Hausbesuch Dominik Sagner, Physikstudent in München, ist in der katholischen Studentenverbindung
Vandalia. Sie ist sein Korsett, schränkt ihn ein, stützt ihn aber auch. Er nimmt’s, wie’s kommt
: Katholik. Student. Mann

„Manchmal nerven einen die anderen total“, sagt Dominik Sagner über die Vandalia. Dann gebe es wieder Tage, da sei es das Schönste auf der Welt, mit ihnen zu kochen und zu reden

von Johannes Drosdowski
(Text) und Quirin Leppert (Fotos)

Zu Besuch bei Dominik Sagner in München. Er gehört der Studentenverbindung Vandalia an.

Draußen: Dort, wo früher das Atelier von Hitlers Lieblingsfotograf Heinrich Hoffmann stand in Schwabing, gegenüber von Villen, ist auch das Studentenwohnheim „Deutsche Burse“, ein gelbes, sechsstöckiges Haus. Im Erdgeschoss: die Studentenverbindung Vandalia.

Drinnen: Warme, abgestandene Luft hängt im Empfangsraum der Studentenverbindung. Wer hinein möchte, braucht eine Einladung oder einen Schlüssel. Das Empfangsmobiliar ist gediegen: dunkler Marmortisch, Polsterstühle und Couch in Hellgrün. Über der Treppe zur Bar wurde Jesus in goldenem Lendenschurz an ein riesiges Kreuz genagelt. Dominik Sagner lässt sich in einen der gepolsterten Stühle fallen. Neben ihm das Wappen der Verbindung mit Ölzweig, österreichischem Adler, Eule und Lotusblume.

In die Verbindung: Seit Sagner 2011 mit dem Studium begann, lebt er im Wohnheim. Mit im Wohnheim: die Vandalia. „Wenn man einzieht, wird man klar von der Verbindung geworben“, sagt Sagner. Auch zu ihm seien die Burschen oft gekommen, um ihn einzuladen; häufig sei er mitgegangen zu den Bar­abenden und Aktivitäten. Irgendwann wurde ihm das zeitlich zu viel, er hatte ja einen Freundeskreis aus der Heimat. „Aber das ist über die Semester zerfallen.“ Sagner war allein. „Ich habe viel Zeit am PC verbracht.“ 2016 umwarb die Vandalia einen neuen Mitbewohner, Sagner schloss sich an, wurde ein sogenannter Fuchs, die Vorstufe des Burschen – und ist es noch. Heute lernt er für seine Burschenprüfung, die ihn auf Lebzeit der Verbindung verpflichtet.

Heimat: Sagner kommt aus dem 6.000-Einwohner-Markt namens Wernberg-Köblitz in der Oberpfalz. Dort war er in beinahe jedem Verein – Leichtathletik, katholische Landjugend, Ministrant, Schützenverein. Der Markt sei „wunderschön zerstritten“: 1972 ist er aus zwei Orten zusammengesetzt worden. Seitdem gibt es zwei Feuerwehren und Sportvereine. Und zwei Kinos in der nächsten größeren Stadt.

Warme, abgestandene Luft hängt im Empfangsraum

Die alte Familie: Mit seiner Schwester und seinem Vater hat sich Sagner dort im Kino jeden zweiten Samstag einen Film angesehen, denn mit sieben Jahren wurde er zum Scheidungskind. Er wollte eigentlich keinen Kontakt zu seinem Vater, seit der ihn im Streit geschlagen hatte. Doch der Vater erstritt sich vor Gericht das Besuchsrecht. Bis seine Schwester 18 Jahre alt wurde, gingen sie also ins Kino. Seitdem kann er Popcorn nicht mehr leiden. Nur wegen des Bafögs hat er heute noch Kontakt zum Vater. Seinen Stiefvater nennt er „Jörn“, wenn er von seinen „Eltern“ spricht, meint er ihn und seine Mutter.

