Österreich

Es gibt nichts daran zu deuteln: Die Hälfte der Österreicherhaben einen Mann gewählt, der rechtsextreme Ideen pflegt

Käse, Festspiele – und ein liberaler Trend

Vorarlberg Das Bundesland am Bodensee ist eine Ausnahme: Anders als alle anderen ländlichen Regionen Österreichs stimmte es für Van der Bellen

Das Leben zwischen zwei oder drei Staaten ist in dieser ­offenen Region viel selbstverständlicher

WIEN taz | Fast 57 Prozent der Vorarlberger haben Alexander Van der Bellen ihre Stimme gegeben. Nur im Kaunertal in Tirol, der Heimat des grünen Präsidentschaftskandidaten, und in der grünen Hochburg Wien waren die Zahlen besser.

Das Vorarlberger Ergebnis hat viele überrascht. Das 2.600 Quadratkilometer kleine Bundesland jenseits des Arlbergs ist bekannt für seine Wintersportparadiese und den Käse aus dem Bregenzer Wald. Feinspitze waren vielleicht schon einmal bei den Bregenzer Festspielen auf der Bodenseebühne. Aber darüber hinaus wird das „Ländle“ auch im Osten Österreichs kaum wahrgenommen. Für die Einheimischen ist das Wahlergebnis aber nicht so erstaunlich. „Vorarlberg ist deutlich urbaner und liberaler, als es im Osten wahrgenommen wird“, sagt Harald Walser, Bildungssprecher und Abgeordneter der Grünen zum Nationalrat: „Die Wahlergebnisse der letzten Jahre waren immer sehr ähnlich wie in Wien.“ Vorarlberg „ist wie eine Stadt“, sagt der Kleinunternehmer Andreas Teltschner: „Das Rheintal von Bregenz bis Feldkirch, ein Drittel der Landesfläche, wo zwei Drittel der Bevölkerung leben, ist wie ein großes bewohntes Gebiet.“

Der Anteil der gut ausgebildeten Facharbeiter ist hoch. Viele arbeiten in Deutschland oder der Schweiz. Das Leben zwischen zwei oder drei Staaten ist in dieser offenen Region viel selbstverständlicher. „Es ist das Normalste, hier zu leben und woanders zu arbeiten“, sagt Teltschner.

Gegen Restösterreich ist Vorarlberg durch ein über 2.500 Meter hohes Bergmassiv abgeriegelt. Zur Schweiz und nach Deutschland ist das Bundesland offen. Vor der Eröffnung des 14 Kilometer langen Arlbergtunnels im Jahre 1978 führte der schnellste Weg ins benachbarte Tirol über Deutschland.

Im Rheintal sind große Firmen angesiedelt, die auf gut ausgebildete Fachkräfte Wert legen. Kaum jemand kommt auf die Idee, die EU infrage zu stellen, wie es die FPÖ tut. Van der Bellens klares Bekenntnis zu einer starken EU kam also gut an. Vorarlberg hat nach Wien auch den höchsten Zuwandereranteil. Der Islam ist die zweitstärkste Religionsgemeinschaft und die jüdische Gemeinde von Hohen­ems ist eine der größten im alpinen Gebiet.

Mit dem Biobauern Kaspanaze Simma zog 1984 der erste Grüne in einen österreichischen Landtag ein. Er kam, wie viele Grüne, aus der konservativen ÖVP und findet seine ehemalige Partei auch heute noch zu links. Seit der jüngsten Landtagswahl im Vorjahr sitzen die Grünen auch mit der ÖVP in der Landesregierung. Die Konservativen haben ihre Berührungsängste abgelegt. „Wenn es um rassistische Äußerungen oder EU-feindliche Politik geht, dann machen die nicht mit“, sagt Harald Walser.

Die Vorarlberger Grünen seien eher konservativ und die ÖVP sei eher aufgeschlossen, meint der Kleinunternehmer Teltschner. Deswegen funktioniere die Zusammenarbeit. Nicht zufällig will die Vorarlberger ÖVP gegen die Parteilinie die Ganztagsschule flächendeckend einführen. Denn solide Ausbildung sei besonders wichtig. Der grüne Bildungssprecher Walser bestätigt, dass die ÖVP im Ländle „etwas offener, weniger dogmatisch“ sei. Die Vorarlberger sind sogar die einzige Parteifraktion, die die Gleichstellung Homosexueller ins Regierungsprogramm hineinverhandeln konnte. Ralf Leonhard