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Das Recht auf Pinkeln

Eine Frauenbewegung in Indien setzt sich für die Einrichtung von mehr Toiletten ein. Sie bringt die Mächtigen in Verlegenheit und bricht mit Tabus

Eine Toilette in Mumbai. Zugang zu sauberen Toiletten bedeutet gesellschaftliche Teilhabe Foto: Prashanth Vishwanathan/NYT/Redux/laif

Aus Mumbai Natalie Mayroth

Sie sind berüchtigt für ihre Aktionen: Sei es die Ankündigung, vor das Parlament zu urinieren, oder die Inszenierung einer Trauerveranstaltung, begleitet vom Aufstellen von Kerzen vor Waschräumen am Welttoilettentag. Die indische Bürger:innenbewegung „Right to Pee“ (RTP, auf Deutsch: „das Recht auf Pinkeln“) setzt sich für die Einrichtung von mehr kostenlosen Frauentoiletten ein. Zu den Organisator:innen gehört die 33-jährige Sozialarbeiterin Supriya Sona, die auch für die NGO Coro arbeitet und seit neun Jahren bei RTP aktiv ist.

2014 erreichten die Frauen mit der Drohung, vor dem Parlament zu urinieren, dass sie an den Verhandlungstisch mit der Stadt kamen. Seitdem weiß Sonar: „Wir müssen in Verlegenheit bringen.“

Lange Zeit lag Indien im internationalen Vergleich weit zurück, was die Versorgung mit Toi­letten anging. In dem Land gebe es mehr Tempel als Toiletten, hieß es lange. 2012 forderte ein Minister, dass es eben mehr Toiletten als Tempel brauche, und löste damit eine Kon­tro­verse aus. 2014 machte die Regierung den verstärkten Toi­let­ten­bau dann zum Ziel der landesweiten Kampagne „Sauberes Indien“. Sie dauerte bis 2019 und gilt als größtes Sanitärprogramm der Welt. Nach Regierungsangaben wurde so der Bau von 107 Millionen Toiletten gefördert. Dass alle einen Wasseranschluss haben und auch genutzt werden, bezweifeln Kritiker:innen ebenso wie die Regierungsbehauptung, dass es in Indien keine öffentliche Darmentleerung mehr gebe.

In M East gibt es für 900.000 Menschen gerade mal 500 Klos. Pissoirs für Männer sind zahlreicher als Toiletten für Frauen

Nach Meinung von Sonar ist es in Mumbai auch heute noch nicht so weit, dass jeder eine Toilette benutzen kann. Denn es genügt nicht, einfach ein Klohaus zu bauen. Die Menschen müssen sich umstellen.

Aus hygienischen Gründen wollten einige Familien lange kein Klo unter ihrem Dach. Aber die Zeiten ändern sich. Ein Bollywoodfilm thematisierte das Tabuthema „Klo im Haus“. Er basiert darauf, dass sich eine Inderin 2017 scheiden ließ, weil ihr Mann ihr keine Toilette einrichten wollte und sie im Freien urinieren musste. Das verdeutlicht, worum es Sonar und ihren Mitstreiter:innen geht: die Teilhabe von Frauen. Denn die fängt schon bei der Toilette an.

Genau daran arbeitet Sonar mit ihrem Team und der Stadtverwaltung. Sie und ihre Mitstreiterinnen sprachen mit vielen Frauen in Ostmumbai, um zu verstehen, was sich ändern muss. In ihrem Projektgebiet M East gab es letztes Jahr für 900.000 Menschen gerade mal 500 Klos. Die Benutzung der einfachen Toi­let­tenanlagen in der Stadt ist zwar umsonst, doch man muss sein eigenes Wasser zum Spülen mitbringen. Pissoirs für Männer gebe es viel mehr als Toiletten für Frauen. „Sauberkeit ist für alle notwendig. Als Frauen brauchen wir vier Wände und Privatsphäre.“

4,2 Milliarden Menschen, 54 Prozent der Weltbevölkerung, haben keinen Zugang zu gesundheitlich unbedenklichen Sanitäranlagen. Darauf weisen die Vereinten Nationen und weitere Organisationen anlässlich des jährlichen „Welttoilettentags“ am 19. November hin. Am schlechtesten ist die Lage nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation in Äthiopien, wo nur 7 Prozent der 110 Millionen Einwohner Toilettenzugang haben. Es folgen Tschad und Südsudan.

Der allgemeine Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen wurde von der UN-Vollversammlung 2010 als Grundrecht anerkannt. 24 UN-Sonderberichterstatter appellieren in einem offenen Brief anlässlich des Welttoilettentags, gerade in Zeiten der Covid-19-Pandemie das Kappen der Wasserversorgung zu verbieten.

Sonars Team konnte in M East den Bau von 85 weiteren Toiletten vorantreiben. Zudem wurden während des strikten Corona-Lockdowns in Mumbai sogar die kostenpflichtigen WCs für alle frei zugänglich gemacht. Allerdings nur bis Juni. Es bleibt viel zu tun. Manche Mumbaierinnen, sagt Sonar, geben fast so viel für die Nutzung von Toiletten aus, wie sie am Tag verdienen.

Büroleiterin Rashmi, die in einer informellen Siedlung in Mumbais Vorort Santa Cruz East lebt, musste bis zu ihrem 25. Lebensjahr die kostenlosen gelben Gemeinschaftsklos nutzen, die meist nicht sehr sauber sind. „Es war jedes Mal beschämend, mit dem Eimer Spülwasser in der Hand zum Klohaus zu laufen“, erinnert sie sich. Dann baute bei ihr im Wohnblock ein Stadtratsmitglied eine neue Anlage. Die kostet sie umgerechnet 50 Cent im Monat. Für sie als Angestellte ist das günstig.

Diese Artikel sind Teil des Rechercheprojekts „taz folgt dem Wasser”, das mit dem Programm für Entwicklungsjournalismus des European Journalism Centre gefördert wird.

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Aber wenn Rashmi in Mumbai unterwegs ist, hat sie erneut ein Toilettenproblem. „Obwohl wir Frauen gleichgestellt sind, gibt es in der Stadt einfach zu wenige öffentliche Toiletten für uns. Manchmal ist es schwierig, eine zu finden, vor allem wenn es sauber sein soll“, sagt die 31-Jährige. Deshalb unterstützt sie die Idee von Right to Pee.

Zum diesjährigen Welttoilettentag veröffentlicht die Gruppe ein Toilettenmanifest und fordert saubere und zugängliche Toiletten mit Wasser und Strom, in deren Gestaltung gewerkschaftliche ­Organisationen und Frauen eingebunden werden.