antrat – und gewann. 250.000 Euro. Das reichte. Ein Gehalt zahlt sich der 1982 geborene Verlagschef jedoch weiterhin nicht aus, das Überleben sichern Nebenjobs.

Guggolz hat ortsspezifische Interessen. Nord- und Osteuropa sind die Einzugsgebiete seiner Bücher. Von den zwischen den Färöer und Armenien gesprochenen Sprachen versteht er keine. „Es fing alles an, als ich feststellte, dass es keine litauischen Klassiker auf Deutsch gibt“, erzählt er. Heute schon: Antanas Škėma, den man laut Guggolz auch den „litauischen Camus“ nennt, gehört seit 2017 zum Verlagsprogramm.

Ausschließlich verstorbene Schrift­stel­le­r:in­nen werden im Guggolz-Verlag verlegt. Mitunter sind diese auch in ihren Heimatländern längst vergessen. So ist manchmal Detektivarbeit gefragt. Sind die Ver­fas­se­r:in­nen bereits seit mehr als 70 Jahren tot, verlöschen die Rechte etwaiger Nachfahren.

Diese gilt es stets aufzuspüren. Gerade in Osteuropa, das staatsideologisch starke Umbrüche erlebte, sei das wegen im Exil lebender Angehöriger mitunter schwer, sagt Guggolz. „Da schreckt man manchmal auch einen Enkel auf, der von der Schriftsteller-Vergangenheit seines Großvaters nur dunkel wusste.“

Doch wie stößt Guggolz überhaupt auf Texte, die nicht übersetzt sind, ohne die jeweilige Sprache zu sprechen? „Ich arbeite sehr eng mit Über­set­ze­r:in­nen zusammen, die mir gute Vorschläge unterbreiten“, sagt der Verleger. „Aber ja, ich kaufe oft die Katze im Sack.“ Starke Übersetzerfiguren seien ihm am liebsten, Doppelfiguren wie Esther Kinsky, die selbst Romane schreibt und bei Guggolz aus dem schottischen Englisch übersetzt.

Neuübersetzungen lässt der Verleger jedoch ebenfalls anfertigen und nennt das Beispiel des Norwegers Tarjei Vesaas, der, einstmals sehr berühmt, in Deutschland weitgehend vergessen war. „Das hat oft auch mit Verlagskonstellationen zu tun“, sagt Guggolz. „Vesaas ist in den 1950er Jahren bei einem kleinen schweizerischen Verlag erschienen, der irgendwann pleitegegangen ist.“

Ihm sei es wichtig, zeitgenössische Übersetzungen für ein stets zeitverhaftetes Publikum anzubieten. „Dabei geht es nicht um Modernisierungen oder einen verklärenden, historisierenden Blick. Aber die zeitliche Lücke zwischen der Erstveröffentlichung und heute ist nicht zu überwinden. Ich möchte, dass man einem Buch seine Entstehungszeit und die der Übersetzerin anliest.“

Seine Aufgabe als Verleger sieht Guggolz darin, zu überlegen, welche Texte und Themen „heute immer noch oder wieder wichtig sind“. So habe er erst, als er einen ukrainischen Klassiker der 1920er Jahre übersetzen ließ, begriffen, wie entscheidend dieses Jahrzehnt für die ukrainische Kulturbildung war, markierte es doch praktisch den einzigen Zeitraum, in dem Literatur auf Ukrainisch erscheinen konnte. „Oder Ungarn“, sagt Guggolz, „das in den 1930er Jahre sehr hart von der Wirtschaftskrise betroffen war.“ Andor Endre Gelléri habe ihn auch die letzte Bankenkrise besser verstehen lassen.

