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: Beichte eines Besessenen

Ronald Reng: „Mroskos Talente. Das erstaunliche Leben eines Bundesliga-Scouts“.Piper, 416 Seiten, 20 Euro

Am Ende sitzen Lars Mros­ko und Shergo Biran, der mal der große „Shergoal“ war und sogar in der Bundesliga gespielt hat, wieder da, wo alles angefangen hat: An einem Fußballplatz in Berlin-Neukölln. Mrosko als Co-Trainer, Shergoal als Trainer. Das Team, das sie betreuen, ist die A-Jugend des TSV Rudow. In Campingstühlen hocken sie an einem regnerischen Novembertag am Spielfeldrand. Die Jungs, ihre Jungs, spielen gegen den BFC Dynamo. Mrosko, einst Scout beim FC Bayern und bei Wolfsburg, der ganz Fußball­europa bereiste, sieht, wie die Jungs 0:1 in Rückstand geraten. Grauer Himmel, Rudow, November. „Ist doch ein Drecksspiel, Fußball.“

Die Geschichte des Lars Mros­ko, die einem der Sportjournalist Ronald Reng auf 400 Seiten erzählt hat, ist eine in jeder Hinsicht bemerkenswerte Geschichte. Reng, Autor mehrerer Fußballbücher, erzählt darin weit mehr als „nur“ die Story des Lars Mrosko, der, noch keine 25 Jahre alt, als Talentscout in den Profifußball vorrückt. Sein Protagonist Mros­ko packt aus und spricht offen über eine Branche, in der es eigentlich ein unausgesprochenes Schweigegelübde gibt. So liest sich die Biografie Mros­kos und seiner Weggefährten wie ein Insiderbericht aus dem Profifußballgeschäft.

Mrosko scheint mit seiner Fußballbesessenheit, seinem Blick für Talente und seinem Ehrgeiz zunächst bestens in dieses Geschäft zu passen. Ein Berliner Junge, aufgewachsen in der Gropiusstadt. Große Klappe, auch was dahinter. Mros­ko, beim VfB Neukölln kickend, träumt von der eigenen Profikarriere. Aber es wird nichts, irgendwann ist das Sprunggelenk kaputt. Aber er will nicht vom Fußball lassen. Beim damaligen Zweitligisten Tennis Borussia Berlin, wo er Jugendtrainer wird, will ihn ein Jugendkoordinator namens Mirko Slomka zum Nachwuchsscout machen. Mrosko fragt: „Was ist denn das: Scout?“ Er lernt nicht nur sehr bald, dass ein Scout Talente für die Klubs sichtet, er wird auch schnell gut in diesem Job. Freiberuflich wird er wenig später Talentspäher beim FC Bayern, tingelt für 3.000 Mark im Monat von Jugendspiel zu Jugendspiel – bis ihn der FC St. Pauli verpflichtet. Dort, wo eigentlich alles ganz anders ist, gerät er in einen Machtkampf und wird böse abserviert.

Zum VfL Wolfsburg kommt Mrosko 2004, er bleibt sechs Jahre. Unter Felix Magath wird er Nachwuchs-Chefscout. Magath gefällt Mroskos forsche, direkte Art. Der ist derweil überall in Europa unterwegs. Er lebt im Auto. Nimmt Medikamente, wenn der Rücken mal wieder schmerzt, Koffein-Tabletten, wenn er am Steuer müde wird. Seine Wolfsburger Zeit endet erst, als er sich – inzwischen sind wir in der Armin-Veh-Ära – mit Manager Dieter Hoeneß anlegt, ihn fast körperlich angeht: das Ende seiner Scout-Karriere.

Mrosko ist eine Type: große Klappe und auch was dahinter

Erstaunlich ist nicht nur die Geschichte von Mrosko. Erstaunlich ist, auf wie vielen Ebenen sie etwas über den heutigen Fußball aussagt. Vom Millionengeschäft profitieren vielleicht die oberen 2 bis 5 Prozent des Business – der Rest steckt oft im Existenzkampf. Ganz nebenbei spiegelt dieses Geschäft, das in den letzten 15 Jahren zu einem milliardenschweren Entertainmentkomplex angewachsen ist, die Bedingungen des globalisierten und neoliberalen Markts wider.

Man bekommt zudem einen Einblick in Verhandlungen, Machtkämpfe und in die Zufälle des Profifußballs – und man weiß, was die Schlagworte „Tagesgeschäft“ und „Schnelllebigkeit des Fußballs“ für die Beteiligten bedeuten: Es ist eine Branche, in der sich die Begebenheiten stündlich ändern können. Die Mechanismen und Kräfte, die im Fußball wirken, treten umso deutlicher hervor, weil Reng immer wieder die Perspektiven wechselt, zudem ein stilistisch und dramaturgisch großartiger Erzähler ist. Einziges Manko des Buchs ist, dass die Personen, die dem Helden Mros­ko wohlgesinnt sind, zu positiv dargestellt werden – etwa ausgerechnet der umstrittene Felix Magath. Jens Uthoff