Kolumne Parallelgesellschaften: Ming-Vasen auf Stöckelschuhen

Proteste gegen Peking? Tibetfahnen, die aus Fenstern hängen? Finden anderswo statt, nicht in meinem Viertel.

Rütlischule war gestern. Keine Fernsehteams mehr, die in Neukölln rumlungern, gierig rasenden Volkszorn aufspüren wollend. Alles Gemüt hat, um meine neuen polnischen Nachbarn zu zitieren, so sein Auf und sein Ab. In meinem Viertel ist also alles wie immer, wenn nicht gerade behauptet wird, dauernd werde an irgendeiner Straßenecke geschossen, gedealt, verprügelt, abgezogen, Schellen verteilt. Die Welt ist nach wie vor keine Scheibe, abends sind nur Männer unterwegs, die Frauen allem Flanieren entzogen, Hunde kacken auf die Trottoirs, und die Säufer sammeln Pfandflaschen aus den Mülleimern.

Die Musik spielt jetzt woanders, nämlich nur karge sieben U-Bahnstationen entfernt, an der Jannowitzbrücke, wo nämlich die volkschinesische Botschaft liegt. Ein sehr modernes, ausgesprochen abweisend, um nicht zu sagen: zum Schauen ausladendes Gebäude. Davor am Wochenende: Menschen mit Kerzen, die für Tibet beten. Viel oranges Textil wird getragen, aus der Ferne schien mir, dass auch die eine gewisse Grüne, die mal im Europaparlament saß, bei all den Leuten stand, denn das Gesicht, das ich meinte als das ihre zu erkennen, war furchig vom vielen Weinen und Greinen, das Antlitz einer, falls man es böse will, gewieften Politmaria nach biblischem Vorbild.

Schade ist nur, dass dieses ganze chinesisch-tibetanische Menschenrechtsgetue nicht in Neukölln stattfindet. Man hat da so seine Erfahrungen mit Betroffenheiten und Skandalen, da schadet eine Aufwallung der allgemeinen Gefühle auch nicht mehr. Stattdessen stöckeln am späten Nachmittag, fast immer zur gleichen Zeit, zwei kleine Chinesinnen kichernd die Sonnenallee herunter, tragen Audrey-Hepburn-hafte Sonnenbrillen ins Haar gesteckt, können, nur nebenbei, extrem gut auf ihren Schuhen gehen. Unter ihren starken, dennoch schmalen Armen tragen sie fette Collegemappen. Und, man muss es wiederholen, sie gehen so auratisch auf sich selbst bezogen, so busenfreundinnenartig, als wäre da die Welt nur gemeinsam zu erobern, außerdem, sie kichern heiter unentwegt. Nun ja, einmal hat eine in ihr Handy gemeckert, es klang sehr zornig, die andere setzte auch gleich eine wütige Miene auf. Manchmal ernten sie bewundernde Blicke der arabischen Jungs aus den Cafés - aber niemand behelligt sie, keiner, der sie mit den Worten "Schluss mit dem Völkermord im Himalaja!" oder "Nieder mit der Pekinger Olympiaclique" anbrunst. In den Schaufenstern der Kramläden sind auch weiterhin Zimmerspringbrunnen "Made in China" ausgestellt, auch anderer Zierrat der ultrabilligen Produktion, der sich gewiss in Wohnzimmern findet, ohne Argwohn zu wecken.

Neulich wurde mir von der Tabakhändlerin gesteckt, dass sie die beiden jungen Frauen kennt, "sehr, sehr freundlich, sie mögen Kinder", und sie seien Austauschstudentinnen aus Schanghai und würden bei ihr immer Modezeitschriften kaufen, hin und wieder auch ein Päckchen Zigaretten, "die langen für Frauen mit dünnen Fingern". Und sie wohnen in einem Hinterhof, zwei Zimmer, 180 Euro Miete, wobei die gute Seele des Kiezes, Frau Öcalan, nicht unerwähnt ließ, dass in deren Küche eine chinesische Flagge als Tischdecke fungiere, was sie wiederum wundere, denn, "wissen Sie, ich würde nie eine türkische Fahne nehmen, um darauf Essen zu stellen". Andererseits: "Die eine spricht perfekt Deutsch, und die andere sagte, sie könne besser Dänisch." Und das sei's dann auch gewesen, und die Kioskchefin findet, dass "sie beide hübsch hier reinpassen", was sie bestimmt nicht über alle im Revier sagt, neulich fand sie, türkische Jungs verdienten öfter "ein paar hinter die Löffel".

Irgendwie ist dann doch beruhigend, dass mein Neukölln im Moment so bar aller Aufgeregtheiten funktioniert. Bloß kein tibetanisches Gebetspflaster, ist schon gut woanders in Berlin aufgehoben, diese Proteste der Wohlfeilen.

Die beiden Chinesinnen gingen vorgestern im Park spazieren. Sie hatten sich einen Kampfhund zugelegt. Der schnüffelte an den Rasensäumen. Und beide Herrinnen lachten sehr.

JAN FEDDERSEN

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