Doch reizt ihn nicht der direktere Zugang auf Fragen der Zeit, durch zeitgenössische Literatur? „Nicht in meinem Verlag“, sagt Guggolz. „Aber dafür bin ich ja jetzt bei Fischer.“ Seit Ende letzten Jahres ist er bei dem Frankfurter S. Fischer Verlag angestellt, kuratiert nun das Klassikprogramm. „In Teilzeit“, betont er. Denn den eigenen Verlag betreibt er weiterhin. Seine „unstete Persönlichkeit“ sei es jedoch, die sich eben manchmal zu neuen Aufgaben überreden ließe. Julia Hubernagel

Leben, lesen, arbeiten – Die Verlegerin

Wer glaubt, nach knapp 25 Jahren Arbeit in Buchverlagen würde der Enthusiasmus für die Literatur natürlicherweise ein wenig nachlassen, hat noch nie mit Esther Kormann gesprochen. Esther Kormann hat schon fast alle Funktionen in Verlagen innegehabt, die man so innehaben kann: Sie war zunächst Praktikantin und Volontärin, hat in den Bereichen Lektorat, Pressearbeit, Veranstaltungen und Marketing gearbeitet; zunächst bei Eichborn Berlin, seit 2009 bei Galiani.

„Natürlich ist der Zauber noch da!“, sagt sie, und blickt einen entgeistert an, wenn man auch nur wagt dies anzuzweifeln. „Das Geniale an diesem Job ist, dass man kaum Routinen hat und mit jedem Buch, das man betreut, von vorne anfängt. Man geht immer wieder zurück auf die Startlinie, macht dieses Wettrennen bis zur Veröffentlichung und den ersten Rezensionen mit. Und freut sich, wenn die Leute die Bücher dann lesen und über sie reden.“

So in etwa definiert Kormann auch Erfolg im Literaturbetrieb: Sie will, dass „über unsere Bücher gesprochen wird“. Kormann ist 54 Jahre alt, trägt langes, braunes Haar und hat einen wachen, fast alterslosen Gesichtsausdruck, dem beim Reden über Au­to­r:in­nen und Geschichten manchmal eine Art kindliche Freude entweicht. Sie hat in den „Wohnzimmerverlag“ geladen, wie sie Galiani nennt, und sitzt vor einem Bücherregal in den hellen Verlagsräumen in der Berliner Friedrichsstraße.

Geboren 1968 in Greifswald, kommt Kormann zu Schulzeiten nach Berlin. Ihr Dialekt klingt noch heute klar nach Ost-Berlin, weniger nach Ostsee. „Ich bin eben die berlinernde Lektorin“, sagt sie. Nach der Wende studiert sie Germanistik und Geschichte an der FU Berlin, ihre Abschlussarbeit schreibt sie über Joseph Roth. „Das war die Literatur, die ich mochte: tolle Sprache, gute Geschichten, mit mehreren Ebenen, nah am Rätsel der Existenz.“

Gemeinsam mit Wolfgang Hörner gründete sie den Verlag Galiani im Jahr 2009. Er ist ein Imprint des Kölner Verlags Kiepenheuer & Witsch, benannt nach dem italienischen Schriftsteller und Universalgelehrten Ferdinando Galiani. Kormann hat auch bei Galiani viele verschiedene Aufgaben: „40 Prozent Presse, 50 Prozent Lektorat, 10 Prozent Marketing“, fasst sie ihre Tätigkeiten zusammen. Dazu ist sie stellvertretende Programmleiterin. Und, ganz wichtig, fürs Organisieren der Partys und Buchpremieren sei sie auch zuständig.

60-Stunden-Woche sind für sie nichts Ungewöhnliches, so richtig trennen kann sie Leben, Lesen und Arbeiten ohnehin nicht. „Es ist ja nicht nur Arbeit, es sind immer auch Leidenschaft und Spaß dabei.“ Ihr gehe es auch weniger darum, mit dieser Art viel Geld zu verdienen – eh nicht realistisch – als vielmehr „eine Lebenshaltung in die Welt hinauszutragen“. In Form von Geschichten, von Erzählungen, von Romanen.

