Deutschland
geht
ein
Licht
aus

Foto:  Foto: Christian Ender/imago

Halb zehn abends auf dem Kurfürstendamm in Berlin. Die Uhr an der Ruine der Gedächtniskirche leuchtet wie ein Mond über die Straße. Die Kirche ist dunkel; viele Denkmäler der Stadt werden schon seit Juli nicht mehr beleuchtet, um Strom zu sparen.

Die Geschäfte auf der Prachtmeile wiederum halten es mal so, mal so: Superdry dunkel, Timberland hell, Urban Outfitters dunkel, Scotch & Soda hell, Armani sehr hell, Tommy Hilfiger fast dunkel.

Derweil flimmert an der Ecke von Kurfürstendamm und Joachimsthaler Straße in rasender Geschwindigkeit Werbung über die 100 Quadratmeter große Leucht­reklamewand des K u ’damm-Ecks, einem klobig-klotzigen Glasfassadenrundbau, entworfen vom Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner.

Reklame für einen Laptop flackert auf: Die Bilder sind schnell und geschmeidig. Reklame für einen Streamingdienst flackert auf: Die Bilder sind schnell und grell. Reklame für Berlin ploppt auf: Die Bilder sind schnell und sexy. Weil alles zusammenfließt, hat einzig die Frage, die in großen Buchstaben zwischendurch über die Wand flirrt, Bedeutung: „Finde heraus, wie es weitergeht.“

Die Riesenmultimediawand, überhaupt alles, soll an den Times Square in New York erinnern. Um Aufmerksamkeit zu erzeugen, rasen die Werbefilme gern auch mal mit Zooms und optischer Täuschung auf die Zuschauenden zu wie ein riesiger Laster. Kein schöner Gedanke an diesem Ort.

Dann, Sekunden vor 22 Uhr: Nine, eight, seven, six, five, four, three, two, one, zero und das Licht auf der Leuchtwand geht aus. Aber genau in dem Augenblick bin ich abgelenkt, gucke zur Seite. Weil ich sehen will, ob ich die Einzige bin, die Augenzeugin dieses deutschen Weltwunders wird. Und ja, es ist so.

Weniger als ein deutsches Weltwunder kann die Verordnung zum Stromsparen von vergangener Woche „aus dem Hause Habeck“, wie ein Vertreter des Einzelhandelsverbands sagt, nicht sein.

Kein Tempolimit, kein Verbot von Inlandsflügen, keine Übergewinnsteuer, aber immerhin: In Deutschland müssen per Verordnung zum Stromsparen nun Leuchtreklamen von 22 bis 6 Uhr ausgeschaltet sein. Optional sei zudem, sagt der Mann vom Einzelhandelsverband, dass auch die Geschäfte die Lichter ausschalten. Ja. Optional. So ist das deutsche Weltwunder. Das merkt, wer anschließend noch mal auf Schaufensterbummel geht. Immer noch brennt mal Licht, mal nicht.

Wegen des Bitteren an dieser Erkenntnis trinke ich kurz darauf eine Bitter Lemon in der nächsten Kneipe mit Blick auf die dunkle Wand. „Sagen Sie, haben Sie bemerkt, dass der Kudamm jetzt weniger beleuchtet ist?“, frage ich den Kellner. Er nickt bekümmert, sagt, „das soll alles wegen der Energiekosten sein“ und bleibt wie eingefroren stehen, das Tablett in der Hand. Waltraud Schwab