Tagebuch von der Frankfurter Buchmesse: Wieso sind Österreicher cooler?

Am dritten Tag findet der Österreich-Empfang statt. Eine gute Gelegenheit, um darüber nachzudenken, was an der dortigen Literaturszene so toll ist.

Der Autor Aron Boks trinkt ein Glas Weißwein und prostet dem Betrachter zu

Der Autor bei der Recherche: Auf der Buchmesse wird gern Weißwein getrunken Foto: Christof Meueler

Es ist der richtige Messetag, die Messehallen haben auf, und ich bin auf direktem Wege zum Österreich-Stand.

„Ich will wissen, was die österreichische Literaturszene von der deutschen unterscheidet“, sage ich dort zu Benedikt Föger, dem Präsidenten des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels.

Zugegeben, in diesem Moment ist diese Frage noch ein Vorwand, um heute Abend zum Österreich-Empfang im Städel-Museum zu können, weil der in der Buchmesseszene offenbar sehr beliebt ist. Aber dann passiert Folgendes: Der Präsident lächelt, sieht zur Seite und erklärt, dass er jetzt schon einigen Leuten absagen musste für heute Abend und gerade eben erst jemanden weggeschickt hätte.

Dann greift er in seine Tasche, sieht noch einmal mit ernst vorsichtigem Blick um sich, sagt: „Aber nit herzeigen!“ und zieht eine weiße Karte mit den magischen Worten „Österreichempfang 19.30 Uhr“ darauf heraus und gibt sie mir.

Und erst jetzt auf dem Rückweg aus den Messehallen beginnt es in mir zu arbeiten, und zwar so, wie ich es kenne, wenn ich irgendwie mit Leuten aus der österreichischen Literaturszene zu tun habe: Ich denke automatisch, dass die einfach cooler sind als Deutsche.

Aber warum?

Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek

Vielleicht war es die Art und Weise, wie der Präsident diese Karte gehalten hat, der Dialekt. Dieser besondere Humor in seinem Blick, von dem ich nicht genau sagen kann, was den ausmacht.

Oder liegt es doch mehr an dem Schreiben?

In meiner Berliner Bubble lieben alle Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek. Wenn ich Au­to­r:in­nen aus Österreich vor der Messe gefragt habe, was gerade gegenwärtig so angesagt ist, fiel immer der Name Barbi Marković. Jetzt habe ich mir ihr jüngstes Buch „Die verschissene Zeit“ gekauft.

Es braucht zwei Sätze vom Anfang, um mich zu überzeugen.

„Zehn Jahre sind vergangen, die Kindheit ist weiterhin verwirrend und entwürdigend verlaufen. Kein Silvester erträglich, und jede einzelne Entwicklungsphase die Hölle.“ Und immer wenn ich dann sagte, dass ich mir einen solchen Humor wünschte, wissen die Ös­ter­rei­che­r:in­nen gar nicht, was ich meine.

Fern von allen diesen Beispielen hat der Wiener Tonio Schachinger den Deutschen Buchpreis gewonnen. Den Roman muss ich aber noch lesen. Jetzt will ich wissen, warum wir die österreichische Literaturszene überhaupt so super finden. Irgendetwas muss es geben, das anders ist, und das suche ich hier.

Im Städel-Museum

Ich betrete den Empfang im Städel-Museum.

Draußen beim Rauchen hilft mir ein Zeitungsherausgeber aus der Steiermark sofort bei meinen Forschungen und erklärt den Unterschied von konfliktpräventiver Aggression in Österreich und Deutschland: „Es gibt in Österreich die hohe Kunst, Dinge extrem höflich zu sagen, so dass doch beide Seiten wissen, dass es so überhaupt nicht gemeint ist“, sagt er, und als er das erklärt, denke ich an eine Saalszene vorhin:

Ein Kellner steht vor einem silbernen Buffet, davor eine Frau mit leerem Teller. Das klingt banal, man muss aber dazu wissen, dass jede deutsche Person folgenden ersten Satz sagt, wenn man sie fragt, was sie am Österreich-Empfang reizt: „Da gibt es einfach gutes Essen.“


Die Frau steht also erwartungsaufgeladen vor dem Kellner, und der erklärt das Buffet: „Erdäpfelsalat, steirischer Bohnensalat, gebratene Hühnerbrust mit Jus sowie drei Sorten Knödel: Käse, Spinat und Rote Beete …“

Aron Boks ist zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse. In diesem Tagebuch berichtet er von seinen Eindrücken. Hier geht es zum zweiten Tag: das Literaturdinner.