Auf dem Tisch, an dem Kormann sitzt, liegen unter anderem die neuesten Bücher von Karen Duve und Sven Regener. Sie ist seit vielen Jahren Lektorin der beiden. Und Fan. „Es ist unterhaltsam, sich mit den Figuren aus ihren Erzählungen zu befassen. Das ist es, was ich unter anderem sehr mag an der Literatur: im Kopf der Figuren festzukleben.“

Seit erste Texte Regeners Ende der Neunziger bei Eichborn Berlin eintrafen, betreut Kormann seine Werke. Bei den Romanen schicke der Musiker und Autor die Texte immer kapitelweise. „Das ist für mich wie eine Serie zu gucken. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.“

Generell sei es ihre Hauptaufgabe zu Beginn eines Projekts den Stoff sinnvoll einzugrenzen und zu schauen, ob eine Erzählung stimmig, stringent und logisch ist. Am Stil müsse man dagegen bei arrivierten Autoren wie Regener oder Duve kaum arbeiten.

Die Literatur und die Literaturszene waren für Esther Kormann schon immer eine alternative Heimat. Sie stammt aus einer Patchwork-Familie, bereits in der Kindheit seien Bücher ein Zufluchtsort gewesen. Heute fühlt sie sich bei Veranstaltungen wie der Leipziger Buchmesse wie unter Gleichgesinnten. „Da trifft man alle wieder. Da sind lauter Verrückte unterwegs, die für die Sache brennen.“

Selbstverständlich ist sie stolz, eine von ihnen zu sein. Jens Uthoff

Eine Kurierin der Literatur – Die Übersetzerin

Ob simultan oder in monatelanger Arbeit, Übersetzungen sind eine „Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten“ – so schrieb es Johann Wolfgang von Goethe einst. Dass Literatur hierzulande vielfältiger ist als zu seiner Zeit, ist klar. Aber bis ein vielfältigeres Bild deutscher Literatur auch im Ausland entstanden ist, dürfte es noch eine Zeit dauern.

Eine, die das forciert, ist die deutsch-britische Übersetzerin Katy Derbyshire. 2020 gründete sie das beim Verlag Voland & Quist angedockte Imprint V&Q Books, das die literarische Kluft zwischen dem europäischen Festland und Großbritannien überbrücken möchte. „Es gibt eigentlich kein wirkliches Bild von ausländischer Literatur in Großbritannien“, sagt Derbyshire.

Sie sieht ihre Aufgabe darin, dies zu ändern. Und ist damit seit Längerem sehr erfolgreich. Ihre jüngste Übersetzung ins Englische – Clemens Meyers Debütroman „Als wir träumten“ (S. Fischer, 2006) – hat es auf die diesjährige Longlist des Booker Prize geschafft.

Um die acht Monate habe die Übersetzung gedauert, sagt Derbyshire. 1996 kam sie der Liebe zu einem Mann wegen nach Berlin. Die Beziehung hielt nicht, die Liebe zu Berlin schon. So lebt sie auch heute noch hier. Seit 2017 ist Derbyshire deutsche Staatsbürgerin, das Wahlrecht in ihrer Heimat hatte man ihr nach 15 Jahren in Deutschland bereits aberkannt. So durfte sie 2016 beim Brexit-Referendum nicht mit abstimmen. Die Befürchtung, durch den Brexit weniger Übersetzungsanfragen zu bekommen, habe sich zum Glück nicht bewahrheitet. Nur logistisch sei es seitdem komplizierter geworden.

In ihrer Anfangszeit in Berlin arbeitete Derbyshire zunächst als Kurierin und kam viel in Berlin herum. Seit jeher aber wohnt sie in Mitte, wo sich auch ihre beiden Lieblingskneipen befinden: das Zosch und der Schokoladen.

Ihrer Karriere als selbstständige Übersetzerin ging ein Germanistik-Studium in London voraus, „das hier nichts wert war“. Erst ein zusätzlicher Kurs habe ihr die Möglichkeit geboten, zunächst wissenschaftliche Übersetzungen zu machen. In den Literaturbetrieb hineinzukommen sei dagegen schwer gewesen. Ohne Beziehungen gehe dort nichts.

