American Pie
: Kicken auf Mindestlohnbasis

Die meisten Spielerinnen müssen noch in einem zweiten Job dazuverdienen

VERNUNFTMODELL Fußball-WM? Na und? In den USA spielt die Frauen-Liga weiter, obwohl die besten Akteurinnen fehlen

Ja, klar, so ein Finale ist schön. Der Ruhm, die Ehre und so. Aber Nadine Angerer hat auch ein ganz persönliches Interesse daran, heute Nacht mit den deutschen Fußballerinnen das Halbfinale gegen die USA zu gewinnen. Denn das Endspiel findet am Sonntag statt in Vancouver. Von dort hätte es Angerer anschließend nicht weit an ihren Arbeitsplatz im nur eine Flugstunde entfernten Portland.

Die deutsche Torhüterin spielt seit Januar 2014 für den Portland Thorns FC in der NWSL. Die Abkürzung steht für National Women‘s Soccer League und den dritten Versuch in den vergangenen Jahren, eine Frauenfußball-Profiliga in den USA zu etablieren.

Die Thorns könnten Angerer momentan gut gebrauchen. Der Klub war zwar erfolgreich in die Saison gestartet und in den ersten vier Spielen ungeschlagen geblieben. Aber als sich Angerer und die anderen Nationalspielerinnen Mitte Mai in die Trainingslager ihrer Nationalteams aufmachten, begann eine Niederlagenserie, die das Team aus dem Nordwesten auf den vorletzten Tabellenplatz abstürzen ließ.

Wer sich jetzt wundert: Ja, die NWSL spielt weiter. Auch während der Weltmeisterschaft in Kanada. Während der Gruppenphase der WM hat die Liga eine zweiwöchige Pause eingelegt, aber jetzt, da die Entscheidung ansteht, wurde der Spielbetrieb wieder aufgenommen – obwohl den Klubs immer noch die wichtigsten Akteure fehlen. Im WM-Viertelfinale standen gleich 40 NWSL-Profis: 22 US-Amerikanerinnen, elf Kanadierinnen, fünf Australierinnen, eine Engländerin und Angerer.

Neben Angerer fehlten Portland zuletzt auch die kanadische Kapitänin Christine Sinclair und die Engländerin Jodie Taylor. Unbestrittener Star der Thorns ist allerdings Alex Morgan. Die US-Stürmerin ist die Großverdienerin der NWSL. Auf drei Millionen US-Dollar wird ihr Jahreseinkommen geschätzt, davon stammen allerdings mindestens 2,8 Millionen aus Werbeverträgen. Denn allein in der NWSL wird niemand reich. Die Liga ist eigentlich eine semiprofessionelle, die meisten Spielerinnen müssen noch in einem zweiten Job dazuverdienen. Während der brasilianische Superstar Marta bei seinem schwedischen Klub ein Jahresgehalt von 350.000 Euro einfährt, liegt das Spit­zeneinkommen für die sechs Monate dauernde NWSL-Saison bei gerade mal 38.000 Dollar. Nicht hoch genug jedenfalls, um eine Abby Wambach davon abzuhalten, die ganze NWSL-Saison auszusetzen, um sich auf die WM vorzubereiten.

Dabei hätte Wambach bei ihrem Klub New York Flash sicherlich deutlich mehr verdient als der Großteil ihrer Mitspielerinnen. Die allermeisten bekommen kaum mehr als den Mindestlohn von 7.000, dafür sorgt die Gehaltsobergrenze von 265.000 Dollar pro Team. Die einzuhalten ist oberste Priorität der Teambesitzer. Nach den Pleiten von Women’s Professional Soccer (WPS), die es nur von 2009 bis 2011 gab, und der Women’s United Soccer Association ­(Wusa), die ebenfalls nur drei Jahre bis 2003 existierte, setzt man nun auf finanzielle Vernunft. Die bislang neun Teams sollen solide wirtschaften, perspektivisch will man die Liga auf 12 Franchises erweitern. Konkrete Pläne dafür aber gibt es nicht, die Entwicklung soll nicht forciert werden.

Bislang läuft diese Entwicklung nicht sensationell, aber doch positiv. Während gerade mal 1.019 Zuschauer im Schnitt ein Frauen-Bundesligaspiel sehen wollen, kommen zu NWSL-Partien immerhin 4.000 Zuschauer. Demnächst will die Liga auch einen neuen, besser dotierten Fernsehvertrag präsentieren. Vorzeigeklub ist Portland: Wenn Morgan, Angerer und Sinclair im Providence Park auflaufen, wollen das regelmäßig 13.000 Fans sehen. Ausverkauft ist das 21.000 Menschen fassende Stadion aber immer dann, wenn die männliche Konkurrenz antritt. Die Portland Timbers, die derselben Eigentümergruppe gehören wie die Thorns, sind der Vorzeigeklub der Major League Soccer (MLS). Portland hat sich – auch dank mangelnder Konkurrenz aus Baseball, Eishockey und American Football – in den vergangenen Jahren zu einer Fußball-Hochburg entwickelt. Na­dine Angerer hat also allen Grund,sich nach dem Finale schnell gen Süden aufzumachen.

Thomas Winkler