Walisische Wunderdiät

Sky-Fahrer Geraint Thomas steht vorm Gewinn der Tour de France. Relativ spät hat er erkannt, dass er ein großes Rundfahrt-Talent ist

Schönes Teil, das: Geraint Thomas schaut noch etwas skeptisch auf das Trikot des Leaders Foto: reuters

Aus Trie-sur-Baïse Tom Mustroph

Was für ein Kontrast! Geraint Thomas strich sich das frisch gebügelte Gelbe Trikot glatt und sprach so floskelhafte Sätze wie „Ich werde jetzt meine Mentalität nicht ändern, weiter nur von Tag zu Tag denken und auch auf die vielen kleinen Details bei einer solchen Tour achten“ in die Kameras, da stieß Teamkollege Chris Froome auf der Abfahrt vom Col du Portet zum im Tal wartenden Teambus auf einen übermotivierten Polizisten.

Der Mann in Uniform hatte die Aufgabe, das noch im Gange befindliche Rennen zu schützen. Entgegen der Wettkampfrichtung durfte da niemand herunter, außer natürlich schon ins Ziel gelangte Profis. Weil Froome sich aber eine graue Jacke übers Trikot gestreift hatte und nicht auf den ersten Blick als Sky-Fahrer erkennbar war, hielt der Polizist ihn an. Froome ging dabei zu Boden.

Froome auf dem Asphalt, Thomas in Gelb – vor der Tour hatten das nur die wenigsten prophezeit. Toursieger ist der Waliser damit zwar noch nicht. Er muss erst noch die heutige 200,5 Kilometer lange Pyrenäen­etap­pe überstehen und danach ein passables Zeitfahren abliefern. Das sollte klappen. Thomas kommt aus der britischen Bahnfahrschule, war dort Verfolgungs-Olympiasieger im Team, gemeinsam mit einem gewissen Bradley Wiggins. Verfolgung auf der Bahn und Zeitfahren auf der Straße sind Schwesterdisziplinen. Das kann Thomas also.

Dass er in den Bergen bislang so stark ist, überraschte hingegen. Und dass er den 200-Kilometer-Hammer über den Col d’Aspin, Col du Tourmalet und Col d’Aubisque an der Spitze des Pelotons übersteht, ist auch nicht gewiss. „Wie stark er in der dritten Woche als Kapitän ist, ist selbst für uns eine offene Frage“, sagt Nicolas Portal, sportlicher Leiter bei Sky, der taz.

Dass Thomas in den Bereich gekommen ist, vom Toursieg nicht nur träumen, sondern ihn planen zu können, ist weniger überraschend. Der Waliser fuhr lange im Schatten von Chris Froome, war wichtiger Helfer bei dessen Toursiegen 2013, 2015 und 2016. In den Augen von Teamchef David Brailsford galt er aber als der natürliche Nachfolger von Toursieg-Debütant Bradley Wiggins.

„Was für ein Mann!“

Thomas ist Waliser, wie Brailsford. Das verbindet. Er kommt aus dem Bahnprogramm, das Brailsford mit entwarf. Thomas folgte Brailsford auf die Straße und kam dort gut zurecht. 2010 wurde er auf der Touretappe über das Pflaster von Paris–Roubaix Zweiter. Brailsford bemerkte damals voller Stolz: „Was für ein Mann! Mit ihm können wir Klassiker gewinnen. Und wenn er sich entscheidet, Gewicht zu machen, ist er auch ein Mann für die großen Rundfahrten.“

Thomas konzentrierte sich zunächst auf die Klassiker. In seinem besten Jahr, 2014, erzielte er Top-10-Resultate bei der Flandernrundfahrt und Paris–Roubaix. Weil es mit den großen Erfolgen bei den Klassikern aber nichts wurde, machte sich Thomas an Teil zwei der Brailsford’schen Vorhersage und „machte Gewicht“. Acht Kilogramm soll er britischen Medien zufolge allein 2015 abgenommen haben. Die Diät setzte er in den folgenden Jahren konsequent fort.

Jetzt ist er dünn und immer noch stark genug, um Kletterern wie Nairo Quintana oder Romain Bardet in l’Alpe d’Huez davonfahren zu können. Er ist mental auch stark genug, die Führungsrolle bei Sky zu verkraften. „Ich habe ihn niemals nervös erlebt. Er wirkt immer entspannt, fröhlich fast“, erzählt Sky-Betreuer Portal.

Auch im Umgang mit Journalisten bleibt Thomas entspannt. „Froomey und ich kennen uns schon seit über zehn Jahren. Wir waren bereits bei Barloworld zusammen. Wir haben oft in der Nähe gewohnt, viel zusammen trainiert. Wenn die Tour vorbei ist, werden wir das einfach fortsetzen.“ Bemerkenswert ist auch, dass Thomas im Dezember 2017, als die Salbutamol-Affäre Froomes hochkochte, sich für einen völligen Verzicht auf therapeutische Ausnahmegenehmigungen aussprach. Einfachheit scheint das Motto dieses Walisers. Stoisch nimmt er sogar die Pfiffe hin, die Froome gelten, die aber auch gellen, sobald er in Gelb auftaucht. Sein Kommentar: „Lieber das Rennen gewinnen und dabei ausgepfiffen, als von allen gefeiert zu werden, aber das Rennen verloren zu haben.“