An ihre erste belletristische Übersetzung erinnert sie sich noch genau: ein Kinder- und Jugendbuch, in dem es um sexuellen Kindesmissbrauch ging, „Rotkäppchen muss weinen“ von Beate Teresa Hanika. Seitdem ist viel Zeit vergangen; mittlerweile hat Derbyshire einen festen Stamm an Autor:innen, die sie ins Englische übersetzt – darunter Inka Parei, Selim Özdoğan und eben Clemens Meyer.

„Es ist unglaublich toll, etwas zu übersetzen, was ich selbst richtig tief bewundere“, sagt sie. Selbst einen Roman zu schreiben, habe sie nicht vor. Als Übersetzerin sei sie heute genug im Fokus, auch weil soziale Medien wie Twitter und Instagram zur Sichtbarkeit derer beitrügen, die ihre Arbeit still im Hintergrund erledigen. „Das war früher anders, besonders in UK hat man gern so getan, als seien Bücher gar nicht erst übersetzt worden.“

Übersetzungen sind mehr als ein Handwerk, sagt Derbyshire. Übersetzte Werke sollen sich ähnlich lesen wie das Original, aber „wenn man das mechanisch angeht, kommt nichts Besonderes dabei raus“, sagt sie. Vielmehr gehe es darum ein Gefühl zu vermitteln, regionale Sprachwitze und Hintergründe durch Anpassung und manchmal auch durch ein Vorwort verständlich zu machen.

Eine mehr oder weniger neue Herausforderung für sie sei das Gendern, sagt Derbyshire. Die englische Sprache mache es leichter, dies zu umgehen, aber auch im Deutschen bemühe sie sich, möglichst inkludierend zu sprechen. „Es macht Sprache größer, wenn wir mehr Menschen ansprechen. Es schenkt der Sprache etwas.“

Auch Übersetzungen sind inkludierend: als Annäherung von Bekanntem und Unbekanntem, als Brücke zwischen Festland und Insel. Sophia Zessnik

Mit 'ner coolen Socke unterwegs – Die Pressesprecherin

Herzogpark, beste Münchner Gegend. Villen, Generalkonsulate, Anwaltskanzleien. Thomas Mann hat hier gelebt und seinen Hund Bauschan ausgeführt. Heute mittendrin: der Hanser-Verlag. Christina Knecht blickt von ihrem Büro aus ins Grüne, in die Herzog-Albrecht-Anlage. Und das ist nicht der einzige Grund, warum ihr der Arbeitsplatz gefällt.

„Ich habe alles, was ich will: die Bücher, die Autoren und die Welt da draußen“, sagt die Leiterin der Hanser-Pressestelle. „Für mich ist das der schönste Platz im Verlag.“ Nun ist Verkaufen das tägliche Geschäft einer Pressesprecherin, und man muss nicht jeden Superlativ auf die Goldwaage legen. Aber Knechts Begeisterung, dieses Urteil traut man sich dann doch zu, ist echt.

20 bis 30 neue Bücher bringt der Hanser-Literaturverlag pro Halbjahr heraus, darunter viele Bestseller, Nobel- und Pulitzerpreisträger. Orhan Pamuk, Patrick Modiano, Herta Müller, Umberto Eco, Philip Roth, Susan Sontag, Colson Whitehead, Barack Obama – sie alle sind oder waren Hanser-Autoren. Mit einigen von ihnen hat Knecht eng zusammengearbeitet. An die rechte Wand ihres Büros hat sie Fotos ihrer „Lieblinge“ gepinnt. Seit 24 Jahren ist sie bei Hanser, leitet ein sieben- bis achtköpfiges Team.

Knecht kommt aus der schwäbischen Provinz, aus Crailsheim. Bücher waren von klein auf ihre große Leidenschaft, auch wenn sie keinem literaturaffinen Elternhaus entstammt. Als sie eine Cousine der Mutter besuchte, die eine Buchhandlung hatte, kam sie erstmals auf den Gedanken, aus der Leidenschaft einen Beruf zu machen.

