Kolumne: Steinzeit-Häberle und Ur-Pfleiderer

Die Schwaben sollen die ersten Künstler der Menschheit gewesen sein? Ich fass' es nicht.

Dass das älteste Kunstwerk der Menschheit. . . Dass der Wunsch nach mehr als nur nach Fressen erstmals. . . Dass ausgerechnet die Schwaben. Ich fass es nicht. Aber im Spiegel von dieser Woche steht es tatsächlich auf dem Titel: "Die Entdeckung der ältesten Kunstwerke der Menschheit in einer Höhle der Schwäbischen Alb". Ausgerechnet auf der "Schwäbischen Alb".

Wer war schon mal dort oben und hat zwischen Wacholderbüschen und Kalkfelsen mit einem Bewohner dieses vom lieben Gott so vernachlässigten Landstrichs gesprochen? Hier, hier, hier. Also dann wisst ihr ja, dass die heutigen Albbewohner kaum in der Lage sind, einen geraden Satz zu sprechen. Ihr Genuschel und Gestammel klingt immer, als müssten sie ständig "an Apparat ra tra" (einen Apparat herunter tragen).

Vor 35 000 Jahren sollen die Bewohner dieser Alb erstmals in der Geschichte der Menschheit aus Stoßzähnen von Mammuts kleine Kunstwerke geschnitzt haben, die zu nichts anderem gut waren, als zum Anglotzen. Nicht die Ägypter, nicht die Perser, nicht die Chinesen. Nein, es waren die Steinzeit-Häberles und Ur-Pfleiderers.

Muss man eine Wissenschaft, die so Unglaubliches feststellt, noch ernst nehmen? Muss man ein Nachrichtenmagazin, das solche Wahrheiten verbreitet, noch lesen? Ich bin ja selbst Schwabe, aber verarschen kann ich mich selber. Kunst gibt es hier keine. Heute nicht und damals schon zweimal nicht.

Wenn schon, dann "Kunscht", und der begegnet man im Land ihrer Erfindung 35 000 Jahren später eher mit Skepsis. "Des isch koi Kunscht", sagt der schwäbische Betrachter zum Beispiel heute, wenn ein Künstler wie Georg Baselitz in dieser Gegend seine Bilder ausstellt. Die Stuttgarter Staatsgalerie wird von mehr Nicht-Schwaben als von Schwaben besucht. In keinem anderen Bundesland verhungern Bildhauer und Maler so zahlreich, wie zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb. Die Besten sind nach Berlin, Köln und New York geflüchtet, weil am Erfindungsort der Kunst alles eben "koi Kunscht" ist. Eine anspruchsvolle Galerie in der Stuttgarter Innenstadt zu eröffnen wäre ungefähr so Erfolg versprechend, wie auf Blattläuse mit dem Luftgewehr zu schießen.

Weil aber im Land der Kunsterfindung die Erfindungskunt besonders weit verbreitet ist, wird von auswärtigen Künstlern viel Kunst gekauft. Herr Burda und Herr Würth bauten sogar große Tempel um ihre Bilder herum und die Kreissparkassen laden täglich zu Austellungen ein. Geld für Kunst, das ja. Aber echte Künstler? Nachfahren der Steinzeit-Schnitzer? Da muss ich passen.

Gut, meine Schwägerin aus Betzingen. Die gilt als bedeutend und sie wickelt kilometerlange Schläuche um Stahlrohre. Aber erstens kommt sie nicht aus Schwaben und zweitens verstehen die meisten Einheimischen gar nicht, was sie damit ausdrücken will.

Mir geht es ja genauso. Ich stehe vor moderner Kunst wie Neandertaler vor einem Scheunentor. Ich kann Farben und Formen nicht in Gefühle umsetzen und für die intellektuelle Analyse eines gelben Dreiecks auf schwarzem Grund bin ich zu ungeschult. Zu den meisten Bildern, die in meiner Wohnung hängen, habe ich noch immer keine Beziehung aufgebaut und ehrlich gesagt: Ich würde es kaum bemerken, wenn eines von ihnen morgens nicht mehr da hinge. Nicht dass ich stolz auf mein Banausentum wäre. Gerne würde ich verstehen. Aber da muss man sich wohl intensiver mit Dreiecken und Strichen befassen, als es mir meine Zeit bislang erlaubte.

Doch selbst mit viel Zeit: Als Schwabe tut man sich mit dem Verständnis moderner Kunst noch viel schwerer, als etwa in Hannover. Dort kann man seine Ignoranz wenigstens in schöne Worte fassen, während ein Bewohner der Schwäbischen Alb bei der Betrachtung einer modernen Installation nur Grunzlaute von sich geben kann. Diese klingen ganz ähnlich wie der Balzruf eines Mammuts vor 35 000 Jahren geklungen haben muss. Vielleicht schließt sich hier ja der Kreis.

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