: Das Flaggschiff ist führerlos
RAUSWURF Die „Spiegel“-Auflage schrumpft. Über die Zukunft von Spiegel Online zerstritten sich die geschassten Chefredakteure
AUS HAMBURG MARCO CARINI
Die Medienkrise entlässt ihre Akteure: Die Hamburger Spiegel-Gruppe teilte am Dienstag mit, sie habe die Spiegel-Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron „mit sofortiger Wirkung abberufen und beurlaubt“. Damit beendet der Verlag die Spekulation über einen Führungswechsel an der Spiegel-Spitze mit einer Bestätigung. Seit Freitag kursierte das Gerücht in Medienkreisen, dass der Spiegel seine Chefredakteure loswerden wolle.
Durch die gezielte Lancierung des bevorstehenden Rausschmisses in die Öffentlichkeit war die Spiegel-Gesellschaft gezwungen, schnell zu handeln. Die Spiegel Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co KG gehört zu 50,5 Prozent den Mitarbeitern, die anderen Teile halten der Verlag Gruner + Jahr, zwei Beteiligungsgesellschaften sowie die vier Kinder von Gründer Rudolf Augstein, darunter auch die Journalisten Franziska Augstein und Jakob Augstein. Offiziell begründet wird der Doppelrausschmiss mit unterschiedlichen Auffassungen zur strategischen Ausrichtung des Magazins Spiegel zwischen den beiden Chefredakteuren Georg Mascolo, der die Printausgabe verantwortete, und Onlinechef Mathias Müller von Blumencron.
Während die Auflage des gedruckten Magazins sank und die Anzeigenerlöse einbrachen, wurde Spiegel Online zum Marktführer der digitalen Nachrichtenverbreitung. Doch das kostenlos nutzbare Onlineportal spielt kaum Erlöse ein.
Trotzdem weigerte sich von Blumencron beharrlich, einen Teil des Internetangebots kostenpflichtig zu machen. Mit dieser Haltung machte er sich seinen Kollegen Mascolo und Geschäftsführer Ove Saffe zum Gegner. Der Streit über eine Paywall für Angebote, die über den reinen Nachrichtencharakter hinausgehen, eskalierte.
Mascolo hingegen wird vorgeworfen, nie einen wirklichen Draht zur Redaktion gefunden zu haben und den einen oder anderen unglücklichen Titel auf den Umschlag gehoben zu haben. Auch in der Diskussion um eine Frauenquote für Führungskräfte in den Medien habe er eine unglückliche Figur gemacht, verlautet es aus dem Spiegel-Neubau in der Hamburger Hafencity.
Wichtiger aber war der Absturz der Verkaufszahlen der Spiegel-Printausgabe, die nach wie vor das journalistische Flaggschiff des Verlags ist. Seit Anfang 2008 die Ära des langjährigen Chefredakteurs Stefan Aust zu Ende ging, fiel die verkaufte Auflage von einer Million auf nun 891.000 Exemplare. Besonders der Kiosk-Verkauf ist stark eingebrochen und zwischen 2008 und 2012 von 372.000 auf 272.000 Exemplare gesunken.
Die letzte März-Ausgabe des Spiegels mit dem Titel „Das ewige Trauma – Der Krieg und die Deutschen“ soll die 200.000er- Grenze erstmals unterschritten und damit ein Allzeittief aufgestellt haben. Ein Chef, der die Auflagenerosion nicht aufhalten kann, ein anderer, der keine Erlöse aus dem Onlinebereich abschöpfen will – beide dazu noch heillos miteinander zerstritten: Das konnte auf Dauer nicht gut gehen.
Bis Nachfolger gefunden sind, übernehmen die Stellvertretenden Chefredakteure Klaus Brinkbäumer und Martin Doerry das Ruder im Printbereich kommissarisch. Rüdiger Ditz, schon unter Müller von Blumencron Spiegel-Online-Chef, ist für das Internetangebot verantwortlich.
Spekuliert werden darf über einen, vielleicht auch zwei Nachfolger. Namen werden von interessierter Seite im Dutzend auf den Markt geworfen. Mit in der öffentlichen Verlosung: dpa-Chefredakteur Wolfgang Büchner, die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel und der Leiter des Innenressorts der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, sowie sein Kollege aus der Chefredaktion des Münchner Blatts, Wolfgang Krach. Das Hamburger Abendblatt, das die bevorstehende Entlassung der Spiegel-Doppelspitze zuerst vermeldete, hat unterdessen Jakob Augstein, den Stiefsohn von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein, zum Favoriten ausgerufen. Der Augstein-Erbe und Herausgeber des kränkelnden Wochenmagazins Freitag wird vor allem von der Fraktion innerhalb des Hauses gepuscht, die den Spiegel auf Linkskurs trimmen will. Eine große Gruppe der Spiegel-Mitarbeiter hält Augstein mangels beruflicher Erfahrung in der Premier League der Medienlandschaft allerdings für „schlicht ungeeignet“.