Der Kick der Wissenschaft

Wissen Fußball geht immer, nicht nur zu Zeiten der Europameisterschaft. Deswegen widmet man sich auch am Samstag bei der Langen Nacht der Wissenschaften dem Ball – mit Vorträgen, Robotern und einem Kickertisch

Humanoider Roboter, hart am Ball Foto: Ali Mercan/TU Berlin

von Ralf Pauli

Es ist das Spiel der Passiven, das auch zu jedem Anpfiff einer Partie der Fußball-Europameisterschaft eröffnet wird: Während Nationalspieler und Trainer Toren, Siegen, Ehre nachrennen, glänzen die Bewegten auf der Bierbank mit Wissen: neue Regeln (erste EM mit Torlinientechnik, abgebrochener Elfer gibt ne Gelbe Karte) und natürlich jede Menge Spielerfacts: Wer im deutschen Team als Kind schon mal ein Tor kaputtgeschossen hat (Podolski), welcher Newcomer gelernter Einzelhandelskaufmann ist (Weigl). Abseits des Platzes gilt: Ruhm ist dem gewiss, der viel weiß.

Wenn Wissen populär ist und Fußball der beliebteste Sport im Land – so mögen die Veranstalter der Langen Nacht der Wissenschaften gedacht haben –, dann sollte Fußball nicht fehlen. Und tatsächlich: Wenn am Samstag über 70 Hochschulen, Institute und Forschungszentren ihre Türen für Wissbegierige öffnen, finden sich auch Wissensangebote rund um den Ball.

Zum Beispiel im Haus der Leibniz-Gemeinschaft in Wedding. Dort können sich politisch interessierte Fußballfans mit den Spielregeln innerdeutscher Fußballgeschichte vertraut machen: Wer von der DDR in die BRD wechselte wie 1983 Falko Götz vom BFC Dynamo, galt als „Sportverräter“. Davon zeugen höhnische Fangesänge wie „Willst du in den Westen türmen, musst du für Dynamo stürmen“. Und wer die Fluchtgedanken seiner Teamkameraden deckte, wurde wie Peter Kotte lebenslang für Profi-Teams gesperrt. „Fußball im geteilten Berlin“ heißt das Angebot des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, an dem der DFB die Geschichte des DDR-Fußballs erforschen lässt. Besucher der Ausstellung können ihr Wissen zuvor – oder vielleicht besser anschließend – in einem Quiz testen.

Die Mauer umspielen

Wer gar nicht so viel selber lesen will, kann sich auch den Vortrag von Jutta Braun anhören. Die Leiterin des Potsdamer Fußball-Projekts stellt anhand von Geheimdokumenten, alten Spielfotos und Spielerbiografien die sportlichen „Grenzgänger“ zur Zeit der deutschen Teilung vor. Und wie es ihnen möglich war, trotz aller Bemühung von SED und Stasi „die Mauer zu umspielen“.

Aktueller – und noch düsterer – wird es für Fußballfans, wenn sie sich Pavel Brunßens Vortrag in der Universitätsbibliothek der TU Berlin anhören. Den Studenten am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU interessieren „autoritäre Fußballpatrioten“. Und die gibt es quer durch Europa in allen Ligen. Wie rassistisch, sexistisch und homophob sind deutsche Fans?

Bei der Langen Nacht der Wissenschaften hat man heute am Samstag die Möglichkeit auf einen Einblick in 74 wissenschaftliche Einrichtungen in Berlin und auf dem Potsdamer Telegrafenberg. Die Türen sind offen von 17 bis 24 Uhr.

Auch bei der 16. Runde der Langen Nacht gelten die Tickets als Fahrschein im Tarifbereich ABC, sie kosten 14/9 Euro. Programm: www.langenachtderwissenschaften.de

Wem diese Frage mitten in der EM-Euphorie zu schwergewichtig ist, kommt vielleicht eher beim virtuellen Sprung ins Stadion, ebenfalls an der TU, auf seine Kosten. Im Hauptgebäude wird „Fußball grenzenlos“ versprochen. Mit Sensoren an den Füßen und einer Art Google-Brille kickt man den Ball durch seine eigene hochpräzise Fußballwelt – kabellos selbstverständlich.

Man muss aber gar nicht aktiv werden, sondern kann sich – in klassischer Fan-Manier – hautnah Profis angucken. Entweder die „Roboter in Aktion“ im Erwin-Schrödinger-Zentrum, die auch als Fußballer lernen, indem sie Menschen imitieren. Oder deren steife Kollegen im Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik: Dort werden Kickerfiguren in Maßarbeit gefertigt und der Kickertisch live zusammengesetzt. Hier aber ist Mitmachen wieder ausdrücklich erwünscht.

14 von insgesamt 1.976 Veranstaltungen bei der Langen Nacht haben mehr oder weniger mit Fußball zu tun, 0,7 Prozent. Nicht gerade meisterlich. Aber: Lernen kann man auf den anderen Veranstaltungen genauso etwas. Mit Wissen prahlen ist kein Vorrecht für Fußballfreunde.