Das große Grübeln

SchulreformDer hessische Bildungsgipfel sollte Diskussionen über die künftige Ausgestaltung des Schulsystems für zehn Jahre befrieden. Doch die ideologischen Barrieren waren zu hoch

Herausforderung: Wie kriegt man ganz unterschiedliche Vorstellungen von Schule zusammen? Foto: Nina Steul/plainpicture

von Alina Leimbach

Eine Schule für alle oder jeder SchülerIn ihre Schulform – diese Frage stand jahrelang im Zentrum politischer Auseinandersetzungen. „Die Grabenkämpfe sind vorbei“, flötet die amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die sächsische Bildungsministerin Brunhild Kurth (CDU) nun bei jeder sich bietenden Gelegenheit. In ganz Deutschland herrscht Schulfrieden? Nein. In einem mittelgroßen Bundesland zwischen Rhein und Weser geht die Schlacht weiter.

Insbesondere die künftige Gestaltung des Schulsystems, das in Hessen derzeit aus acht parallelen Schulformen besteht, sorgt für Zwist. Aber auch die Frage, ob und wie Schüler mit und ohne Behinderungen künftig gemeinsam lernen.

Eigentlich hatte sich die schwarz-grüne Koalition in Hessen den Bildungsfrieden sowie „Planungssicherheit für die nächsten zehn Jahre“ in den Koalitionsvertrag geschrieben. Vorbild war etwa das rot-grün regierte Nachbarland Nordrhein-Westfalen, wo das mit dem Schulfrieden 2011 schließlich auch geklappt hatte. Analog holte der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) ein breites Bündnis verschiedener Akteure, von der Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), bis hin zu Elternverbänden, der Landesschülervertretung, der Wirtschaft und Kirchen an einen Tisch.

Einigkeit über Uneinigkeit

Ein dreiviertel Jahr tagte der sogenannte Bildungsgipfel. Doch vor der letzten Sitzung am Freitag sind sich die Akteure, von der Linken bis zum eher konservativen hessischen Philologenverband, vor allem in einem Punkt einig: Der Bildungsgipfel ist „gescheitert“. Das Abschlussdokument wollen sie nicht unterzeichnen.

Warum das so ist, wird schon auf der ersten Seite der Erklärung deutlich, wo es heißt: „Wir können und wir wollen die teilweise grundlegend unterschiedlichen Auffassungen insbesondere zur weiteren Entwicklung von Ganztagsangeboten, Schulstruktur und der Umsetzung von Inklusion im Schulalltag nicht nivellieren.“ Anders ausgedrückt: Wir können uns in keinem relevanten Punkt einigen.

Zu unterschiedlich waren etwa die Auffassungen, wie es gelingen könnte, Chancen- und Bildungsgerechtigkeit über die Schulstruktur hinweg zu stärken. So lautete der Arbeitsauftrag der ersten von fünf Arbeitsgruppen, die Lorz eingerichtet hatte. Hinter dieser schwammigen Beschreibung verbirgt sich die Frage nach dem Für und Wider von Gesamtschulen und des gemeinsamen Lernens. Während die SPD, die Landesschülervertretung und die GEW das gemeinsame Lernen favorisierten, gilt insbesondere die CDU als erbitterter Gegner solcher Modelle.

Kurzzeitig tauchte in der Arbeitsgruppe der Vorschlag einer „Sekundarschule“ auf, einer Art Gesamtschule, an der Schüler sowohl den Real- als auch den Hauptschulabschluss machen können. Sie hätte an die Stelle von Haupt- und Realschulen treten sollen. Neben Bayern gibt es die Hauptschule in Reinform nur noch in Hessen.

Doch gleich nachdem die Sekundarschule als vorläufiges Ergebnis durch die Medien geisterte, versprach der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) der Jungen Union: „Mit mir wird es keine Einheitsschule geben.“

Die Gipfelgruppe verständigt sich also darauf, das System nicht anzutasten, um so wenigstens Planungssicherheit zu gewährleisten. Für alle Schulformen außer für die Hauptschule gibt es „Bestandsgarantien“. Die Sekundarschule wird im Abschlussdokument erwähnt, aber nur als eine von vielen Optionen.

Ganztagsschule – aber wie?

„Die CDU wollte ihre bildungspolitischen Grundsätze ab­segnen lassen.“

Jochen Nagel, GEW

Ein weiterer großer Brocken auf dem Bildungsgipfel war das Thema „Ganztagsschulen“. Einigkeit herrschte darüber, dass es mehr Ganztagsangebote geben soll. Aber in welcher Form – ob flächendeckend rhythmisiert, sprich, der Unterricht ist auf den ganzen Tag verteilt, oder mit freiwilliger Nachmittagsbetreuung, darüber herrschte kein Konsens.

Im vorläufigen Abschlusspapier heißt es, dass das Angebot vor Ort sich nach den Bedürfnissen der Eltern richten soll. „Hier wurde eine echte Chance vertan, für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen“, meint der hessische GEW-Vorsitzende Jochen Nagel. Denn nicht alle Eltern könnten ihre Kinder so fördern, wie sie das benötigten. Daher müsse der Staat hier Angebote machen.

Noch ernüchternder fiel die Bilanz der Arbeitsgruppe Inklusion aus, die sich mit der Teilhabe aller Schüler – ob mit oder ohne Behinderung – am Regelschulunterricht auseinandersetzen sollte. Zurzeit gilt in Hessen ein sogenannter Ressourcenvorbehalt. Schulen können Kinder ablehnen, wenn ihnen Personal oder Ausstattung, wie beispielsweise eine Rampe, fehlen. An diesem Credo wird festgehalten. Reiner Pilz vom Landeselternbund ist enttäuscht: „Dabei ist die Inklusion eines der brennendsten Themen.“

Als Erfolg werten den Bildungsgipfel eigentlich nur Kultusminister Lorz und sein Kollege Mathias Wagner, Fraktionsvorsitzender der Grünen. In zwei Punkten trifft das auch zu: So verständigten sich die Teilnehmer darauf, dass ab sofort frühzeitig abgeklärt werden soll, ob Anwärter auf den Lehrerberuf auch geeignet für den Job sind. Und das Fach Arbeitslehre wird beibehalten, um die Berufsorientierung zu stärken. So wichtig das sein mag – eine entscheidende Bedingung für einen Bildungsfrieden war es nicht.

Viele Teilnehmer, wie Linke, Elternbund und GEW, zeigten sich von Anbeginn an skeptisch, ob der Gipfel wirklich „ergebnisoffen“ sei, wie der Kultusminister versprochen hatte. Nagel sieht sich bestätigt: „Im Gegensatz zu dem erfolgreichen Prozess in Nordrhein-Westfalen, wo sich alle Seiten weiter bewegten, wollten Grüne und wohl insbesondere die CDU sich ihre bildungspolitischen Grundsätze in allererster Linie absegnen lassen.“ Das hat nicht funktioniert.