Urlaub bei Regenwetter: Prima Klima durch schlechtes Wetter

Im Klimahaus Bremerhaven führt der verregnete Sommer zu einem Besucherandrang, auf den die Geschäftsführung immer gesetzt hatte.

Beweis fürs Fotoalbum: Ein gelungener Urlaub an der Nordsee-Küste. Bild: Jean-Philipp Baeck

BREMERHAVEN taz |"Maximal für 3 Personen", warnt ein Schild vor einer Hängebrücke aus dicken Tauen, die über dem Becken hin und her schwingt. Ungeduldig warten Kinder in einer Traube auf den wackeligen Übergang. Szenen aus dem westafrikanischen Kamerun bietet die Vorlage für eine von neun nachempfundenen Klimazonen, die man im Klimahaus Bremerhaven auf einer virtuellen Reise durchlaufen kann. An diesem kühlen, verregneten Sommerferien-Tag ist viel los.

Es ist ein Ansturm, auf den Klimahaus-Geschäftsführer Arne Dunker immer gesetzt hat: 600.000 Besucher im Jahr waren das Ziel, das seit der Eröffnung im Sommer 2009 genannt wurde. Eine wichtige Zahl auch für die Stadt Bremerhaven, denn die Betreiberfirma Petri&Tiemann - bekannt durch das Wissenschaftsmuseum "Universum" in Bremen - hat das eigenwillige, schlauchbootförmige Gebäude nur gemietet.

Errichtet hat es die Stadt Bremerhaven für 100 Millionen Euro. Das Event-Museum muss sich rechnen und bislang sieht es gut aus: 800.000 BesucherInnen im ersten, 650.000 im zweiten Jahr.

Vor allem hat man dabei auf die vielen Nordseeurlauber gesetzt, die an den nicht allzu seltenen Regentagen von der Küste nach Bremerhaven kommen würden.

Heute also ist so ein Tag und tatsächlich sind Nordsee-Urlauber da. In Kameruns Flusslandschaft etwa beugt sich ein Geschwisterpaar über das metallene Geländer des Wasserbeckens und beobachtet, wie ein breitmäuliger Fisch träge seine Runden dreht.

"Wir waren schon vor zwei Jahren hier", sagt ihre Mutter. Die vierköpfige Familie kommt aus Sehnde bei Hannover, zwei Wochen Urlaub verbringt sie in Cuxhaven. Morgens waren sie noch am Strand, dann setzte der Nieselregen ein. "Regenjacken und Gummistiefel habe ich immer dabei", sagt die Frau, "aber dann schmerzte der kalte Wind den Kindern in Nasen und Ohren. Also sind wir nach Bremerhaven aufgebrochen."

In Kameruns Flusslandschaft kämpft sich eine Gruppe RollstuhlfahrerInnen auf einem engen trockenen Sandpfad durch die Aquarienbecken. Nur ein Rollstuhl passt hindurch. Aus der Wüstenkulisse Nigers strömen die Besuchergrüppchen herüber, sie stauen sich hinter den Rollstuhlfahrern, einige Kinder zwängen sich neugierig vorbei.

Im Antarktis-Kühlhaus nebenan steht ein Besucher aus Indien und blickt zitternd auf den haushohen Eisblock, der sich erhebt. "In meinem Land ist der Klimawandel sehr stark spürbar", sagt er. Für eine Summerschool reiste er nach Münster, der Bremerhaven-Ausflug gehört zum Programm. Hier habe er sich "mehr Erklärungen zum Klimawandel erwartet".

Ein Schild warnt vor dem Betreten der dünnen Packeis-Decke. Schnell zieht er weiter, zur gegenüberliegenden Isoliertür.

Eine Station weiter, in Samoa, schlagen kleine Wellen unter einer Palme an das Ufer, ein Einbaum-Kanu lädt zu einem Ausflug ein. Eine parfumierte Frau vermisst keine Erläuterungen: "Bei der Hitze könnte man glatt baden gehen", sagt sie und blickt aus der Strandhütte auf den blauen Meereshorizont.

Die Wände des Raumes sind von Blättern bedeckt, die an Lianen herunterhängen. Sie sehen echt aus. Ein Berliner, der mit seinen Töchtern die Ferien am Jadebusen verbringt, macht schnell ein Urlaubsfoto unter einer Palme, als gerade niemand durchs Bild läuft.

