Kolumne Press-Schlag: Die Struktur stimmt

Die Synthese von "Taktischer Ordnung" und "Kreativität" gelingt der Nationalelf inzwischen so gut, dass sie sogar im Freundschaftsspiel-Modus gewinnt.

Es war schon lange still geworden im wohl lautesten Stadion der Welt, da verkündete Guus Hiddink in den Katakomben der Istanbuler Arena etwas Erstaunliches. Die von ihm trainierte türkische Nationalmannschaft sei der deutschen in allen Belangen unterlegen. Das allein war nicht überraschend, aber dafür die darauf folgende Begründung: Die Auswahl des DFB zeichne eine "große taktische Disziplin" aus, verkündete der Niederländer, "aber auch eine große Spielfreude".

Dieses Lob diente natürlich in erster Linie dazu, die bisweilen erstaunlich konfuse Leistung seiner eigenen Elf zu entschuldigen. Aber es lohnt doch, einen Moment länger darüber nachzudenken, was der erfahrene Fußballlehrer Hiddink da gesagt hatte. Galten taktische Ordnung und Kreativität doch noch vor gar nicht allzu langer Zeit als Antagonismus.

Man erinnere sich nur an die Klischees, die hartnäckig über das deutsche Spiel kursieren: Die DFB-Spieler wurden in den türkischen Zeitungen immer noch als "Panzer" bezeichnet. Umgekehrt muss sich jeder brasilianische Nationaltrainer zu Hause immer noch mit den Spektakelerwartungen einer verwöhnten Öffentlichkeit herumschlagen, die reflexartig nach dem "joga bonito", dem schönen Spiel, verlangt.

Ob Georg Friedrich Wilhelm Hegel Fußballfan geworden wäre, kann niemand wissen. Er dürfte sich aber posthum freuen, dass seine Dialektik nun im Fußball gilt: Im modernen Spiel entsteht die Spielfreude vorzugsweise eben nicht mehr durch Geistesblitze Einzelner, sondern aus der perfekt aufeinander abgestimmten Ordnung der gesamten Mannschaft. Die besten Beispiele dafür sind natürlich der FC Barcelona und die spanische Nationalmannschaft. Ob die deutsche Nationalmannschaft den Rückstand aufgeholt hat, ob ihre Grundordnung schon ausreichend Geistesblitze zu produzieren imstande ist, das wird sich im kommenden Sommer bei der EM zeigen.

In Istanbul jedenfalls war schon einmal zu sehen, dass diese Grundstruktur, das große Ganze also, mittlerweile so fest und sicher verankert ist, dass es selbst dann trägt, wenn es gegen einen Gegner geht, der, erstens, gar nicht mal schlecht ist, was die Qualität seiner Einzelspieler angeht. Und für den es, zweitens, noch um alles geht.

So hätte die Türkei in der ersten halben Stunde durchaus in Führung gehen können. Da entwickelte sich das Spiel genauso, wie man es erwarten durfte: Die Türken hatten trotz deutlich schlechterer Spielanlage ein Chancenübergewicht, weil die Deutschen verständlicherweise die anscheinend unvermeidliche Freundschaftsspielkrankheit befiel, ihnen der Druck, unbedingt gewinnen zu müssen, fehlte.

Der ist nun mal nicht zu ersetzen durch jenes von Bundestrainer Joachim Löw und Kapitän Lahm als "historisch" ausgegebene Ziel, alle zehn Qualifikationsspiele zu gewinnen. Solche abstrakten Rekorde bringen einen Lukas Podolski eben nicht dazu, den letzten entscheidenden Schritt zu tun. Der aber unbedingt nötig ist, um jenes feinmaschige Netz zu errichten, in dem sich die Angriffe des Gegners verfangen, um nach Ballgewinn das eigene, schnelle Umkehrspiel zu starten.

Die deutsche Mannschaft ging das Spiel stattdessen an wie ein Freundschaftsspiel, nach dem ein Thomas Müller frank und frei zugeben konnte, "einen Tick zu faul" gewesen zu sein und dadurch das Gegentor verschuldet zu haben.

Diesen psychologischen Effekt scheint noch nicht einmal Löw erfolgreich bekämpfen zu können. Dass seine Mannschaft trotz einer, so Löw, nur "ganz ordentlichen Leistung" gewann, ist allerdings jener selbst an durchschnittlichen Tagen gut organisierten Grundstruktur zu verdanken. "Da kann man viel lernen", schwärmte Hiddink. Er meinte: lernen, wie aus langweiliger Ordnung erst das Spektakel entsteht.

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