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"Der heutige Urteilsspruch aus Karslruhe lässt nichts an Deutlichkeit vermissen."
Ein Kernsatz des Urteils lautet:
"Da nicht festgestellt werden kann, dass die gesetzlich festgesetzten Regelleistungsbeträge evident unzureichend sind, ist der Gesetzgeber nicht unmittelbar von Verfassungs wegen verpflichtet, höhere Leistungen festzusetzen. Er muss vielmehr ein Verfahren zur realitäts- und bedarfsgerechten Ermittlung der zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendigen Leistungen entsprechend den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben durchführen und dessen Ergebnis im Gesetz als Leistungsanspruch verankern."
Das Verfahren der Bedarfsermittlung wurde beanstandet, nicht die Höhe des Bedarfs.
Zwar standen in Q3 2009 6,5 Mio. Hartz4-Empfänger nur 832.000 offenen Stellen gegenüber. Aber viele Hartz4-Empfänger sind Kinder oder stehen dem Arbeitsmarkt aus anderen Gründen (Alter, Gesundheitszustand) ohnehin nicht zur Verfügung.
Das Hauptproblem dürfte aber sein, dass der großen Mehrheit der Hartz4-Empfänger schlicht die nötige Qualifikation für die offenen Stellen fehlt. Alle umzuschulen ist schlicht unmöglich und teilweise auch gar nicht sinnvoll.
Die Gesellschaft muss darum ihre Schwächsten und Arbeitsunfähigen tragen! Das kann ein Hochlohn- und Wohlstandsland und eine führende Industrienation wie Deutschland nicht nur finanziell verkraften, sondern sie ist moralisch dazu verpflichtet.
Man kann es kaum besser sagen. Eines aber dann noch: Es gibt keine Arbeitsplätze in ausreichender ANzahl in Deutschland. Der Druck, der auf Arbeitslose ausgeübt wird, hat keine positive Wirkung, sondern senkt die Reallöhne in prekären Branchen und schwächt die Nachfrage weiter.
Die Parteien sollten jetzt das Thema humane Existenzsicherung, Vermittlung, Kosten für Kinder ernsthaft und ohne diese absonderlichen Zynismus diskutieren.
Rudolf Steiner war rassistisch. „Schule ohne Rassismus“-Plaketten an Waldorfschulen bleiben Selbstbeschwörung.
Kommentar Hartz-IV-Urteil: Ohrfeige für die Politiker
Karlsruhe erklärt die bisherige Sätze von Hartz IV zurecht als verfassungswidrig. So ist endlich Schluss mit dem Zynismus der Politik bei der Berechnung der Ansprüche.
Der heutige Urteilsspruch aus Karslruhe lässt nichts an Deutlichkeit vermissen: Die Vorschriften, die die Regelleistungen im Rahmen von Hartz IV für Erwachsene und Kinder bisher definiert haben, sind ohne Wenn und aber verfassungswidrig. Zugleich wird die Aufgabe des „Grundrechts auf die Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ nach Art. 1 GG definiert: Es „sichert jedem Hilfsbedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind“. Dem Bundesverfassungsgericht sei großer Dank.
Während sich der Parlamentarismus in dieser Frage blamiert hat, sorgen die Grundgesetzwahrer für Gerechtigkeit. Diese Ohrfeige für die Politik sitzt. Denn die Politik hat bisher mit statistischen Pseudomethoden und veralteten Daten immer wieder versucht, dieses ableitbare Existenzminimum dem haushaltspolitischen Opportunismus zu opfern.
Mit dem heutigen Normal-Regelsatz von 359 €, dem Zahlungen für die Unterkunft hinzugefügt werden, ist das Minimum einer finanziellen Basis für ein menschenwürdiges Leben nicht gesichert. Bei den bisherigen Abschlägen für Kinder (unter sechs Jahren 60 % (215 €), unter 14 Jahren 70 % (251 €) und zwischen 14 bis 18 Jahren 80 % (287 €) offenbart sich die Willkür allerdings nie durch Überschreitung, sondern Unterschreitung des durch einen angemessenen Warenkorb bestimmten Existenzminimums für Kinder.
Der Autor
Rudolf Hickel ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Bremen.
Vielfach ist auf die Perversion in Folge dieser prozentualen Abschlagsarithmetik hingewiesen worden. In vielen Bereichen – vor allem bei der Teilnahme an den Bildungseinrichtungen – ist der Finanzierungsbedarf bei Kindern vergleichsweise höher als bei Erwachsenen. Ärgerlich ist auch, dass der Anteil an Ausgaben für Zigaretten mit einem Abschlag den Kindern zugerechnet wird. Diesem Zynismus der Politik hat das Bundesverfassungsgericht ein Ende gesetzt. Jetzt müssen zeitnah und angemessen die Bedarfssätze ermittelt und fixiert werden.
Dieses Urteil sollte zum Anlass genommen werden, die gesamte Hartz IV-Regulierung auf den Prüfstand zu stellen. Dabei stehen zwei Kritikpunkte im Vordergrund: Ist die Zumutbarkeit prekärer Jobs, die auch noch ein Lohndumping verstärken, mit der Menschenwürde vereinbar?
Und ist es verfassungsrechtlich zulässig, die Empfänger dieser sozialen Leistungen erst einmal durch einen Verzicht auf Vermögen – bis zu einem verleibenden Rest, dem Schonvermögen – arm zu machen? Jedenfalls hat dieses Urteil sozialer Vernunft Folgen für andere Vorgaben zum Existenzminimum. Zu überprüfen ist, ob der Grundfreibetrag bei der Lohnsteuer mit derzeit 8.004 € (Alleinstehende) dem verfassungsrechtlich reklamierten Prinzip der Existenzsicherung entspricht.
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Kommentar von
Rudolf Hickel
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