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Archiv-Artikel

„Es wäre ein Leichtes“

QUOTE Die Gewohnheit, immer mit den gleichen Regisseuren zu arbeiten, muss endlich durchbrochen werden, sagt die Filmemacherin Connie Walther

Connie Walther

■ ist Regisseurin und Drehbuchautorin. Ihre Filme wurden mehrfach mit dem Adolf-Grimme-Preis, dem Deutschen Fernsehpreis und dem 3sat-Zuschauerpreis ausgezeichnet. Sie ist Mitbegründerin von Pro Quote Regie.

taz: Frau Walther, der Bundesverband Regie (BVR) hat einen Bericht vorgelegt: Der Anteil von Regisseurinnen – vor allem im Fernsehen – liegt bei rund 10 Prozent. Welche Zahlen haben Sie überrascht?

Connie Walther: Uns von Pro Quote Regie hat das krasse Ungleichgewicht nicht überrascht. Trotzdem: Wenn man es schwarz auf weiß vor sich hat, dass 11 Sendeminuten in der Primetime von Frauen, aber im Ermessenszeitraum 89 Sendeminuten von Männern realisiert wurden, ist ein niederschmetternder Beleg für die Gender-Mechanismen, die in unser Branche virulent sind.

Weil Frauen ihre Geschichten im Fernsehen kaum erzählen können?

Vor allem weil Regisseurinnen nicht kontinuierlich arbeiten. Dass im Kino im mittleren Budgetbereich immerhin schon 20 Prozent Frauen arbeiten, ist dagegen hochinteressant! Im deutschen Fernsehen, wo eine geringere persönliche Bindung in Bezug auf das Werk vorhanden ist und eine künstlerische Ausprägung nicht primär gefordert wird, sieht es wesentlich schlechter aus für Frauen als im Kino!

Warum kann das öffentliche Fernsehen eine 90-Prozent-Quote für Regisseure durchsetzen?

Dieser Treuekreislauf ist erstaunlich. Es gibt viele Serienformate, wo die Regie, sofern handwerkliche Qualität vorhanden ist, recht austauschbar ist. Es wäre also ein Leichtes, die Vertragsvergabe zu pluralisieren. Doch hat eine Redaktion mit einem Regisseur gute Erfahrungen gemacht, wird er immer wieder beauftragt. Das ist verständlich. Aber in der Summe dieser Entscheidungen für das Bewährte und gegen das Unbekannte verschwindet die Varianz, die Pluralität, die Auswahl. Ein Blick über den eigenen Tellerrand der Entscheidungen ist notwendig. Der ökonomische Druck ist gewachsen (weniger Drehtage). Es wird weniger riskiert, nichts Neues gewagt. Die Angst wächst. Aus dem Treuekreislauf ist ein Teufelskreis geworden.

Von welchem Zeitraum sprechen Sie?

Der Beginn dieses schleichenden Prozesses war sicherlich das Auftauchen der Privatsender. Seitdem befindet sich das öffentlich-rechtliche System unter Legitimationsdruck, der mittlerweile zum Selbstläufer geworden ist. Aber jetzt gibt es Zahlen, die die Schieflage belegen.

Die es für den Nachwuchs insgesamt enorm schwierig macht.

Es müsste weitere Untersuchungen geben: Wie viele Regisseure verbergen sich eigentlich hinter den knapp 90 Prozent? Ich vermute: Es gibt ein, zwei Handvoll Regisseure, die arbeiten bis zum Umfallen und die anderen schauen komplett in die Röhre. Ist das sinnvoll, auch im Hinblick auf den viel beschworenen Programmauftrag? Auch die anderen Gewerke muss man anschauen: Wie viele Autoren beliefern wie viele Serien? Der Bereich Schauspiel: eine relativ kleine Gruppe etablierter DarstellerInnenbeherrschen den Markt, die Neuen kommen kaum rein. Und das Ganze verschärft sich massiv in Zeiten knapper Kassen.

