Ballermann im Watt

Auch an Nord- und Ostsee testet die Bundeswehr: Der Schießplatz Meldorfer Bucht liegt im Nationalpark Wattenmeer, der Truppenübungsplatz Putlos ist ein Natura-2000-Gebiet

Wo die Panzerhaubitzen grollen: der Truppenübungsplatz Putlos an der Ostsee Foto: Christian Charisius/dpa

Von Sven-Michael Veit

Und dann machte es platsch, und der Matsch spritzte hoch. Nur wenige Meter von einer Wattwandergruppe entfernt war das verirrte Projektil in der Meldorfer Bucht eingeschlagen, weit entfernt vom genehmigten und gekennzeichneten Schießkorridor der Bundeswehr. „Ende der 1980er-Jahre war das“, sagt Christof Goetze von der Schutzstation Wattenmeer in der nordfriesischen Kreisstadt Husum. An weitere Zwischenfälle kann er sich nicht erinnern: „Zum Glück.“

Mitten im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer macht die Bundeswehr den Ballermann. Zwischen dem Seebad Büsum und Friedrichskoog, bekannt für seine Seehundaufzuchtstation, betreibt sie ein Waffen-Erprobungsgebiet. Acht Kilometer breit ist es, 44 Kilometer weit reicht es hinaus in die Nordsee, knapp vorbei an der Vogelinsel Trischen, die in der besonders geschützten Kernzone 1 des Nationalparks liegt. „Besonders die Vogelwelt leidet darunter“, sagt Goetze.

Das Problem ist, dass die Militärs ältere Rechte als die Naturschützer haben. Bei der Eindeichung der Meldorfer Bucht war Ende der 1960er-Jahre ein Defizit von 30 Millionen D-Mark aufgetreten. Dieses deckte das Land Schleswig-Holstein durch den Verkauf von 1.500 Hektar Wattfläche an die Bundeswehr. Seitdem testet diese dort Flugkörper- und Raketensysteme.

Bei der Einrichtung des Nationalparks 1985 erhielt die Bundeswehr Bestandsschutz, auch die Anerkennung als Weltnaturerbe durch die Unesco 2009 änderte daran nichts. Zwar hatte schon 1990 und 1998 der schleswig-holsteinische Landtag die Einstellung der Waffentests in der Meldorfer Bucht gefordert – aber vergeblich.

Sprach-Manöver (2)
: Einen Knall haben

Herkunft: ungewiss, möglicherweise Bezeichnung für das akustische Trauma, das vom Abfeuern großer Geschütze (Flak) hervorgerufen werden kann. Eine frühe schriftliche Verwendung findet sich im Vater und Sohn-Strip „Luftbrief mit Strafporto“ (1937) von E[rich]. O[hser]. Plauen, der damals auch Cartoons für Hermann Görings Luftwaffe zeichnete. (bes)

Zuletzt testete die Bundeswehr im November 2014 fünf Tage lang Munition für den damals neuen Schützenpanzer „Puma“. Die Schießübungen seien „unumgänglich“, um eine „zeitgerechte Ausbildung der Soldaten“ für den neuen Panzer zu gewährleisten, schrieb Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) dem grünen Umweltminister Robert Habeck.

Allerdings sicherte sie zu, „dass die Eingriffe in Flora und Fauna so gering wie möglich gehalten werden“. Und sie stellte in verschwurbeltem Deutsch ein Ende der Waffentests im Weltnaturerbe in Aussicht: „Ich habe die Prüfung von möglichen Alternativen für die Untersuchung von Rohrmunition mit der Absicht eingeleitet, mittelfristig eine Entlastung des Wattenmeers in der Meldorfer Bucht von der militärischen Nutzung zu bewirken“, teilte sie Habeck mit.

Seitdem passierte nichts mehr. „In den Jahren 2015 bis heute wurden keine weiteren Erprobungen im Schießgebiet durchgeführt“, teilte das Kieler Umweltministerium jetzt auf taz-Anfrage mit.

Die Schießerei könnte aber jederzeit wieder beginnen, fürchtet Goetze von der Schutzstation. Zudem würden die Tornados des Luftwaffengeschwaders „Immelmann“ aus Jagel bei Schleswig weiterhin über den Nationalpark düsen. „Nicht mehr im Tiefflug und mit Überschall, aber immer noch tief und laut genug“, sagt Goetze. Eine Mindestflughöhe von 900 Metern müsse eingehalten werden – zum Schutz der Seevögel, aber auch der Düsenjets vor Vogelschlag.

An der Ostsee hingegen grollen gern mal die Panzerhaubitzen. Auf dem Truppenübungsplatz Putlos an der Hohwachter Bucht zwischen Fehmarn und Kiel feuert die Bundeswehr bis zu 80 Kilogramm schwere Geschossen auf das Meer, bis zu 20 Meter hoch spritzt das Wasser bei Einschlägen empor. Dass dabei so manche Flunder platt gemacht wird, gilt als unvermeidlicher Kollateralschaden. Zumindest werden die Opfer nicht auf die Fangquoten der deutschen Fischer angerechnet: Die Lizenz zum Töten der Bundeswehr unterliegt nicht den EU-Fischereiregeln.

Der letzte Zwischenfall ereignete sich im Mai 2011. Statt auf eine unbemannte Drohne feuerte ein Soldat eine Flugabwehrrakete des Typs FIM-92 Stinger versehentlich auf ein bemanntes ziviles Flugzeug auf einer benachbarten Schießbahn. Ungeklärt blieb bei der Aufarbeitung des Vorfalls, warum die als besonders treffsicher geltende Rakete das Flugzeug – zum Glück – verfehlte und nur ein paar Bäume niedermähte.

Das aber, noch ein glücklicher Zufallstreffer, in einem nahegelegenen Waldgebiet. Große Teile des Truppenübungsplatzes sind wegen ihrer „besonders wertvollen Biotop-Austattung“ nämlich von der EU als Natura-2000-Gebiet anerkannt.