Fremd und befremdlich

D ie ist nicht ganz sauber“, hieß das, und damit hat man gemeint: Die stand auf Frauen. Meinen Eltern war es unangenehm, dass sie uns solche Informationen überhaupt zumuten mussten, dass wir in die widerliche Welt der Sexualität, und sogar der „falschen“ Sexualität hineinwachsen mussten.

Man kann wohl sagen, die Welt ist inzwischen eine andere geworden. Es gibt jede Menge offen bekennender homosexueller Menschen, auch prominent, in Amt und Würden, es muss nicht mehr geflüstert werden, es kann offen gelebt werden, und endlich auch richtig geheiratet.

In Schleswig-Holstein und Hamburg hatten einige Standesämter am ersten Oktober geöffnet, obwohl es Sonntag war, um die ersten homosexuellen Paare zu trauen. In Hannover hat ein Standesamt sogar extra früh geöffnet, um eines der ersten deutschen Standesämter zu sein, das ein gleichgeschlechtliches Paar traut. So viel Enthusiasmus geht manchen Leuten auf die Nerven. Und manche zeigten sich enttäuscht über die Heiratslust der Schwulen und Lesben, die sie lieber crazy und schrill hätten: Warum müssen die denn nun unbedingt heiraten?

Die Konservativen, Missgünstigen, die verstehen ohnehin nicht, warum die Institution der Ehe nun auch jenen Menschen zusteht, die ihrer Meinung nach eine Wahl getroffen haben, die nun mal ein Leben, das der Fortpflanzung dient, ausschließt.

Diese Konservativen, Missgünstigen meinen, weil sie selbst sich so mit der Fortpflanzung abmühen, sollte ihnen dafür auch ein exklusives Recht zustehen, das Recht, zu heiraten. Die Konservativen, Missgünstigen legen sehr viel Wert auf dieses Recht, selbst wenn sie selbst gar nicht heiraten und sich fortpflanzen wollen.

Warum müssen die also nun unbedingt heiraten, diese gleichgeschlechtlich Liebenden? Alles an dieser Frage ist falsch. Ich habe nämlich nirgendwo erfahren können, dass gleichgeschlechtliche Paare zur Heirat ab sofort gezwungen sein werden. Ein wenig richtiger wäre vielleicht noch die Frage nach dem Wollen gewesen, aber es wollen ja überhaupt gar nicht alle heiraten.

Manche wollen heiraten. Manche wollen sich ein Haus kaufen, ein Kind adoptieren, einen Gartenzaun bauen und am Samstagabend auf der Terrasse grillen. Es geht uns nichts an, was die Leute wollen und warum.

Fühlen sich die Menschen, die sich darüber empören, dass Menschen, die anders lieben als sie, jetzt heiraten und eine Familie gründen können, hintergangen? Und warum? Meinen sie, dass sie selbst sich etwas aufgeladen, dass sie auf Dinge verzichtet haben, zugunsten der Familie, auf die diese gleichgeschlechtlichen Paare nicht bereit sind, ebenso zu verzichten? Anders lässt sich diese Missgunst ja nicht erklären. Und welche Dinge wären das dann, auf die diese Menschen zugunsten ihrer Familie bereit waren, zu verzichten, im Gegensatz zu denen jetzt, die darauf nicht verzichten haben? Es unterscheidet sie ja nur die Art des Begehrens, ihre sexuelle Ausrichtung.

Man sollte nicht „andauernd“ darüber berichten, meinen sie. Es solle ja jeder leben, wie er wolle, aber berichten solle man darüber nicht. Es wäre nicht von allgemeinem Interesse, sagen sie, die eigentlich meinen, sie wollen es nicht hören, dass ein Mann jetzt einen Mann heiraten kann. Sie wollen ihre Ohren zusperren und wollen sich nicht vorstellen müssen, wie der Mann den Mann bei der Hochzeit küsst, mit Zunge, und wie er später dann im Bett mit ihm bumst.

Das wollen die Konservativen, diese erbitterten Menschen nicht hören und nicht denken, obwohl sie es andauernd denken müssen. Wenn Homosexuelle jetzt heiraten und eine Familie gründen können, ganz genau wie sie, wie die Heterosexuellen, dann sind sie am Ende auch wie sie? Und welchen Grund soll es dann noch geben, sein eigenes Begehren zu verleugnen, zum Beispiel?