Kolumne Die Charts: Der falsche Udo in NY

Die Charts heute mit: Udo Lindenberg, Udo Jürgens, Michel Friedman, Ronald Reagan, Karol Woityla, Helmut Schmidt, Asterix und Caesar, Julius.

Eines Tages rief Franz Josef Mayr aus New York an, um Udo für eine "big Party" zu engagieren. "We want the Udo here, the German music", schrie er. Aber als Udo Lindenberg dann in dem New Yorker Bayernzelt auftritt, drehen die Exil-Leberknödelfresser voll durch. Es stellt sich heraus, dass eine Udo-Verwechslung vorliegt ("Sie wollten Udo Jürgens".). Dieser Song namens "Der amerikanische Traum" ist von 1979 und erzählt alles über die damals miese Reputation von Udo Jürgens im aufgeklärten Milieu. Wie übrigens auch jene von Helmut Schmidt (SPD). Als Außerirdische mal auf der Erde landen, bittet Udo darum, neben Reagan, Wojtyla und dem "Schlagerfuzzi" "auch Herrn Schmidt" mit ins All zu nehmen. Hätten sie mal.

Ja, die Welt war damals noch in Ordnung oder doch zumindest geordnet. Heute gilt Jürgens in breiten Teilen der Gesellschaft als großer Musiker des 20. Jahrhunderts. Dafür zieht man dieser Tage über den Publizisten Michel Friedman her, weil er Jürgens "Ein ehrenwertes Haus" gut findet. In dem Frühsiebzigersong wird die Gesellschaft mit ihren verlogenen Moral- und Lebensstilvorstellungen angeprangert. Was grundsätzlich in Ordnung geht, aber nicht, dass Friedman das gut findet. Dieses - wie so manches - selbstgefällig-scheinheilige Moralisieren von heute klingt, als komme es direkt aus dem "ehrenwerten Haus" von damals.

In der Sache hat Friedman recht. "Ein ehrenwertes Haus" ist textlich und musikalisch tipptopp (halt 70er-Sound), hat Ironie plus Haltung. Und ist komplett unsentimental. Im Gegensatz dazu ist das weit geschätzte "Ich war noch niemals in New York" ein Trivialschlager, und zwar musikalisch wie textlich. Der Familienmann, den eine Eskapismusfantasie ereilt, steht im "neonhellen" Treppenhaus, in dem es nach "Bohnerwachs und Spießigkeit" riecht. Das geht ja überhaupt nicht.

Der Song thematisiert einen von zwei großen, sentimentalen Irrtümern der Menschheit. Woanders hinzugehen - und damit schon ein anderer Mensch zu sein. (Die kleine Erna dieser Fantasie ist der Urlaub.) Die zweite Idee ist das Zurückgehen, damit es wieder schön ist. Gerne auch mit Hilfe eines Popsongs. Zurück in die gute, alte Zeit: "Maybe the old songs, bring back the old times" (Barry Manilow, "The Old Songs"). Zurück zu einem Menschen: "I wui nur zruck zu Dir. Mir ist kloa, i war a Narr" (Nicki, "I wui nur zruck zu Dir"). Oder an einen Ort: "I will wieder ham, fühl mi do so allan, I brauch ka grosse Welt, i will ham nach Fürstenfeld" (STS, "Fürstenfeld"). Alles Illusion, wie schon Eddie Money wusste: "I wanna go back, into your arms, but I cant go back, I know." ("I wanna go back").

Ich war mal in New York und auch in San Francisco, allerdings nicht in zerrissenen Jeans, dafür mehrfach. Und danach war ich immer noch derselbe, alte Sack. Aber: Nachdem ich ein bestimmtes Buch gelesen hatte, war ich nicht mehr derselbe. Deswegen gehöre ich zu den acht Prozent Vätern, die ihren Kindern jeden Abend vorlesen. Asterix. Immerhin. Taucht Caesar auf, schnarre ich: "Tu quoque, fili, Kinder, was heißt das?" So lange, bis sie mir den Dolch reinstoßen. Tja: knallharte Vorbereitung auf die Privatschule.

Obwohl ich Udo Jürgens nicht für einen wirklichen Schlagerfuzzi, aber auch nicht für einen richtig Großen halte und "New York" total dekonstruiert habe, muss ich zugeben, dass die verlogene Mundharmonika gegen Ende ("hm, hm, hm, hm, hm, hm") mich jedes Mal wieder kriegt.

Das liegt eben daran, dass die wenigsten von uns einen dauerhaft wirksamen Impfstoff intus haben gegen die Schweinegrippe namens Sentimentalität.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.