kritisch gesehen
: Bilder aus dem identitätspolitischen Diskurs

Das portugiesische Sklavenschiff „São José Paquete Africa“ sank 1794 auf dem Weg von Mosambik nach Brasilien, 400 bis 500 Menschen fanden dabei vor ­Kapstadt den Tod. Die Künstlerin Euridice Zaituna Kala recherchierte zu dem Unglück, fand aber wenig Informationen über das in den 1980ern entdeckte, aber erst 2015 identifizierte Wrack. Weswegen sie mit der 2016 entstandenen Fotoserie „Sea(e)scapes“ eine eigene Geschichte erzählte: Ihre Polaroids und großformatigen Fotografien zeichnen die Gräuel des kolonialen Sklavenhandels nach; dazu kommen auf den ersten Blick unschuldige Landschafts- und Architekturaufnahmen, in die die Geschichte eingeschrieben ist.

„Seaescapes“ ist Teil der Ausstellung „But I’m Awake. Identitity, Vulnerability and Empowerment“, die in Kooperation mit den Hamburger Deichtorhallen im Rahmen des Internationalen Kampnagel-Sommerfestivals in Winterhude zu sehen ist. Der Titel klingt wie eine Aneinanderreihung von Schlagworten des aktuellen identitätspolitischen Diskurses, tatsächlich werden da aber fünf junge Fo­to­künst­le­r*in­nen gezeigt, die einen ganz eigenen Zugriff auf die Gegenwart haben.

Neben der 1987 im mosambikanischen ­Maputo geborenen Euridice Zaituna Kala ist der 1998 in Innsbruck geborene und mittlerweile in Berlin lebende David Uzochukwu beteiligt. Seine hoch ästhetischen, digital verfremdeten Selbstinszenierungen zeigen fließende, transgressive ­Körperbilder – eine Brücke schlagend zu den derzeit gleich nebenan präsentierten Tanzproduktionen. Die 1991 im polnischen Olesnika geborene Agnieszka Sejud weitet die Grenzen der Fotografie: Sie lässt einen riesigen Pop-Art-Ball durch die Halle rollen, bedruckt mit Motiven aus Trash, Alltagskultur und Kunst; ein reizvoll die Sinne überforderndes Spiel mit der Form.

Besonders interessant: Maria Babikova, geboren 1990 in Tschlejabinsk, zeigt mit „Systems of Order“ Alltagsaufnahmen aus der russischen Gesellschaft – eine Szene im Zoo Novosibirsk, Feiernde auf einer Schaumparty, Polizisten in der Moskauer Metro. Und Julia Poly, geboren 1986 in Stakhanov, inszenierte für die Serie „Ukrsalisnyzja“ aufwendige Fotoarrangements während ihres Brotjobs als Schaffnerin bei der ukrainischen Eisenbahn: ein überquellendes Dekolleté, traurige Teegläser auf einem Zugtisch, Soldaten, die sich eine Stripperin ins Abteil bestellt haben. Unspektakulärer, langweiliger, auch überraschend ästhetischer Vorkriegsalltag, in dem auf beiden Seiten schon die drohende Gewalt­eskalation spürbar ist. Und der, trotz allem, eine künstlerische Verwandtschaft zwischen Russland und der Ukraine beschwört.

Ganz stimmig ist es nicht, dass Kampnagel die Verantwortung für die Bildende-Kunst-Schiene des Festivals an den Deichtorhallen-Kurator Ingo Taubhorn abgegeben hat. Gleichwohl: Als Überblick über aktuelle Entwicklungen der Fotokunst, als fünffaches Spotlight funktioniert die kleine Ausstellung ausnehmend gut. Auch wenn man nicht so recht versteht, was sie an diesem Ort macht. Falk Schreiber

Bis 28. 8., Hamburg, Kampnagel, Eintritt frei