Staat lässt Helfer allein

Flüchtlingshilfen verlieren hauptamtliche Koordinatoren. Vereine fürchten um Bestand der Arbeit. Offener Brief der Flüchtlingshilfe Flensburg. Landesregierung prüft Lösungen

Ohne Ehrenamtliche kaum zu wuppen: Aufnahme von Flüchtlingen Foto: Carsten Rehder/dpa

Von Esther Geißlinger

Die Flüchtlingshilfe Flensburg schlägt Alarm: Dem Verein, der sich seit 2014 um Geflüchtete kümmert und Beratungen anbietet, soll seine letzte hauptamtliche Stelle gestrichen werden. Der Grund ist, dass Landesmittel auslaufen. Nach dem öffentlichen Hilferuf des Vereins wird in Flensburg und Kiel über Lösungen nachgedacht.

Es herrscht Trubel in dem Haus Schiffbrücke 45 am Flensburger Hafen. Dort hat der Verein Flüchtlingshilfe Flensburg seit 2016 seinen Sitz. „Für viele Menschen sind diese Räume eine Art erweitertes Wohnzimmer geworden“, sagt Tobias Kaiser. Er ist der hauptamtliche Koordinator der zahlreichen ehrenamtlichen Angebote, die in dem Verein laufen. Dazu zählen Deutschunterricht, Rechtsberatung, Tipps zu Asylanträgen, Hilfe im Umgang mit Behörden, aber auch Kennenlernen, gemeinsam Zeit verbringen, Freundschaften schließen.

„Viele Geflüchtete übernehmen nach einiger Zeit selbst Aufgaben und geben als Multiplikatoren Informationen weiter“, berichtet Kaiser. Kürzlich hat sich eine Frauengruppe gebildet. Die Teilnehmerinnen organisieren Fahrten, etwa in ein Schwimmbad; neulich unternahmen sie eine Schiffstour: „Frauen, die übers Mittelmeer geflüchtet sind, schaffen es und können dann auch über ihre Flucht sprechen“, sagt Kaiser.

Die ehrenamtliche Arbeit ist für ihn das Kernstück des Vereins: „Unsere Ehrenamtlichen verschenken ihre Zeit. Das ist etwas ganz anderes als in einem Büro, in dem die Leute ihre bezahlte Arbeit tun.“ Auch die Geflüchteten, die in die Räume des Vereins kommen, spürten diesen Unterschied. „So läuft Integration: Menschen laden andere dazu ein, an ihrem Alltag und ihrem Lebensumfeld teilzuhaben.“

Dennoch sei das Hauptamt wichtig, um „den ganzen Mist zu machen, zudem Ehrenamtliche keinen Bock haben“, der aber wichtig ist, um die Beratungsstelle dauerhaft am Laufen zu halten. Zurzeit steht dem Verein für diese Tätigkeit eine Stelle zur Verfügung, zuvor waren es 1,5 Stellen. Doch auch der verbliebene Posten soll zum Jahresende gestrichen werden: Dann laufen Landesmittel aus, die das Innenministerium in der Hoch–Zeit des Zuzugs von Geflüchteten für die Koordinierung von Ehrenamtsprojekten zur Verfügung gestellt hat.

In einem offenen Brief baten die Mitglieder des Vereins die Stadt Flensburg um Hilfe. „Wir waren davon ein bisschen überrascht“, sagt Clemens Teschendorf, Sprecher der Stadt. Denn trotz ihrer klammen Finanzlage fördert die Stadt den Verein mit jährlich 30.000 Euro und wird das auch in den kommenden Jahren tun. „Das Thema ist uns wichtig“, sagt Teschendorf. Derzeit sprechen Stadt, Verein und das fürs Ehrenamt zuständige Sozialministerium darüber, wie das Problem zu lösen sei. „Uns erreichen Signale, dass sich eine Übergangslösung abzeichnet“, heißt es aus dem Rathaus.

Aktuell leben in Flensburg über 26.000 Menschen mit Migrationshintergrund – rund 27 Prozent der gesamten Stadtbevölkerung.

Die Zugereisten stammen aus mehr als 150 Ländern, unter ihnen sind derzeit 3.400 Geflüchtete (alle Aufenthaltsstatus).

Im Herbst 2015 erlebte Flensburg als Grenzstadt einen besonders starken Zuzug von Geflüchteten. Tausende Menschen kampierten auf dem Bahnhofsgelände, zahlreiche Freiwillige halfen damals bei ihrer Versorgung.

Viele der damals Engagierten sind heute noch im Verein Flüchtlingshilfe aktiv.

Auf taz-Anfrage teilte das Ministerium mit, die Landesregierung prüfe unterschiedliche Varianten zu einer „teilweisen Fortführung“ der Landesförderung für die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe. Denn nicht nur Flensburg ist betroffen.

Für Flensburg gibt es jedenfalls einen Plan B, sagt Stadtsprecher Teschendorf: „Wir könnten mit Manpower aus dem Rathaus aushelfen.“ Denn die Stadt hat mit ihrem Integrationsamt gerade eine Anlaufstelle geschaffen, in der Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete Hilfe finden. Zumindest „zeitlich begrenzt“ könnte das helfen.

Tobias Kaiser hofft darauf, dass sich auch langfristig eine Lösung findet: „Wenn hier Strukturen zusammenbrechen und die Ehrenamtlichen sich abwenden, wird es schwer, dieses Engagement zurückzuholen“, sagt der Koordinator.