Die neue Familie: „Manchmal nerven einen die anderen total“, sagt Sagner über die Vandalia. Dann gebe es wieder Tage, da sei es das Schönste auf der Welt, mit ihnen zu kochen und zu reden. Wenn sie sich in den Gemeinschaftsräumen aufhalten, tragen die Burschen und Füchse ihre Bänder. Manchmal werden die Anwärter „Dummfüchse“ genannt. Man nimmt sie nicht ernst, gesteht ihnen aber Fehler zu. Mit 24 Jahren ist Sagner ein sehr alter Fuchs. Älter als mancher Bursche. Trotzdem ist er ihnen unterstellt. Wie etwa seinem „Leibvater“; dieser Bursche vertritt ihn auf Conventen, verteidigt ihn und spricht für ihn. Dominik Sagner zitiert ihn gerne: „Eine Verbindung ist wie ein Korsett: Sie schränkt einen ein, aber sie stützt einen auch.“

Regeln:Gemeinschaft entstehe durch Rituale, heißt es. Bei den sogenannten „Kneipen“ trinkt und singt die Verbindung. Dabei gibt es viele Regeln. Manchmal darf man nicht sprechen. Das Handy soll nicht benutzt werden. Frauen sind meist nicht erlaubt. Die Burschen und Füchse singen, etwa die deutsche Nationalhymne. Aber nur die dritte Strophe. Das ist Sagner wichtig. „Bei anderen Verbindungen mag das anders sein.“ Doch die Vandalia habe kein „deutsches Prinzip“. Hier dürfe jeder teilnehmen. Nur das muss man er sein: Katholik, Student und Mann.

Glaube: Vandalia-Burschen müssen katholisch sein, ansonsten würde man Kirche locker sehen. „Religion ist eine persönliche Sache, die jeder für sich entscheiden muss.“ Sagner geht häufiger in die Kirche als die meisten anderen. Für ihn ist der Gottesdienst Meditation, voller Rituale aus der Kindheit, die ihn beruhigen. Außerdem sei man dort mit sich alleine. Er habe – hinsichtlich Religion – eine „klassische, bayrische Landerziehung“, aber erst mit dem Physikstudium sei das Nachdenken gekommen. „Ich betrachte die Welt wissenschaftlich, auf die Frage nach Religion kann ich keine klare Antwort geben.“ Er hoffe, dass es einen Gott gibt, egal welcher Religion. „Aber eigentlich glaube ich nicht daran.“

Kritik: Sagner meint, Farbbeutel zu werfen würde niemandem etwas bringen. Das würde nur Feindschaften schüren. „Besser ist Reden.“ Aber dennoch die Frage: Ist die Vandalia autoritär? Die Burschen bevormunden doch die Füchse, tragen ihnen Arbeiten auf? „Jein“, antwortet Sagner. Die Hierarchie sei meist demokratisch gewählt. „Wer Wehrdienst geleistet hat, der kann sich da sicher besser in die Strukturen einfügen.“ Sagner selbst wurde nie gemustert. Ob Studentenverbindungen wiederum ein Ort seien, wo Elite gezüchtet wird, verneint Sagner auch. Jeder könne mitmachen, unabhängig vom Vermögen oder der Geschichte der Eltern, das sei richtig so. „Es zählt nur, was du bist.“ Student, männlich, katholisch also. Eine Änderung der Regeln fordert Sagner ebenfalls nicht. „Wir sind so. Das ist unsere Identität.“ Aber ist das hier kein konservativer Sumpf? Es gebe schon Leute auf CSU-Linie, „aber da ist nichts Falsches dran.“ Er selbst sei eher Mitte-links und ein Freund des Antifaschismus.

Ob es Gott gibt, da ist sich Sagner nicht sicher

Trotz allem: Manchmal zweifelt Sagner. Etwa an einzelnen Zeilen aus Trinkliedern aus dem 19. Jahrhundert. Er findet sie politisch veraltet. Was er dann macht? „Ich singe trotzdem mit.“

Selbstblick: Sagner sieht sich selbst kritisch. Er habe keine Diskussionskultur und weise persönliche Schuld oft von sich. „Ich lerne nicht aus Fehlern“, sagt er. Pläne für die Zukunft habe er nicht. Er traue sich auch nicht zu träumen, das gehe sowieso nur schief. „Bis jetzt habe ich mich einfach durchgemogelt. Für Lebensziele fehlt es mir an Ehrgeiz.“ Was er nach dem Abschluss macht, weiß er noch nicht. Die Familie mäkele deswegen, die Verbindung nicht. Sie sagt, er darf nach seinem Abschluss erst einmal dort wohnen bleiben, bis sich etwas ergibt.

Merkel oder Schulz?: Wen er wählen wird, weiß Sagner noch nicht. Schulz mag er als Person „ganz gern“, besonders wegen der europäischen Idee. Von Merkel würde er sich mehr Profil wünschen, gerade gegen Erdoğan.