Ein Jahr Rot-Rot (2nd Edition): Auf der Welle des Erfolgs

Berlin hat es geschafft: Die Stadt ist eine weltweit angesagte Metropole. Doch welchen Anteil hat die Politik an diesem Erfolg? Anmerkungen zu einem Jahr rot-rote Koalition.

Berlin leuchtet: hier das Bodemuseum beim "Festival of Lights" Bild: Reuters

Auch ein Diplomat wie der ehemalige US-Botschafter in Berlin, Richard Holbrooke, gerät manchmal ins Schwärmen. "Selbst ein New Yorker ist verblüfft angesichts der rohen, oft konfusen, aber immer beeindruckenden Energie des neuen Berlin", schrieb er im Geleitwort zum Festival "Berlin in lights" in New York. Mit diesem Enthusiasmus steht Holbrooke nicht allein. Tausende New Yorker feierten im November die deutsche Hauptstadt als wiederauferstandene Kulturmetropole.

Am 23. November 2006 war es soweit. Zum zweiten Mal wurde Klaus Wowereit von einer rot-roten Mehrheit im Abgeordnetehaus zum Regierenden Büregrmeister gewählt. Allerdings erst im zweiten Wahlgang. Dem Fehlstart fügte die Opposition eine weitere Niederlage zu. Sie schlug vor, Wolf Biermann zum Ehrenbürger zu machen und gewann. Am 23. März 2007 musste Wowereit dem Widersacher die Urkunde überreichen.

Stur blieb die Koalition dagegen bei der Schließung des Flughafens Tempelhof. Am 8. Juni 2007 beschloss der Senat, Tempelhof zu entwidmen. Derzeit läuft dazu ein Volksbegehren. Einmal auf Erfolgskurs verzeichnet der Senat am 12. Juli 2007 den nächsten Coup. Statt an Heuschrecken wird die Landesbank an den Deutschen Sparkassen- und Giroverband verkauft. Sparsenator Thilo Sarrazin bekommt 5,3 Milliarden Euro.

Schwerer hat es dagegen Justizsenatorin Gisela von der Aue. Nachdem bekannt wurde, dass über die Mauer der JVA Plötzensee Handy und Drogen in den Jugendknast gelangten, fordert die Opposition am 5. September 2007 den Rücktritt der Senatorin. Umsonst. Der Regierende hält zu von der Aue. Vielleicht auch deshalb, weil er schlechte Nachrichten nicht gebrauchen kann.

Am 20. September 2007 stellte Wowereit seine Autobiographie "...und das ist auch gut so" vor. Ob er seinem Wunsch, auch in der Bundespolitik mitzureden, damit näher gekommen ist, bleibt dahingestellt. Auf jeden Fall kann Wowereit feiern. Am 18. November 2007 war er beim Abschluss des Berlin-Festivals in New York.

Berlin ist wieder wer. Vor allem aber ist es nicht mehr die geteilte Stadt, in der sich am Checkpoint Charlie die kalten Krieger ein Stelldichein gaben. Neue Architekturen, unzählige Clubs, die vielfältige Kulturlandschaft, die zahlreichen Nischen - all das ist nicht neu. Neu ist nur, dass dieses Berlin der ungeahnten Möglichkeiten die Mauer als Wahrzeichen verdrängt hat. Selbst Paris und London ist die Tourismusmetropole auf den Fersen. Ein urbanes Aschenputtelmärchen?

Klaus Wowereit hat andere Worte für Berlin gefunden. Gleichwohl ist sein Diktum, Berlin sei "arm, aber sexy", inzwischen selbst zum Markenzeichen der deutschen Hauptstadt geworden. Dabei wirft es, bislang wenig beachtet, in seinem schrägen Fatalismus eine Frage auf, die sich anlässlich des ersten Jahrestags der zweiten rot-roten Koalition umso dringender stellt: Was hat der Berlinboom mit der Berliner Politik zu tun? Was die Berliner Politik mit dem Image der Stadt? Kann Berlin nicht auch reich und sexy werden?

In der internationalen Wahrnehmung ist Berliner Landespolitik vor allem eine One-Man-Show. Berlin ist Klaus Wowereit, und Klaus Wowereit ist, auch beim Abschluss des New Yorker Festivals, Berlin. Was ihm in heimischen Gefilden übel genommen wird, macht auf internationalem Parkett Eindruck. Was muss das für eine Stadt sein, deren schwules Oberhaupt bis in die Puppen feiert? In Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie ist Image der wichtigste Standortfaktor. Wowereit hat dies erkannt - sein Berlin-Board soll den Hype nun auch für die Berliner Wirtschaft nutzbar machen.