Aber die Öffentlich-Rechtlichen werden massiv staatlich subventioniert.

Die großen Sender sind zum Großteil mit der Selbsterhaltung des Apparats beschäftigt. Er verschlingt viel Geld. Darauf wurde – auch im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit – mit der Schrumpfung des fiktionalen Bereichs reagiert. Die Zuschauerbindung bei Serien ist höher als bei Spielfilmen. Folge: weniger Einzelwerke. Experimentelle Filme, die polarisieren, fliegen raus. Die Sender machen ein Programm für die Zuschauer, bei denen sie sicher sein können, dass sie bleiben. Wenn die nun eine bessere Sprachverständlichkeit fordern und dass alles auch inhaltlich sofort verstanden werden muss, dann sollte man das Ganze in Senioren-TV umbenennen.

Warum fällt den Regisseurinnen erst jetzt ihre Benachteiligung auf?

Es lebt sich gut in der Nische – solange die Zeiten fett sind. Sie bietet Freiräume, man kann sich künstlerisch besser ausleben. Bei steigendem Druck brechen die Ränder weg, auch die Nischen. Somit trifft es vor allem die Frauen, die die Nischen besetzen. Selbstverständlich müssen wir uns auch fragen: Was kommt von außen, und inwieweit tragen die Frauen selbst zu ihrer Marginalisierung bei? Darum die Forderung nach einer wissenschaftlich fundierten, soziologischen Untersuchung. Und als dritter Punkt: Der übersteigerte Individualismus in unserer Branche hat dazu beigetragen, dass wir lange das Systemische nicht erkannt haben.

Er führt zu Entpolitisierung?

Zumindest ist das die Gefahr. Wenn du als Regisseurin abgelehnt wirst, dann denkst du: Das Projekt ist schlecht. Ich bin schlecht. Wie willst du auch überprüfen, dass nicht dein Projekt mangelhaft ist, sondern die etablierten Verhaltensweisen („Nehmen wir doch lieber den Krimi“ / „Hat die schon mal ‚Tatort‘ gemacht?“) dich ausschließen – wenn es keine Zahlen gibt? Zudem birgt die Erkenntnis austauschbar zu sein auch eine gewisse narzisstische Kränkung für die Künstlerseele.

Aber dass Künstler Künstlerinnen vorgezogen werden, ist doch eine Binsenweisheit.

Eben nicht. Der Widerstand, der Pro Quote Regie entgegenschlägt, zeigt die vorherrschende Überzeugung, man entscheide aufgrund von Qualität und individuell, anstatt aufgrund von Angst und Gewohnheit. Man glaubt tatsächlich noch, die Quote sei eine überflüssige Gängelung.

Es wird weniger riskiert, nichts Neues gewagt. Die Angst wächst. Aus dem Treuekreislauf ist ein Teufelskreis geworden

Wie etwa der Geschäftsführer des Bundesverbands Regie. Er sagte, man dürfe „die Beschäftitungssituation für Männer nicht gefährden“. Wie reagieren Sie darauf?

Die Frage ist, was möchte der Geschäftsführer eines Verbands, der sehr, sehr viel für die Verbesserung der Lage der RegisseurInnen tut – mit einer solchen Äußerung erreichen? Will er sagen, dass er gegen Veränderung ist? Die Strukturen zu verändern, nämlich zu verbessern, ist doch die Kernaufgabe des Verbands. Mir scheint diese Aussage vor allem ängstlich zu sein.

Gibt es in anderen Filmbranchen auch Widerstand gegen die privilegierte Beschäftigung von Männern?

Das würden wir uns sehr wünschen! Die Situation in der gesamten Branche wird prekär. Auch für Produzenten.

Was sind die nächsten Schritte?

Wir müssen weiter Bewusstsein für die Komplexität der Sache schaffen. Das heißt: reden, reden, reden. Pro Quote Regie trifft gerade sämtliche Förderinstitutionen und VertreterInnen der Politik. Die Zeit ist reif. So wie es ist, kann es nicht bleiben.