Parlament vor Ort: Gekommen, um sich zu beschweren

In einem Einkaufszentrum zeigt der Berliner Petitionsausschuss bedingungslose Bürgernähe.

Wenn es nach Andreas Kugler (SPD) geht, dann offenbart sich am Montagnachmittag im Einkaufszentrum Tempelhofer Hafen „der Unterschied zwischen Demokratie und totalitärem Regime“. Mitten zwischen Media Markt und New Yorker lädt nämlich der von Kugler geleitete Petitionsausschuss zur Sprechstunde: Abgeordnete aller fünf Fraktionen des Berliner Parlaments warten an Stehtischen auf Bürger und ihre Beschwerden über Behörden und Mitarbeiter des Landes.

Und die Bürger lassen sich nicht zwei Mal bitten. Dutzende haben den Aufruf im Radio gehört und kommen, um sich zu beschweren: Felix Eisenhardt redet seit zwanzig Minuten auf Anja Kofbinger von den Grünen ein, die aufmerksam nickt und notiert. Der Kreuzberger hat ein Hausboot und fühlt sich von seinem Bezirksamt gemobbt: „Mein Heizöltank gefährdet angeblich die Spree, auch wenn Gutachten das Gegenteil belegen“, sagt der Mann mit Nickelbrille. Jetzt wolle er Klage gegen den Bescheid des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg erheben. „Ich beschwere mich hier, weil ich nichts unversucht lassen will“, sagt er, „und weil ich mich über die Grünen ärgere.“ Das Einstehen für verschiedene Wohnformen in der Stadt sei für die nur ein Lippenbekenntnis. „Berlin ist arm, jetzt soll es auch noch unsexy werden“, bedauert Eisenhardt.

1.800 Beschwerden jährlich

Ausschussleiter Kugler stellt fest, dass die meisten der 1.800 Petitionen, die jährlich bei ihm eingehen, von Männern wie Eisenhardt stammen: gebildet, artikuliert, zwischen 40 und 60 Jahren. „Das ist eine erschreckende Einsicht, weil wir ja verschiedene Gruppen erreichen wollen.“ Umso wichtiger seien da Termine wie der jetzige: „Viele Menschen schreckt es ab, ins Amt zu kommen oder Schriftliches einzureichen.“

So sehr sich die Abgeordneten im Einkaufszentrum in aktivem Zuhören behaupten und in einem Akt bedingungsloser Bürgernähe zum Teil auch ihre Privatnummern an die Petenten herausgeben – die Bürger bleiben kritisch: „Das bringt doch alles nichts!“, raunt eine Rentnerin aus dem Wedding, die sich gerade bei Joachim Krüger (CDU) über ihre Wohnsituation beklagt hat. „Das Misstrauen können wir nicht komplett ausräumen“, sagt Gerwald Claus-Brunner (Piraten). „Aber helfen können wir. Es dauert bloß halt.“

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