heute in hamburg
: „Skepsis gegenüber Polizei“

VORTRAG BeraterInnen über die Arbeit mit Flüchtlingen, die sexualisierte Gewalt erlebten

Nina Kodal-Kolk

Sozialpädagogin beim Projekt Savia, das Menschen in Flüchtlingsunterkünften berät, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind.

taz: Frau Kodal-Kolk, wie groß ist das Problem von häuslicher Gewalt und sexualisierten Übergriffen in Flüchtlingsunterkünften?

Nina Kodal-Kolk: Die Menschen bringen sehr viel Gewalterfahrung aus dem Herkunftsland mit, aber in vielen Fällen ist Gewalt auch durch äußere Umstände bedingt, etwa die soziale Kontrolle in den Unterkünften.

Kann das Zusammenleben in einer Massenunterbringung vor häuslicher Gewalt schützen?

Nein. Die soziale Kontrolle führt nicht dazu, dass Menschen weniger häusliche Gewalt ausüben. Im Gegenteil ist Privatsphäre für eine stabile Beziehung unabdingbar. Aber in den Erstaufnahmen leidet das Familienleben. Der Stress ist so groß, dass zum Beispiel manchmal Kinder in Familien geschlagen werden, wo das vorher noch nie passiert ist. Besonders nach der Unterbringung in großen Unterkünften werden wir aber in den nächsten Jahren Versorgungslücke haben.

Inwiefern?

Es fehlt eine therapeutische Unterstützung, etwa Paartherapie, die auch von Dolmetschern übersetzt wird.

Für Frauen und homosexuelle Geflüchtete gibt es in Hamburg eigene Unterkünfte?

Ja, für besonders Schutzbedürftige. Darin gibt es mittlerweile auch erste schwule WGs. Wir gehen davon aus, dass gerade unter den Frauen die Dunkelziffer jener sehr groß ist, die sich nicht trauen, sich an jemanden zu wenden.

Erleben Sie kulturelle Unterschiede, etwa bei der Bereitschaft, sich Hilfe zu holen?

Das Thema ist wie bei deutschen Frauen mit Scham besetzt, mit der Angst davor, was mit dem Mann passiert. Aber bei Geflüchteten gibt es viel Skepsis gegenüber der Polizei, weil sie in den Herkunftsländern nur Repression bedeutet. Die Frage der Gewalt selbst hat aber nichts mit kulturellen Wurzeln zu tun, sondern viel mit individuellen Gründen.

Gilt das auch für Themen wie Genitalverstümmelung oder Zwangsheirat?

Das darf man nicht verharmlosen, aber man darf es auch nicht vermischen: Ich möchte es mir nicht einfach machen und den Fehler begehen, alle Menschen einer bestimmten Herkunft über einen Kamm zu scheren.

Hat es Auswirkungen auf Ihre Arbeit, wenn männliche Flüchtlinge pauschal unter Verdacht stehen, Vergewaltiger zu sein?

Nein. Die Diskussion führt zu nichts. Ich schaue mir jeden Einzelfall an und muss auch im Einzelfall helfen.

Interview: Jpb

18 Uhr, Rechtshaus-Hörsaal, Rothenbaumchaussee 33