Es folgten eine Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin bei Reclam, ein Studium der Germanistik und Literaturvermittlung in Bamberg und ein paar Jahre bei Rowohlt in Hamburg. „Da habe ich die Pressearbeit kennengelernt und gemerkt, das ist genau mein Ding.“

Aber dieses „Ding“, was ist das eigentlich? Was macht die Pressesprecherin eines Verlages? Versuchen wir es mit einer Metapher: Wenn die Lektorin einem Buch Geburtshilfe geleistet hat, so begleitet es die Pressesprecherin bei seinen ersten Schritten dort draußen in der weiten Welt. „Der Erfolg eines Buches braucht ein großes Konzert, idealerweise über alle Medien und Kanäle“, sagt Knecht.

Natürlich kennt sie sie alle, die für Literatur zuständigen Redakteurinnen und Redakteure in den Kulturressorts, weiß um ihre Vorlieben: Wer ist Romanist? Wer hat eine Faible für amerikanische Literatur, wer steht gar auf Lyrik? Knecht ist in engem Austausch mit den Journalisten in den Feuilletons, den Lokalzeitungen, dem Rundfunk. „Natürlich schauen wir heute auch genau auf alles, was im großen, weiten Web passiert, ob das jetzt die Blogger sind oder redaktionell betreute Seiten.“

Aber enger noch als zu den Medien pflegt die 61-Jährige den Kontakt zu ihren Autoren. In dem Moment, in dem ein Buch tatsächlich auf die Welt komme, spreche man sich ab, was man dem Neugeborenen nun Gutes tun kann. In welchen Medien wünscht man sich Besprechungen? Wer könnte an einem Interview interessiert sein? Sind Buch und Autor talkshowtauglich? Wie sieht es mit Lesereisen aus? Mit Signierstunden?

Die meisten Autoren hätten verstanden, dass es „part of the game“ sei, Öffentlichkeitsarbeit auch selbst zu betreiben. So wie Star-Autor T.C. Boyle. Im Mai erscheint sein neuer Roman auf Deutsch: „Blue Skies“. Im Juni kommt er auf Lesereise. Mit ihm unterwegs: Christina Knecht. Seit 24 Jahren betreut sie den Amerikaner, weiß genau, was sie ihm zumuten kann.

Die schönsten und größten Säle hat sie schon gebucht. Minutiös ist im Zeitplan festgehalten, wann das Taxi in Berlin vor dem Hotel steht, wo in München das Mittagessen mit dem Verleger stattfindet oder welche Interviews der Schriftsteller in Wien gibt. Stress für die Pressesprecherin? Ach, was: Vorfreude! „Er ist wirklich eine coole Socke. Ich kenne niemanden, der so entspannt, so authentisch und seinem Publikum zugewandt ist wie T.C. Boyle.“ Dominik Baur

Die graue Eminenz – Die Agentin

Wer ist Barbara Wenner? Wer sie kennt, wird vermutlich antworten: Eine sympathische und kluge, analytische und humorvolle Person. Wer sie nicht kennt und ihre Website aufruft, sieht sich einem minimalistischen Design gegenüber. Understatement regiert die Webpräsenz der Agentur Wenner. Das kann aber nicht verhindern, dass schnell die Neugier erwacht, wenn man sich die Liste der von Barbara Wenner vertretenen Autorinnen und Autoren anschaut. Es sind Romanciers darunter, Journalistinnen, Historiker und Social-Media-Stars.

Einige der Bücher, zu deren Veröffentlichung Wenner ihren Teil geleistet hat, haben Debatten angestoßen oder geprägt. Stephan Malinowskis Studie über die Rolle der Hohenzollern bei der Machtübernahme der Nazis steht auf Wenners Bücherliste, auch Teresa Bückers Plädoyer für eine Umverteilung des gesellschaftlichen Zeitbudgets, das eben für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert wurde.