„Ich will aber ein Wiener Schnitzel!“, unterbricht sie ihn hektisch. Der Kellner grinst gelassen. „Gnädige Frau“, sagt er. „Wir haben aber leider, leider heute kein Wiener Schnitzel!“

Wenn jemand so etwas in Deutschland in dieser höflichen Sprache sagt, dann wirkt das einfach passiv-aggressiv, denke ich. In Österreich wirkt alles so altertümlich adrett-herausgeputzt wie bei einem Spaziergang in der Wiener Innenstadt. Und irgendwie weiß ich gar nicht so viel mehr von Österreich, denke ich. Auch nicht über die Besonderheit der Literatur, außer dass sie mich catcht und es gut ankommt, „Heldenplatz“ und „Die Klavierspielerin“ zu kennen, wenn man mit jemandem ausgeht.

Katja Gasser steht am Tisch

E., ein Autor und Freund aus Wien, hat mir mal gesagt, dass Au­to­r:in­nen wie Jelinek und Bernhard besonders dann Erfolg haben, wenn in Österreich viel Mist passiert und sie dort durch rechts-konservative Po­li­ti­ke­r:in­nen zu Netz­be­schmut­ze­r:in­nen werden. Und mir fällt ein, dass sein letztes Buch über einen jung-konservativen Politiker aus Österreich in Deutschland richtig erfolgreich wurde, als der Skandal um den stockkonservativen Bundeskanzler Sebastian Kurz begann. Und daran, was die ORF-Journalistin Katja Gasser anlässlich der letzten Buchmesse in Leipzig gesagt hat, als Österreich Gastland war: „Der durchschnittliche deutsche Feuilletonist hat es gerne, wenn österreichische Autorinnen ihr Land hassen, lustig sind und dazu formal avanciert. Das trifft zwar oft zu, gleichzeitig wird es der Literatur simplifizierend und erstickend um den Hals geschnürt.“

Katja Gasser steht auch an einem weißen Tisch im Saal des Städel-Museums. Aber leider finde ich dieses Zitat erst am nächsten Morgen. Der Abend besteht ausschließlich aus Gelächter, Gesprächen und sehr viel Spritzwein, was einfach viel toller klingt als „Weinschorle“. Und als es für mich Zeit zu gehen wird, kommt der Präsident vorm Ausgang auf mich zu. „Und: hat’s geklappt?“, fragt er. Die Forschungsfrage, richtig. „Ja“, sage ich nur und zum Glück will der Präsident gar keine Ergebnisse sehen, sondern antwortet: „Dann wissen Sie es ja jetzt: Wir sind einfach sehr gern in Gesellschaft.“

Vielleicht erklärt der Satz erst, was genau wir, oder zumindest ich, an der österreichischen Literaturszene so gut finde. Eine echte Antwort habe ich noch nicht, aber die Suche hier auf der Messe macht Spaß.

Und, ach ja, das Essen, glaubt mir, das ist phänomenal.

Nächstes Jahr bitte wieder!

Aron Boks, 1997 geboren, lebt als Autor in Berlin. Er schreibt für diverse Zeitungen und Magazine. Zuletzt erschien das Buch „Nackt in der DDR“ über seinen Urgroßonkel, den Maler Willi Sitte (Verlag HarperCollins). Das Messetagebuch wird finanziert von der taz Panterstiftung.

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Aron Boks wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt seit 2016 als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin. 2023 erschien sein Buch „Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat“.

Kommt der Herbst, kommen die Bücher: Die taz fliegt wieder aus nach Frankfurt, zur Buchmesse:

Diskussion:Apocalypse Now? – Über den Weltuntergang und Kampf um die Zukunft“. Ein Podium mit Cornelia Betsch, Steffen Mau und Christian Jakob.

Wahrheit-Klub:Die Sehnen der Slowenen“ – Die Wahrheit lädt zum Klub-Treffen inkl. Verleihung des Jieper Preis 2023.

Lesestoff: „Worte finden,wenn sie ausgehen“ – Was bringen die wichtigsten Romane und Sachbücher dieses Herbstes und wie geht die Literaturwelt mit den aktuellen Konflikten um? Die literataz berichtet: Laden Sie hier das PDF der Literataz herunter

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