Autonome Nationalisten im Aufwind: "Neonazis vom Web 2.0"
Ulli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum spricht über die neuen Neonazis. Sie nutzen Outfit, Musik und Symbole der linken Szene - hassen aber Juden.
taz: Herr Jentsch, im Verfassungsschutzbericht 2008 werden die "Autonomen Nationalisten" als inzwischen fester Bestandteil der Neonaziszene beschrieben. Wer sind sie?
Ulli Jentsch: Sie benutzen Aktionsformen, Symbole und Outfits, die der linken autonomen Szene entsprechen. Das begann eigentlich schon 2003 auf einer Demo in Berlin, wo plötzlich Che-Guevara-T-Shirts an den Rechten zu sehen waren. Sie sind die nachwachsende, jugendliche Generation, sozusagen die Neonazis vom Web 2.0. Sie sind sehr jung im Schnitt und im Verhältnis zur rechtsextremen Szene insgesamt. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen und nutzen die Mittel, die es ihnen bietet, ganz selbstverständlich. Sie stehen für eine junge, neonazistische Lebenskultur.
Wie viel rechte Ideologie steckt dahinter?
Natürlich gibt es ideologische Momente. Es ist viel von sozialer Revolution die Rede, der Antikapitalismus hat mehr Bedeutung als in anderen rechten Spektren und zum Teil ist ein äußerst radikaler Antisemitismus mit Rückgriffen auf die SS zu beobachten.
Wo sind die Autonomen Nationalisten innerhalb der rechten Szene in Deutschland insgesamt zu verorten?
Die, die sich selber so nennen, grenzen sich bewusst von den rechten Parteien wie der NPD ab. Sie setzen stark auf Aktionismus und Eigenbeteiligung und lehnen es ab, von den alten Kadern ihre Politik vorgeschrieben zu bekommen. Sie sehen sich als Revolutionäre innerhalb der rechtsextremen Szene. Wir sehen hier eine authentische neonazistische Protestkultur nachwachsen, die den Bedürfnissen der jugendlichen Neonazis entspricht und die sich ungehemmt verschiedener Elemente des Mainstreams oder der linken autonomen Szene bedient.
Wie reagiert die linke autonome Szene auf die Autonomen Nationalisten?
Es sind Diskussionen über das eigene Auftreten und die eigenen Outfits entbrannt. Aber auch, und das begrüße ich, über Männlichkeitsbilder und Militanz in den eigenen Reihen. Da sind neue Diskurse angestoßen worden.
Woran kann man autonome Linke von autonomen Rechten äußerlich unterscheiden?
Das ist schwierig. An Details, wie den Buttons, die ja sehr beliebt sind. Darauf sind die Slogans meist schon sehr deutlich. Manchmal auch an der Musik, aber nicht immer - es gab schon Demos, da ist innerhalb von wenigen Minuten dasselbe Lied von beiden Seiten gespielt worden. Auch für die Polizei ist das oft verwirrend - für sie ist ja eigentlich von enormer Bedeutung, die Leute eindeutig einordnen zu können. Aber ich bezweifle, dass sie gut geschult werden.
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