Wenner hat so einmal mehr ihr Ziel erreicht: dass über die Bücher der Autoren und Autorinnen gesprochen wird, deren Interessen sie vertritt. Letzteres ist die so knappe wie akkurate Beschreibung dessen, was Wenner eigenem Bekunden nach tut. Angaben zur Person der Literaturagentin finden sich auf ihrer Website ebenso wenig wie ein Foto.

Das liegt in der Natur der Sache: Literaturagenten sind graue Eminenzen. Das lesende Publikum hat im Zweifel noch nie von ihnen gehört. Autorinnen und Autoren aber sind zunehmend auf die Arbeit von Agenten angewiesen. Es sei schwerer geworden für junge Schreibende, bei Verlagen durchzudringen, sagt Wenner, als ich sie in ihrem Büro in Berlin-Mitte aufsuche. Wir nehmen an einem Tisch Platz, auf dem einige Bücher liegen. Hinter ihr eine Wand voller Bücher, die mehr an ein heimisches Bücherregal als an die gefälligen Präsentationen in Verlagshäusern und auf Buchmessen erinnert.

Barbara Wenner steht am Tisch hinter einem Stapel Bücher

Vorne Bücher, hinten Bücher, die Agentin mittendrin: Barbara Wenner in ihrer Agentur in Berlin Foto: Sophie Kirchner

Hier arbeitet eine Leserin, keine PR-Person. Dass sie nun selbst zum Gegenstand der Berichterstattung werden soll, ist ihr offenkundig suspekt.

Wie wird man Literaturagentin? Literaturagent ist weder eine geschützte Berufsbezeichnung noch ein Ausbildungsberuf. Auch studieren kann man das nicht. Wichtig für ihre Arbeit sei das Wissen, wie der Buchmarkt funktioniert, wie Verlage arbeiten, sagt Wenner.

Den Betrieb kennt sie, seit sie nach ihrem Studium der Literaturwissenschaft und der Philosophie als Praktikantin bei Rowohlt zu arbeiten begann. Wenig später war sie dort als Lektorin angestellt und am Ende war sie Programmleiterin. Dieser Job hat viel mit Marketing und Organisation zu tun, das Feilen an Ideen und ihre Realisation erledigen andere. Die Arbeit an den Büchern begann ihr zu fehlen.

In einem anderen Konzernverlag zu arbeiten schloss sie aus, die familiäre Nähe in einem Kleinverlag erschien ihr zu eng. Also wechselte sie die Seite und begann bei der Literaturagentur Graf & Graf zu arbeiten. Nach vier Jahren gründete sie ihre eigene Agentur und nahm im Lauf der Zeit auch einige Autorinnen und Autoren der taz unter Vertrag.

Als Agentin hat sie wieder mit Manuskripten zu tun und mit den Menschen, die sie schrei­ben. So unterschiedlich die Menschen und ihre Texte sind, so vielfältig gestaltet sich Wenners Arbeit. Mal sei ihr schon nach dem Lesen von drei Kapiteln klar, dass sie die Autorin nur in Ruhe weiterarbeiten lassen müsse, sagt sie. Mal arbeite sie mit einem Autor intensiv am Text. Mal bestehe ihre Aufgabe darin, die individuelle Stimme eines Schreibenden gegen ihre Zurichtung auf vermeintliche Marktzwänge zu schützen.

Ihre Arbeitszeiten? Oft lange. Was ist die Voraussetzung, dass sie sich für die Vertretung eines Buchprojekts entscheidet? Es sollte ihr Interesse wecken. Wer als Agentin bei Verlagen und beim Publikum Aufmerksamkeit erregen will, muss neugierig sein. Ulrich Gutmair

Außen Kaufmann, innen kreativ – Der Messedirektor

Die vergangenen drei Jahre waren nicht leicht für Oliver Zille. Wie angefasst er davon war, die Leipziger Buchmesse dreimal pandemiebedingt absagen zu müssen, zeigte sich etwa, als er im vergangenen Jahr die Pop-up-Buchmesse besuchte, die als Alternative recht spontan von kleinen und mittleren Verlagen organisiert worden war.

