Völlig losgelöst

Eskapismus Die südafrikanische Songwriterin Alice Phoebe Lou und ihr Auftritt im Zeiss-Planetarium

Als Alice Phoebe Lou erstmals in einem Planetarium war, wurde ihr klar, wie klein sie war angesichts der Unendlichkeit Foto: Clayton Haskell

von Julika Bickel

Du läufst durch den Garten, schaust in den Sternenhimmel. du spürst den Moment. Eine wunderschöne Stimme lässt dich treiben. Sie singt: „We got footsteps moving slow, we got less power and more control.“ Du gleitest in die Nacht, schneller, immer schneller, durch Sternenstaub hindurch, alles dreht sich, du tanzt.

Die Sängerin Alice Phoebe Lou nimmt einen mit auf eine Reise in eine Traumwelt, andere Galaxien, ins Hier und Jetzt. Kein anderer Ort als ein Planetarium scheint passenderer zu sein für ihre Musik. Am vergangenen Dienstag spielte sie ein Zusatzkonzert im Zeiss-Planetarium in der Prenzlauer Allee, nachdem das erste Konzert innerhalb von zwei Tagen ausverkauft war und die Nachfrage immer größer wurde. Die 23-jährige Südafrikanerin, die vor allem als Straßenmusikerin an der Warschauer Brücke bekannt ist, hat eine große Fangemeinde. Gerade tourt sie durch Europa, im Februar reist sie in ihr Heimatland nach Kapstadt und Johannesburg. Lou spielt am liebsten nicht in großen Hallen, sondern an Orten mit einer intimen Atmosphäre: in einer Bar, einer Kirche – und irgendwie wirkt auch ein Planetarium dank ihr fast familiär.

Du lehnst dich im Sessel zurück und bist ganz bei dir. Über dir, um dich herum das Universum. Vorne, im Halbdunkeln, steht Alice Phoebe Lou mit ihrer Band. Eine zierliche, kleine Person mit langen blonden Haaren. Manchmal vergisst du, dass sie dort steht und hörst nur noch ihre soulige, warme Stimme. Oder wie sie über sich selbst beim Auftritt sagt: „Manchmal vergisst du, dass du existierst und Musik spielst. Ich liebe dieses Gefühl.“

Ihre bluesige, jazzige Musik wirkt wie eine Meditation. Besonders an diesem Ort. Es ist das intensive Gefühl, sich dem Augenblick hinzugeben. Du bist da und gleichzeitig nicht da. Fern, zur selben Zeit ganz nah. Der Moment dehnt sich aus.

Schwerelos, etwas verloren

Lou erzählt, dass sie diese Erfahrung das erste Mal hatte, als sie mit sechs Jahren in einem Planetarium war und ihr klar wurde, wie klein sie war angesichts der Unendlichkeit. Darum dreht sich der Song „Nostalgia“: Sie singt vom Tagträumen, vom Zeitreisen, „it feels like swimming“, „I take you dancing, lead you to the hilltops“.

Die Texte sind poetisch, die Songs folgen keinem festen Muster, haben oftmals keinen Re­frain, sie sind schwerelos und etwas verloren wie jemand im Weltraum. Den einzigen Halt geben ein Beat, Lous zupfendes Spiel auf der Gitarre und ihre unglaublich klare Stimme. Dazu spielt ein Saxofon, manchmal eine Klarinette.

Lou wuchs als Tochter zweier Dokumentarfilmer in Südafrika auf, sie ging zur Waldorfschule und zog nach dem Schulabschluss mit 19 Jahren nach Berlin. Der Winter, die Kälte und das Grau der Großstadt waren neu für sie. Von diesem ersten Eindruck handelt ihr Song „The City Sleeps“. Sie singt von den Blättern, die verrotten: „Babe have you seen those leaves on the ground / At first they shone from the pavement in gold red and brown / And they’ve been trampled on and ridden over.“ Die Stadt schläft, und sie weiß, sie muss gehen. „But babe I’ll be back / When the sun starts to seep through the leaves / When I can sing you a song“.

Ein Song, der etwas anders klingt als alle anderen, entstand zusammen mit ihrem Künstlerkollegen Olmo. „The Devil’s Sweetheart“ ist ein wenig düsterer und geht mehr in Richtung Folk Music. Es klingt, als würden ein Cowgirl und ein Cowboy einsam durch die Wüste reiten. Sie singen im Duett: „Hey you / You with your head in the clouds / You’ve been running around / On the tight ropes you found / In the minds of the weak you seek to speak“.

Ihr Song „She“ klingt rockig, der Text ist feministisch: „She cut a hole in the fence and ran.“ Lou liebt die Freiheit. Sie will unabhängig bleiben. Alle Angebote von Plattenfirmen hat sie bisher abgewiesen. Ihr Debütalbum „Orbit“, das im April 2016 he­rauskam, brachte sie mit mehreren Vetriebspartnern heraus. Inzwischen beschäftigt sie einen Manager und eine Boo­king­agentur.

Manche mögen Alice Phoebe Lou für naiv halten und ihr Konzert für leicht esoterisch. Am besten versteht man die Künstlerin, wenn man die Visualisierung zu ihrem neuesten Song, der „New Song“ heißt, sieht: Ein Mädchen, in einfachen Strichen gezeichnet, pustet eine Löwenzahnblume, hält sich an den Schirmfliegern fest, schaukelt und schwebt durchs All, und das Meer, Vögel und Quallen gleiten an ihr vorbei. Das Kind erinnert an Saint-Exupérys kleinen Prinzen, der sagt: „Wenn du in der Nacht den Himmel betrachtest, weil ich auf einem von ihnen wohne, dann wird es für dich so sein, als ob alle Sterne lachten, weil ich auf einem von ihnen lache.“