Deutschland ist sicher. Es glaubt nur keiner

2017 wurden so wenig Straftaten erfasst wie seit 1992 nicht mehr, trotzdem sinkt das Sicherheitsgefühl. Offenbar auch bei Seehofer, der für Entwarnung keinen Anlass sieht

Von Malene Gürgen

Es ist eine Krux mit der polizeilichen Kriminalitätsstatistik, die jedes Jahr im Frühling vorgestellt wird: Einerseits wollen Innenpolitiker sinkende Zahlen nutzen, um ihre Sicherheitspolitik als erfolgreich zu präsentieren. Andererseits sollen die Statistiken die Rechtfertigung dafür liefern, warum die Sicherheitsarchitektur weiter ausgebaut werden muss – mehr Geld, mehr Stellen, mehr Befugnisse.

Das gilt ganz besonders, wenn der Innenminister Horst Seehofer heißt, und so war es auch am Dienstag bei der Vorstellung der Zahlen für 2017 in Berlin zu erleben. Die Zahl der polizeilich registrierten Straftaten insgesamt, so zeigt es die Statistik, ist gegenüber 2016 um 9,6 Prozent zurückgegangen. Rund 5,76 Millionen Fälle wurden im vergangenen Jahr erfasst, das ist die niedrigste Zahl seit 1992. Die Aufklärungsquote ist gleichzeitig mit 55,7 Prozent so hoch wie seit 2005 nicht mehr.

Deutschland ist so sicher wie lange nicht mehr – auch wenn die Kriminalitätsstatistik einige methodische Probleme mit sich bringt, geben die Zahlen deutliche Anhaltspunkte dafür, diese Schlussfolgerung zu ziehen. Das tut auch CSU-Minister Seehofer, allerdings nur um gleich hinterherzuschieben: „Gleichwohl gibt es zur Entwarnung keinen Anlass.“ Trotz sinkender Zahlen soll die Polizei verstärkt, die Videoüberwachung ausgebaut und sollen die Befugnisse der Sicherheitsbehörden gerade im Digitalen, etwa beim Mitlesen von Messenger-Diensten, deutlich ausgeweitet werden. „Wir müssen das Menschenmögliche tun, um optimale Sicherheit zu gewährleisten“, begründet Seehofer diese Vorhaben.

Obwohl gerade bei für die Sicherheitswahrnehmung relevanten Delikten wie Diebstahl oder Wohnungseinbrüchen starke Rückgänge zu verzeichnen sind, gehen das subjektive Sicherheitsgefühl und die tatsächlichen Zahlen weit auseinander. So hatte eine im April veröffentlichte Umfrage des Instituts Emnid ergeben, dass 41 Prozent der Befragten sich unsicherer als noch vor fünf Jahren fühlen, nur 7 Prozent gaben ein gestiegenes Sicherheitsgefühl an.

Seehofer will ein „entschlosseneres Vorgehen gegen linksautonome Zentren“

Innenminister Seehofer sowie Holger Stahlknecht, CDU-Innenminister in Sachsen-Anhalt und aktueller Vorsitzender der Innenministerkonferenz, machten am Dienstag zwei Faktoren für das niedrige subjektive Sicherheitsgefühl verantwortlich: In den Jahren 2015 und 2016 hätten viele Bürger das Gefühl bekommen, „dass der Rechtsstaat nicht mehr funktioniert“, so Stahlknecht. Außerdem funktioniere mediale Berichterstattung als „publizistischer Verstärkerkreislauf“, der bei vielen Menschen ein Gefühl von Unsicherheit erzeuge, obwohl sie selbst nicht von Kriminalität betroffen seien.

Die erfassten Straftaten im Bereich der politisch motivierten Kriminalität sind ebenfalls zurückgegangen, gegenüber 2016 um 4,9 Prozent. Bei den „linksmotivierten“ Gewalttaten gab es 2017 einen deutlichen Zuwachs, hier wurden 15,6 Prozent mehr Delikte erfasst als 2016. Ein überwiegender Teil, so Seehofer, sei auf die „beim G20-Gipfel begangenen Gewaltausbrüche“ zurückzuführen. Er wünsche sich ein „entschlosseneres Vorgehen auch der Länder und Kommunen gegen linksautonome Zentren“.

Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte ist laut der Statistik von 995 im Jahr 2016 auf 312 im Jahr 2017 zurückgegangen. Dass die Zahl damit „wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor der starken Zuwanderung in den Jahren 2015 und 2016“ liege, wie Seehofer bei der Vorstellung behauptete, stimmt allerdings nur bedingt: 2014, als die Zahlen bereits gestiegen waren, zählte das Bundeskriminalamt 177 solcher Angriffe. 2013 wurden 58 und 2012 24 Attacken erfasst – deutlich weniger als heute.