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: „Strandrecht existierte nicht im Mittelmeerraum“

Benjamin Scheller erklärt den Verzicht der Hansekaufleute auf Seeversicherungen

Interview Petra Schellen

taz: Herr Scheller, welche Risiken trugen Hansekaufleute des Mittelalters?

Benjamin Scheller: Neben dem wirtschaftlichen Risiko trugen sie als Seehändler auch Risiken, die mit den Gefahren des Meeres verbunden waren – vor allem das Schiffbruch-Risiko und das des Seeraubs.

Wie gingen sie damit um?

Erstens durch Verträge, die klärten, wie Risiken, aber auch Gewinnchancen zwischen den Partnern verteilt wurden, die an den Handelsgesellschaften beteiligt waren. Außerdem durch kluge Vernetzung und Risikostreuung. Hinzu kam die militärische Bekämpfung von Seeräubern.

Wie verfuhr man mit dem „Strandrecht“?

Das Strandrecht sah ja vor, dass Strandgut in den Besitz dessen überging, der es fand. Die Hansestädte Hamburg und Lübeck haben sowohl mit militärischen Mitteln als auch durch Verträge versucht, die Wahrnehmung des Strandrechts zu unterbinden, damit sie ihre Ware zurück bekamen. Das Strandrecht war etwas sehr Nordeuropäisches, das im Mittelmeerraum nicht existierte. Ich bin ja eigentlich Experte für den Mittelmeerhandel.

Und was interessiert Sie an der Hanse?

Ich arbeite schon länger an einem Projekt, das „Die Geburt des Risikos“ heißt und in dem es um den Umgang von Kaufleuten im Mittelmeerraum mit den Gefahren des Meers geht. In meinem Lübecker Vortrag möchte ich fragen, inwiefern sich die Risikokultur der Hansekaufleute von der zeitgenössischer Mittelmeer-Kaufleute unterschied.

Foto: privat

Benjamin Scheller53, Professor für Geschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit an der Uni Duisburg-Essen.

Worum geht es da konkret?

Zum Beispiel darum, warum sich die Seeversicherung im Hanseraum nicht durchgesetzt hat. Die Seeversicherung entstand im 14. Jahrhundert im Mittelmeerraum; es war die erste Schadensversicherung auf Prämienbasis. Falls das Schiff, auf dem die Waren versandt wurden, ausgeraubt wurde oder Schiffbruch erlitt, ersetzte der Versicherer dem Kaufmann den Schaden. Seeversicherungen verbreiteten sich im 14. und 15. Jahrhundert bis nach Nordeuropa – nach Brügge und London zum Beispiel. Die Hansekaufleute werden diese Institution also gekannt haben. Aber sie haben sie nicht genutzt. Die Frage ist: Warum meinten die Hansekaufleute, auf diese Versicherung verzichten zu können? Darauf werde ich heute Abend eine neue Antwort geben.

Kamen die Hansekaufleute gut ohne Versicherung aus?

Ohne allzu viel vorwegzunehmen: Ich habe schon den Eindruck.

Ihr Vortrag heißt „Angst und Abenteuer? Die Hansekaufleute und das Risiko“. Waren die Hansen Abenteurer?

Nein, ich zitiere hier aus einem Aufsatz des Wirtschaftshistorikers Bruno Kuske von 1949. Er vertrat die These, dass „Angst und Abenteuer“ im mittelalterlichen Nord- bzw. Niederdeutschland für „Risiko“ standen. Das Wort „Risiko“ existierte im deutschen Sprachraum damals noch nicht. Im Mittelmeerraum dagegen sprach man schon seit dem zwölften Jahrhundert von „Risiko“.

Vortrag „Angst und Abenteuer? Die Hansekaufleute des Mittelalters und das Risiko“: 14. 2., 18 Uhr, Europäisches Hansemuseum Lübeck, auch live auf dem YouTube-Kanal des Museums

Führte der Begriff „Angst und Abenteuer“ dazu, dass man Risiken unterschätzte?

Auch diesen sprachlichen Aspekt werde ich heute beleuchten: Wie haben die Hansekaufleute vom Risiko gesprochen, und wie hat sich das auf ihren Umgang mit Risiken ausgewirkt?

Waren die Hansen also blauäugiger als ihre Kollegen am Mittelmeer?

In der Tat stellt sich die Frage, ob die Gefahrenlage an der Ostsee anders war als im Mittelmeerraum. Es spricht einiges dafür, dass zumindest die militärische Beherrschung des Kaperungsrisikos in Ost- und Nordsee leichter zu bewerkstelligen war als im Mittelmeerraum.