Die kann das dringend brauchen. Zwar stimmt es, dass die Kreativwirtschaft boomt und die Talsohle in der Industrie durchschritten ist. Doch das aktuelle Wirtschaftswachstum hat mehr mit dem konjunkturellen Aufschwung insgesamt als mit der Politik von Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) zu tun. Deren Job ist es lediglich, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Aufschwung nicht an Berlin vorbeigeht. Immerhin: Wirtschaftsförderung, Berlin-Werbung und Tourismuspolitik gehen inzwischen Hand in Hand. Das war nicht immer so.

Tatsächlich aber ist das Steuerungspotenzial von Landespolitik gering. Das zeigt sich vor allem dort, wo es nicht um Sexyness geht, sondern um Armut. Auch die wächst, wie die jüngste Studie über das Auseinanderfallen der reichen und armen Stadtquartiere beweist. Wie schnell auch Armut zur Marke werden kann, hat das Beispiel Rütli-Schule gezeigt. Die Kapitulation einer Hauptschule vor ihren Hauptschülern hat das Bild von Berlin genauso geprägt wie das gläserne Dach des Hauptbahnhofs. Spitzenkräfte mit schulpflichtigen Kindern können da schnell vor der Wahl stehen: Lebensqualität für uns oder doch lieber eine Schule in Baden-Württemberg?

Wie schwer es ist, mit landespolitischen Mitteln dem globalen Trend wie der zunehmenden Schere zwischen Arm und Reich zu Leibe zu rücken, zeigt das Beispiel von Arbeitssenatorin Heidi Knake-Werner (Linke). Die öffentlichen Jobs für Langzeitarbeitslose, die sie auf den Weg bringen will, sind für die Betroffenen eine Perspektive. An der Armut in der Stadt werden sie wenig ändern. Arbeitsplätze aus Landesmitteln sind eben kein Ersatz für Jobs aus der Wirtschaft.

Weitaus erfolgreicher als die Sozialsenatorin ist die Kollegin aus dem Ressort Stadtentwicklung. Trotz ihres etwas spröden Charmes hat Ingeborg Junge-Reyer (SPD) die Spielräume für Landespolitik geweitet. Ihre öffentliche Unterstützung für Zwischennutzer holt Stadtquartiere aus dem Dornröschenschlaf. Baugruppen bringen Stabilität in fluktuierende Nachbarschaften. Das Quartiersmanagement ist der Beginn ressortübergreifender, integrativer Stadtpolitik.

Das alles schafft noch keine Zukunft, aber gute Laune. Auch als städtebauliches und soziales Labor trägt Berlin zum kreativen Image der Stadt bei. Vielleicht zahlt sich das irgendwann aus - als Innovationsrendite.

Nur eines hat die rot-rote Politik bislang noch nicht vermocht: das Verhältnis zwischen Berlin und Bund, zwischen Hauptstadt und Landeshauptstädten, auszutarieren. Die Häme, die sich gleich kübelweise über Berlin ergoss, als das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Klage auf finanzielle Hilfe durch den Bund ablehnte, sprach Bände. Mag Berlin international noch so punkten, zu Hause in Deutschland hat es die Regeln zu befolgen. Und die bestimmen die Länder, die zwar nicht sexy sind, dafür aber reich.

Bei manch einem, wie dem Staatsminister für Kultur, Bernd Neumann, ist die rot-rote Mischung aus eisernem Sparen und selbstbewusstem Auftreten dagegen angekommen. Das ist einmal mehr das Verdienst von Klaus Wowereit, der die Kultur zur Chefsache gemacht hat. (Und dabei vergisst, dass sich eine Kulturmetropole auch durch das Zusammenleben der Kulturen auszeichnet).

Dem kann sich auch Angela Merkel nicht mehr entziehen. Die Marke Berlin hat sich inzwischen von der Landespolitik gelöst. Sie entwickelt einen Sog, den nur noch Provinzfürsten wie Günther Oettinger oder Roland Koch ignorieren können. Mehr noch als heute wird es in Zukunft heißen: Auf Berlin setzen heißt Stärken stärken. Ganz egal, wer dann im Roten Rathaus oder in New York Party feiert.

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