Am Ende des Durchgangs sind die Besucher wieder in Norddeutschland angelangt. Auf mehreren Bildschirmen flimmern Bilder vom Wattenmeer, stürmischen Küsten und grauen Nieselwetter. Sie wirken selbst im bequemen Kinosessel ungemütlich. Die Familie aus Sehnde stellt sich hier langsam wieder auf ihre Ferienheimat Cuxhaven ein. Die Kinder wirken geschafft. Durch die Glasfassade des Klimahauses fallen Sonnenstrahlen in die Eingangshalle. Die Wolkendecke ist aufgerissen, blauer Himmel leuchtet hervor.

"Wir sind zufrieden", sagt Geschäftsführer Dunker. Für die Zukunft erwartet er gleichbleibend hohe Besucherzahlen. Der Einzugsbereich, aus dem sich die Menschen in das Eventhaus auf den Weg machen, habe sich von durchschnittlichen zwei auf drei Stunden Fahrzeit erhöht, sagt seine Sprecherin.

Viele internationale Gäste kämen, vor allem aus den Niederlanden. Wenn es im Sommer richtig voll wird, werden Gruppen erst in die zweite Hälfte der Ausstellung geführt, um dem Andrang Herr zu werden. "Notfalls haben wir noch große Seminarräume, in denen wir Besuchern vor Einlass einen Film zur Einstimmung zeigen."

Gegenüber der gläsernen Eingangsfront des Klimahauses sitzt Erika Bleke in einer kleinen Holzbude. "Seestadt Lotterie" prangt darüber in kursiven Lettern. An- und abreisende Besucher hat sie im Blick. "Im Sommer warten die hier morgens zwei bis drei Stunden", sagt Bleke. Ein blauer Infozettel auf der Theke listet die Bremerhavener Wohltätigkeits-Organisationen auf, die von den Einnahmen profitieren.

Der Standort der Lotteriebude ist scheinbar ideal, das Klimahaus gilt als der Touristen-Magnet unter den Attraktionen der "Havenwelten". In den letzten zehn Jahren entstand das maritime Touristenviertel aus einem Ensemble neuer Sehenswürdigkeiten - mit Millionen öffentlicher Gelder und nicht minder großer Hoffnung, der verarmenden Stadt damit wirtschaftlich auf die Beine zu helfen.

Doch für Blekes anderen Losverkauf in der alten Einkaufspassage im anliegenden Columbus-Center läuft es besser. "Dort sind mehr Einheimische und die kennen uns seit 30 Jahren", sagt sie. Nur, wenn sich vor dem Klimahaus die Schlangen bilden, dann greifen viele zur Abwechslung auch bei ihren Losen zu.

Ein kleiner Junge kommt an ihren Stand. Er zieht sich mit beiden Armen an der Theke hoch, bis er hinüberschauen kann. "Toiletten?" "Rechts, an der Rolltreppe vorbei", sagt Bleke. Sie gibt allen freundlich Auskunft. Den Weg zum "Zoo am Meer" wollen viele wissen, oder zum "Auswandererhaus".

Auch nach dem "Mediteraneo" wird gefragt, dem neumodischen Einkaufszentrum, welches eine italienische Piazza mit Pappmachée-Fassade nachahmt. "Nur nach dem Morgenstern-Museum über die Stadtgeschichte Bremerhavens wird weniger gefragt", sagt Bleke. Das liegt hinter der Geeste, dem Nebenfluss der Weser, der das "Havenwelten"-Viertel im Süden begrenzt.

Ein paar Meter weiter, auf einer Bank vor dem Schifffahrtsmuseum sitzt Vittorio Top. Er trotzt dem frischen Wind, der vom Wasser herüberweht und beobachtet die Szenerie der Museumspromenade an Bremerhavens Weserufer. Touristen erklimmen den restaurierten Dreimaster, der vor ihm im Hafenbecken liegt. Auf allen Weltmeeren war Top unterwegs, hat jahrelang als Maschinist auf Fischkuttern und Handelsschiffen geschuftet.

Auf einem Segler ist er nicht mehr gefahren. Top lacht, er ist doch erst 76. Bremerhaven sei verschlafen wie ein Dorf, sagt er. Ein, zwei Diskotheken, sonst gäbe es nicht viele Attraktionen. Das neue Erlebnisviertel "Havenwelten" und die entstandenen Museen, die seien schon sehenswert: "Wunderbar", sagt der alte Seemann.

Nur der Dschungel, der im Klimahaus nachgeahmt wurde, sei zu eng, zu eintönig, mit viel zu wenig Pflanzen. Ein befreundeter Matrose habe Top vor vielen Jahren auf einen Ausflug zu seiner Familie mitgenommen. Deren Dorf habe tief im brasilianischen Urwald gelegen, mehrere Wochen habe er dort verbracht. Im Klimahaus sei es ganz anders, als er es damals kennengelernt habe.

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