Oliver Zille streifte durch die Halle, besah sich die Stände, kaufte Bücher. Melancholie, dass die große Messe wieder nicht zustande gekommen war, umgab den 1960 geborenen Zille. Aber auch die Freude an dem Interesse für Bücher und dem Selbstbehauptungswillen der Branche, die sich hier in Leipzig zeigte.

Oliver Zille sagte damals, die Pop-up-Messe sei „eine kreative Antwort auf die schwierige Situation im Moment, aber auch ein klares Statement, wie sehr die Leipziger Buchmesse fehlt und dringend wieder gebraucht wird“. Darin schwingt mit, was man auf die Situation der deutschen Buchbranche insgesamt anwenden könnte. Ein trotziges Beharren auf die Dringlichkeit, mit der sie gebraucht wird. Und ein Bekenntnis dazu, dass man krea­ti­ve Antworten finden muss. Das ist weit weg von einem ma­na­ger­haften Rechnen und Effizienzdiskurs.

Oliver Zille ist in der DDR aufgewachsen. Er lernte Buch­groß- und Außenhandel und absolvierte ein Studium der Außenwirtschaft in Berlin. „Buch“ und „außen“ – dass diese beiden Wörter in der DDR schillernd miteinander verbunden waren, mag ein Klischee sein; es ist ebenso gut auch eine historische Tatsache und für Oliver Zille lebensentscheidend.

Wie weit man bei der gesellschaftlichen Selbstreflexion gehen konnte, wie weit man auch die herrschenden Zustände in der DDR hinterfragen konnte, wurde von Schriftstellerinnen und Schriftstellern immer wieder neu ausgetestet. Die Leipziger Buchmesse mit ihrer großen Tradition bis fast an den Beginn des Buchdrucks zurück war auch ein Schaufenster, in dem DDR-Bürger sich darüber informieren konnten, was im westlichen Ausland gedacht und geschrieben wurde.

Die großen Westverlage konnten in Leipzig ausstellen und ließen sich bereitwillig von den Be­su­che­r*in­nen ihre Messe-Exemplare klauen. In der Berliner Zeitung erinnerte sich Zille gerade an diese Zeit zurück: „Das war wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.“

Seit 30 Jahren leitet Oliver Zille die Leipziger Buchmesse. Der Umzug aus der Innenstadt in die Glashalle fiel in diese Zeit. Nachdem eine Fernseh-Literaturshow à la Oscar-Verleihung arg floppte, setzte Zille auf den Preis der Leipziger Buchmesse als PR-Zugpferd. Die Arbeit der literaturkritischen Jury dazu verfolgt er mit großem Interesse, aber ohne sich inhaltlich einzumischen.

Was treibt Oliver Zille an? Wenn er einem im Restaurant gegenübersitzt, kann er einem sehr gut vermitteln, wie wichtig gesellschaftlich offene Debatten sind. Dass Leipzig in der DDR zu einem Zentrum der Opposition und dann auch zu einem Hotspot der friedlichen Revolution wurde, hat für ihn etwas mit der Leipziger Buchmesse zu tun. Und jetzt kämpft er darum, diesen Marktplatz der Ideen und Debatten auch unter marktwirtschaftlichen Umständen zu behaupten.

Wie sehr in der Gestalt des Kaufmanns und PR-Profis ein literaturaffines Herz schlägt, zeigte sich auch im vergangenen Jahr, als er die Verleihung des Leipziger Buchpreises in seinem Grußwort mit Lyrik veröffentlichte. Russland hatte gerade die Ukraine überfallen, und Zille zitierte mit bebender Stimme die Luhansker Dichterin Jelena Zaslavskaja: „Lange blieb das Unheil aus. Lange Zeit …“ Existenzielle Betroffenheit war in diesem Moment spürbar. Und zugleich trotz aller aktuellen Hilflosigkeit ein tiefes Vertrauen in die zivilisierende Kraft der Literatur. Dirk Knipphals

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