Kolumne Landmänner: Die Tränen der Frau Schaeffler

Wenn die Welt zum Panic Room wird, hilft nur noch die gute, alte Makro-Welle aus DDR-Produktion.

Wenn man so im weiß bedeckten Grünen sitzt und mangels DSL-Anschluss schön knisternde, raschelnde, Finger schwärzende Printmedien bei Kaffee und Frühstücksbrötchen liest und sich das Elend der Welt ins gut mit Holz beheizte Haus holt (laut Zeit eine ultrakarzinogene Heizweise), dann braucht man erst mal eine Zigarette, um sich wieder zu entspannen und die Dinge zu relativieren.

Frau Schaeffler weint, aber unsere Nachbarin ja auch, weil sie nicht über den Tod ihres Mannes hinwegkommt, der von einem Heuballen erschlagen wurde. Opel geht es nicht gut, aber die Autos gefallen uns nicht. Saabs sind ein wenig prätentiös. Schiesser-Unterhosen sind ein Klassiker, aber wir beide haben eigentlich keine. Und meine Erinnerungen an die Märklin-Eisenbahn sind längst verblasst - mein Freund hatte als Ossi sowieso keine. Die Zeit der Zeitungen ist vorbei, steht in der Zeitung, die ich in Händen halte. Vielleicht ist es das, was die Kommentatoren mit dem Satz "Die Krise ist noch nicht beim Einzelnen angekommen" meinen?

Von mir aus kann sie auch gerne bleiben, wo sie ist, die Krise. Und mein Freund als alter Ossi weiß wie immer Rat: "Es geht immer weiter, auch wenn alles zusammenbricht. Außerdem brauche ich eine benzinbetriebene Kettensäge". Benzinbetrieben. Gibt es so was auch mit Raps-Öl-Motor? Und was ist mit den karzinogenen Stoffen, die bei der Verheizung des zerkleinerten Holzes entstehen? Das frage ich mal lieber nicht laut und zünde mir noch eine an. So eine Kettensäge kostet ja auch wieder Geld - ob ich mir das von Tabaklobby finanzieren lasse? Immerhin habe ich in den letzten zwei Absätzen zweimal das Rauchen in einem nicht zwingend negativen Zusammenhang erwähnt. Leider weiß ich aber die Telefonnummer der Tabaklobby nicht.

Kettensäge. Wo kauft man so was? Aber bevor ich diesen Gedanken zu Ende denken kann, hat mich mein Freund schon auf einen bizarren, aber womöglich zukunftweisenden Shopping-Trip entführt. Wir fahren in den Berliner Plattenbau-Stadtteil Hohenschönhausen, um eine Makro-Welle zu erwerben, die eigentlich nach Kaliningrad in Russland gebracht werden soll. Sie haben richtig gehört: Makro-Welle. Original Ostproduktion, Baujahr 1988, groß wie eine Spülmaschine und in MaschiBau-lindrün, Not-aus-Reißleine und mit Knöppen groß wie Zuchtchampignonköpfe. "Sag mal" frage ich, als wir in der "Polizeiruf 110"-artigen Kulisse stehen, ein halb abgebrochenes Lagerhaus im Schatten der Plattenskyline "was ist das denn bitte für eine Mikrowelle? Ist das radioaktiv?" frage ich verängstigt. "Makro, bitte schön. Das ist ein Therapiegerät und hilft gegen Rückenverspannungen. Hilft super, ist aber nach der Wende in Vergessenheit geraten. Und sieh mal, hier in den Auslegern, da ist sogar Goldstaub drin." Fast so beeindruckend wie die stattlichen Goldzähne des Händlers, der seine Zahnreparaturen längst in Russland machen lässt, der Kosten wegen.

Auf der Rückreise liegt unser Auto, konzipiert noch in der Blütezeit der Bundesrepublik, gebaut auf dem Höhepunkt der deutschen Automobilindustrie, bedrohlich tief auf der mit Löchern gespickten Piste. Und vor meinem geistigen Auge sehe ich uns in zwanzig Jahren durch Bochumer Hinterhöfe schleichen, auf der Suche nach einem noch fahrbereiten Opel Astra. In Secondhandwühltischen nach soliden Schiesser-Unterhosen grabbeln. Auf dem Schwarzmarkt mit Speck aus eigener Schlachtung wedelnd, um eine alte Märklin-Lok für den Neffen zu ergattern. Mein Gott, Frau Schaeffler, ich weine mit ihnen!

Unauffällig fasse ich in die Tasche und fingere an meinem Portemonnaie herum. Der Zwanzigeuroschein ist noch da. EC-Karte? Ja. Kreditkarte? Ja. Noch muss ich also nicht verstaatlicht werden. Ich muss vielmehr schnell eine benzinbetriebene Kettensäge kaufen, solange die Konten noch nicht gesperrt, die Kettensägenanbieter nicht insolvent, das Benzin nicht alle …

"Heute Abend bekommst du eine Makro-Massage. Du wirkst so verspannt," sagt mein Freund "und rauch doch nicht so viel!"

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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