Ausgehen und rumstehen von Beate Scheder
: Die Zeichen stehen gut, verhieß die Berlin Art Week

Saturday Night Fever auf der Rollbergstraße. Völlig unerwartet war es das KfH Nierenzentrum Neukölln, das den Ohrwurm der Berlin Art Week produziert. Es ist Samstagabend kurz nach 19 Uhr, als ich es auf dem Weg zur Eröffnung der Alexandra-Bircken-Installation im Kindl schon von weitem höre: „Ah, ha, ha, ha stayin’ alive, stayin’ alive“. Um ein paar Stehtische im Innenhof der nephrologischen Klinik tanzt eine Handvoll Angestellter im Feierabenddress zu den Bee Gees. Es könnte kaum besser in die Situation passen, die leicht krampfige Ausgelassenheit der Feiernden und das nervöse Falsett Robin Gibbs, das sich zwischen die Ohren klemmt: „Feel the city breakin’ and everybody shakin’“.

Wenn die Berlin Art Week, die gestern zu Ende ging, irgendetwas war, dann ein Lebenszeichen. Ein ziemlich lustvolles sogar, auch wenn die Kunst gar nicht unbedingt so sehr danach aussah: Im Kesselhaus des Kindl hat Alexandra Bircken Häute ausgelegt. Keine echten freilich, aber an menschliche Formen angelehnte schwarze Latexhüllen, schlappe Wesen, denen die Luft ausgegangen ist, mit weiblich konnotierten Merkmalen, leeren Brüsten, bei manchen hat die Künstlerin Straußeneier auf dem Unterleib platziert. Birken hat sie flach auf den Boden gelegt oder so positioniert, dass sie so aussehen, als würden sie herumlungernd auf irgendetwas warten. In der Raummitte versuchen ein paar verzweifelt über eine Knochenleiter nach oben zu klettern – oder hängen sie da eher nur fest und können weder rauf noch runter?

Ziemlich überwältigend waren sie jedenfalls, aber auch schön, all die Menschenaufläufe der vergangenen Woche, Eröffnungen, Empfänge, Abendessen und sogar Partys – unter mehr oder weniger kontrollierten Bedingungen. Der soziale Kater könnte ein bisschen länger anhalten. Nichts ist man ja mehr gewohnt, hoffentlich oder wahrscheinlich kommt das aber wieder.

Die Zeichen stehen gut und selbst das herbstliche Wetter konnte die Stimmung kaum trüben. Auch die von I. und mir nicht, als wir uns am frühen Mittwochabend auf Eröffnungstour durch Schöneberg vor heftigen Schauern in eine Toreinfahrt auf der Kurfürstenstraße flüchten mussten und uns der Weg in die Galerie Noah Klink unendlich weit weg vorkam. Hingekämpft haben wir uns irgendwann doch noch (und noch ein paar Stationen weiter). Dass man immer alles mitnehmen sollte, was geht, wenn gerade etwas geht, haben die vergangenen anderthalb Jahre ja gezeigt.

Zum Glück, denn die Schau „Soma Topika“, die Noah Klink gerade zeigt, lohnt sich wirklich. Die Malerin Alison Yip hat zur Vorbereitung eine Wahrsagerin und eine Neoschamanin befragt – und bekam recht unterschiedliche Prophezeiungen serviert. Den zarten, kleinen Gemälden zufolge, in denen die Künstlerin diese festhielt, spielt darin unter anderem ein flamboyant gekleideter älterer Herr aus dem Land, wo die Orangen wachsen, eine Rolle, ein Schwanenbootverleih und ein gelb-schwarzer Schal als Gimmick zu einer fiktiven Ausstellung. Den Schal gibt es tatsächlich. Yip hat ihn aus Poly­acryl produzieren lassen und daraus ein Tischchen gewebt. So entzückend eigenwillig ist das alles, dass man sich am liebsten sofort auch die Zukunft vorhersagen lassen würde.

Überhaupt scheint das Bedürfnis der Kunstwelt nach Übersinnlichem, Surrealen nie größer gewesen zu sein. Die am meisten diskutierte Ausstellung war schon, bevor sie am Freitag eröffnete, die des Schinkel Pavillons: Dort sind eine Reihe tatsächlich ziemlich spektakulärer Exponate HR Gigers kombiniert mit silikonhaltige Flüssigkeit einatmenden und wieder ausspeienden Skulpturen der südkoreanischen Künstlerin Mire Lee. Die Schau ist das wohl düsterste unter den BAW-Lebenszeichen, überdauern wird es die Kunstwoche eine ganze Weile. Bis Ende Januar empfangen die Monster von Giger und Lee noch Besuch.