Raus aufs Land

Brain-Drain In der sächsischen Provinz fehlen LehrerInnen. Fast alle wollen nach Dresden oder Leipzig. Das Kultusministerium hat sich etwas einfallen lassen: ein Stipendium für landtreue Lehramtsstudierende

Wer abspringt, muss das Geld zurück­zahlen, da ist das Ministerium hart

Tobias Wendebaum blickt gefasst auf seine Zukunft als Förderschullehrer. Der 22-jährige Student der Sonderpädagogik wird nach Studienabschluss mindestens drei Jahre in der Region Bautzen-Görlitz verbringen. Genauer gesagt: verbringen müssen. Dazu hat er sich verpflichtet. „Ein Opfer, das man bringen kann, auch wenn die Trennung von Leipzig schwerfällt!“

Was nach einer Strafversetzung in die Lausitz klingt, geschah aus freien Stücken: Wendebaum hat sich auf einen Deal mit dem sächsischen Kultusministerium eingelassen. Dafür erhält er das neue „Sachsenstipendium“ – und obendrein – im Anschluss ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.

Die sächsische Landesregierung will der allgemeinen Landflucht entgegenwirken. Nach einem Stipendium für angehende Ärzte, die Landärzte werden sollten, sah die Regierung jetzt Handlungsbedarf bei angehenden Lehrkräften. Denn die fehlen auf dem Land, wie dem Kultusministerium wohl bewusst ist: „70 Prozent der Lehramtsanwärter in Sachsen bewerben sich für die beiden Großstädte Leipzig und Dresden“, verrät ein Ministeriumssprecher. Dort, wo die Lehrer auch ausgebildet werden. Offenbar wollen die meisten von dort nicht wieder weg.

Mit dem Sachsenstipendium von über 300 Euro und einer optimalen Betreuung mit Regionalkontakten während des Studiums will das Ministerium nun junge Pauker aufs Land locken. Das „Land“ beginnt dabei schon in der 240.000-Einwohner-Stadt Chemnitz, wo in Zukunft auch wieder ein Lehramtsstudium möglich sein soll. Bis dort fertige Lehrer an die Schulen kommen, muss das Stipendium Anreize schaffen, in Chemnitz zu unterrichten.

Seit März konnten sich Lehramtsstudenten ab dem 5. Semester um das Stipendium bewerben. Mit Ausnahme von an­gehenden Gymnasiallehrern. Von ihnen gibt es überall im Freistaat genügend Anwärter. Wer das Sachsenstipendium erhalten möchte, verpflichtet sich im Gegenzug, das Studium in der Regelstudienzeit abzuschließen, Praktika bereits in der künftigen Einsatzregion jenseits der beiden Großstädte zu absolvieren und dann für mindestens zwei oder drei Jahre in dieser Region zu unterrichten.

Für Tobias Wendebaum „keine Hürde“. Er hänge zwar an Leipzig, das nicht weit entfernt von seinem Geburtsort Rötha liegt. Aber nach neun Umzügen und einem zwischenzeitlichen Aufenthalt auf der Insel Usedom ist Wendebaum nicht auf einen Wohnort fixiert. Da er zudem Polnisch als Zweitsprache unterrichten kann, spricht vieles für seinen Einsatz in der grenznahen Lausitz. Ohnehin hätte für ihn eine Bewerbung in Leipzig oder Dresden kaum Aussicht auf Erfolg, vermutet Wendebaum. Mit dem beliebten Hauptfach Deutsch müsste er Spitzennoten vorweisen können. Kann er aber nicht. Warum also nicht auf ein solches Angebot eingehen, zumal in Hoyerswerda eine Schwester wohnt? Eine „Win-win-Situation“, so Wendebaum.

Wie er kalkulierten 155 andere Lehramtsstudenten. Über die hohe Bewerberzahl war selbst das Ministerium überrascht. 100 von ihnen wurden zum Gespräch eingeladen, 50 von ihnen erhalten das Stipendium. Die Entscheidung über die letzten offenen Plätze wird in diesen Tagen getroffen. Tobias Wendebaum hat bereits seine Zusage. Beim Bewerbungsgespräch hat er offenbar einen starken Eindruck hinterlassen. Dabei wollte er ursprünglich einmal Tierarzt werden. Während eines Schulpraktikums entdeckte er seine Leidenschaft für den pädagogischen Beruf.

Doch halten auch alle Stipendiaten auf dem Land durch? Das sächsische Kultusministerium ist sich nicht so sicher. Der Sog der Großstadtangebote sei nicht zu unterschätzen, heißt es auf Anfrage aus Dresden. Nach Studien der Uni Leipzig würden alte Heimatbindungen während des Studiums schwächer. Deshalb würden die Stipendiaten von Kontaktpersonen aus der künftigen Einsatzregion begleitet, werde auf regelmäßige Aufenthalte am Einsatzort geachtet.

Auch Tobias Wendebaum wird Leipzig, seine geliebte Wave-Gothic-Szene vermissen. Er stellt sich dennoch auf eine Zukunft in der Lausitz ein. Und wenn er doch abspringt? Dann, da ist das Ministerium knallhart, muss er das Sachsenstip zurückzahlen. Michael Bartsch